Das Onlinezugangsgesetz (OZG) ist tot, lang lebe das OZG 2.0: Aktuell wird fleißig über ein Folgegesetz für das Onlinezugangsgesetz diskutiert. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass das OZG 1.0 gescheitert ist. Aber woran eigentlich? Wenn man sich andere europäische Staaten anschaut, fällt auf: Länder wie Großbritannien, Estland und Italien sind für ihre Infrastruktur – also das Backend – bekannt und werden dafür gelobt. Beispiele wie GOV.UK Pay, xRoad und die italienische digitale ID sind Teil von leistungsfähigen E-Government-Infrastrukturen. In Deutschland lag der Fokus in den letzten fünf Jahren hingegen auf den Onlinediensten, also dem Frontend. Die Vermutung liegt nahe, dass dieser Sonderweg Teil des OZG-Umsetzungsproblems ist.
Die genannten europäischen Länder verfolgen mehr oder weniger explizit „Government as a Platform“ (GaaP). Die von Interneturgestein Tim O’Reilly stammende Idee kann als „weniger ist mehr“ beschrieben werden. Das heißt, eine zentrale Einheit wie der Government Digital Service (GDS) im Vereinigten Königreich konzentriert sich auf einen Plattformkern aus Basisdienten wie Authentifizierung und Payment, sowie verbindlichen Schnittstellenstandards. Dieser Kern dient dann als Fundament für ein Ökosystem aus Online-Diensten, die dezentral von den jeweils zuständigen Behörden gestaltet werden. Das Backend wird also (relativ) zentral und stabil gestaltet, damit das Frontend dezentral und dynamisch sein kann. Der Vorteil von GaaP liegt darin, dass die technische Infrastruktur für alle zu Verfügung gestellt wird, aber die fachliche Ausgestaltung bei den zuständigen Stellen bleibt.
OZG: Das Fundament fehlt
Der Ansatz der deutschen OZG-Umsetzung war das genaue Gegenteil. „Einer für alle“ entspricht zwar auch der Idee „weniger ist mehr“, wurde aber aufs Frontend statt aufs Backend angewendet. Im planwirtschaftlichen Stil wurde die Entwicklung von Online-Diensten aufgeteilt und gesteuert. Das hat nicht nur zu einer Rationierung des Angebots, sondern auch zu einer Vernachlässigung des Backends geführt. Weder gibt es in Deutschland eine schlagkräftige zentrale Einheit wie den GDS, noch ein sauberes Fundament aus Basisdiensten und Schnittstellenstandards auf dem Online-Dienste aufsetzen können. Das zeigt sich nicht zuletzt beim Anschluss von EfA-Diensten an die vielfältigen Fachverfahren. Aufgrund fehlender Schnittstellenstandards entstehen hier keine Synergieeffekte, sondern massive Extraaufwände.
Das OZG 2.0 sollte diesen Sonder- beziehungsweise Irrweg beenden und sich dem Beispiel anderer Länder anschließen: weniger Planwirtschaft und mehr Marktwirtschaft bei den Online-Diensten sowie klare, verbindliche Vorgaben bei den Basisdiensten und Schnittstellenstandards. Dazu sollte zunächst definiert werden, was dem Plattformkern zuzuordnen ist und wer der (eine) Plattform-Owner ist. Naheliegend für letzteres sind die Föderale IT-Kooperation oder das föderale IT-Architekturboard. Beide hätten den Vorteil, ähnlich unpolitisch wie der GDS zu sein. Bei der Definition des Plattformkerns, also hinsichtlich der Basiskomponenten für Authentifizierung, Payment sowie Kommunikation, wäre eine Grundsatzentscheidung beim Nutzerkonto der erste Schritt: Das Benutzerkonto des Bundes sollte für alle Online-Dienste verpflichtend nutzbar sein.
It's the Infrastruktur, stupid
Schließlich bräuchte das Online-Dienste-Ökosystem nach seiner Entfesselung trotzdem gewisse Leitplanken; der Servicestandard des Bundesinnenministeriums (BMI), der Qualitätsmerkmale von digitalen Verwaltungsleistungen definiert, könnte hier ein Anfang sein. Notwendig sind klare und verbindliche Regeln für die Beiträge aus dem Ökosystem, um eine angemessene Qualität der Anwendungen zu erzielen.
Das OZG ist tot, lang lebe Government as a Platform – um bei einem OZG-Folgegesetz erfolgreich zu sein, sollte aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt werden und der Plattform-Ansatz erfolgreicher europäischer Länder angewendet werden. Denn: Wie bei vielen IT-Themen gilt: It’s the Infrastruktur, stupid. Für skalierbares E-Government in Deutschland müssen endlich die metaphorischen Glasfaserkabel verlegt werden.
Peter Kuhn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fortiss in München und Promotionsstudent am Sebis-Lehrstuhl der Technischen Universität München. Er forscht zu plattform-orientierten Infrastrukturen im öffentlichen Sektor aus wirtschaftsinformatischer Sicht. Aktuell entsteht unter seiner Leitung eine NEGZ-Kurzstudie zur Nutzung von Plattformansätzen für die OZG-Umsetzung. Kuhn engagiert sich im Nachwuchsnetzwerk N3GZ des NEGZ.
Moreen Heine ist Professorin für E-Government und Open Data Ecosystems an der Universität zu Lübeck. Sie ist außerdem wissenschaftliche Leiterin des Joint Innovation Labs, in dem Wissenschaft, Verwaltung und Wirtschaft an Lösungen für E-Government und Open Government arbeiten. Sie forscht unter anderem zu konstituierenden Elementen von Government as a Platform. Heine engagiert sich im Vorstand des NEGZ.