In den turbulenten Sommerwochen des US-Wahlkampfs kam es vor allem im IT-Sektor zu einem weiteren Schub rechtsradikaler Politisierung in der Elite der US-Industrie. Hierbei wuchs die Zahl der superreichen Maga-Unterstützer („Make America Great Again“). Es gab Positionierungen, die 2016 noch kaum denkbar waren. Zwar meldeten sich nach dem Biden-Ausstieg auch viele mit den Demokraten sympathisierenden Superreiche zu Wort. Im IT-Sektor stellen sie wohl noch eine Mehrheit. Vor allem politisch besonders ambitionierte IT-Größen hatten sich jedoch zuvor medienwirksam zu Donald Trump und seinem Vizepräsidentschafts-Kandidaten J. D. Vance bekannt. Das meiste Aufsehen erregte die Unterstützung Trumps durch Elon Musk auf X unmittelbar nach dem Attentat auf Trump.
In den 2010er-Jahren hatte allen voran Peter Thiel mit dem liberal-demokratischen Mainstream im Silicon Valley medienwirksam gebrochen. Zwar gab es auch schon damals pro-republikanische Aktivisten aus dem Umfeld Thiels, wie Joe Lonsdale, und auch eher stille Spender wie Larry Ellison. Nun jedoch sind unter den Maga-Unterstützern neben Musk, Thiel und weiteren Mitgliedern der „Paypal Mafia“ auch IT-Größen wie Marc Andreessen, das Ehepaar Horowitz, Chamath Palihapitiya und die Gebrüder Winklevoss. Bemerkenswert ist die Zahl vorheriger Unterstützer der Demokraten, die ins gegnerische Lager gewechselt sind. Zu diesen zählt auch Musk, der vor allem wegen seiner Firma Tesla als liberal-demokratisch galt.
Transhumanismus als digitalkapitalistische Ersatzreligion
Vor allem wegen Thiels Rolle als Mann Trumps im ‚Silicon Valley‘ wird bereits seit Mitte der 2010er in diesem Kontext der Transhumanismus diskutiert. Dieser will Menschen technowissenschaftlich verbessern („human enhancement“), um damit in Zukunft eine Art individueller Unsterblichkeit und später eine Zukunftszivilisation zu ermöglichen.
Mit Wurzeln im technikfuturistisch-psychedelischen US-Milieu der 1970er, wuchs die organisierte transhumanistische Bewegung in den 1990ern zu einer kleinen Community heran. Überwiegend von jungen weißen Männern gebildet, war sie in mancher Hinsicht politisch divers und über Details der Zukunftsvisionen zerstritten. Einfallstore der Bewegung in den Mainstream waren neben Science Fiction vor allem der akademische Bereich und die US-Forschungspolitik zur Nanotechnologie.
Seitdem haben aber IT-Größen selbst das ideologische Heft in die Hand genommen, der organisierte Transhumanismus erlebte einen Niedergang. Die in der Bewegung entwickelten Ideen bilden indes weiterhin das intellektuelle Reservoir, aus dem selbstverliebte Digitalbarone für ihre halbgaren Welterklärungen und Zukunftserzählungen schöpfen.
Dass diese Weltanschauung nicht nur für rechtsradikal irrlichternde IT-Größen attraktiv ist, sondern zum Beispiel auch von Bill Gates unterstützt wurde, lässt sie als eine Ersatzreligion für erhebliche Teile der Tech-Elite erscheinen. Eine fragwürdige transhumanistische Kernannahme ist hier, dass der Körper technisch aufgerüstet werden müsse, um die Menschheit in einer künftig durch selbstbewusste KI ermöglichten rasanten Maschinenevolution („Singularity“) zu erhalten.
Der Transhumanismus im Rechtsruck der Digitalbarone
Vor gut einem Jahr wurde von Timnit Gebru und Émile Torres die Abkürzung „Tescreal“ (transhumanism, extropianism, singularitarianism, cosmism, rationalism, effective altruism, longtermism) popularisiert. Sie fasst die verschiedenen kleinen Strömungen im transhumanistischen Milieu zusammen und dient den beiden Autor:innen zur Kritik des digitalkapitalistischen Rechtsrucks. Transhumanistische Kritiker (Hughes, Eli Sennesh) beklagten, dass damit demokratisch-progressive Kräfte in diesem Milieu unsichtbar gemacht würden. Tescreal wurde als Selbstbezeichnung von Andreessen aufgenommen, der wiederum in seinem „Techno-optimist Manifesto“ (2023) offen mit dem profaschistischen italienischen Futurismus des frühen 20. Jahrhunderts flirtet und die sozialistischen Wurzeln des Transhumanismus (wie John Desmond Bernals) ausblendet.
Auch der rechtsradikale US-Autor Richard Hanania bezog sich auf Gebru und Torres, schlug aber die Bezeichnung „Tech Right“ vor. Diese Techno-Rechte könne, insofern ein dauerhaftes Bündnis mit traditionellen Konservativen sowie Migration und Freihandel ablehnenden Maga-Kräften gelinge, eine bedeutende Rolle bei der Verteidigung des US-Kapitalismus spielen. Als Kitt des Bündnisses eigne sich die Ablehnung der von Hanania als „woke mind virus“ bezeichneten Ideen emanzipatorischer Bewegungen – und als zukünftige Führungsfigur womöglich der mit Thiel eng verbundene J. D. Vance. Dieser hängt seinerseits einer nicht in Tescreal vorkommenden, aber mit dem Transhumanismus lose verbundenen Ideologie an, die als „Dunkle Aufklärung“ bekannt ist und offen antidemokratische, rechtsextremistische Auffassungen vertritt.
Komme es nicht zu dem von ihm befürworteten Bündnis, droht laut Hanania eine Situation wie in der EU, die er als sozialdemokratische Dauerstagnation charakterisiert. Seine Analyse des „Awokening“ wurde von techno-rechten Industriellen wie Thiel gepriesen. Dieser schrieb, dass es der Knüppel und Steine der Staatsgewalt bedürfe, um den „Diversitätsdemon“ zu „exorzieren“.
Musks Platz in Trumps Regierung
Vor allem eugenische Denktraditionen machen Tescreal für die Techno-Rechte attraktiv, insofern sie sich anders als im sozialistischen Transhumanismus vor allem gegen Arme und zumindest implizit gegen Nichtweiße richten. Zudem befriedigt die Vision einer zunehmenden Mensch-Technik-Verschmelzung die eigene Sucht nach Allmachtsphantasien. Die obsessive Befassung mit angeblichen zukünftigen Gefahren durch mögliche Bevölkerungsrückgänge und der im Transhumanismus weitverbreitete Geniekult dienen vor allem zur Legitimation des heutigen, rassistischen Patriarchats sowie der angestrebten postliberalen Oligarchie. Und der seit den 2000ern gepflegte, bildungsverachtende transhumanistische Antieuropäismus dient dem Schüren von Ressentiments in geopolitischer Hinsicht.
Wer sich den Grad der Verrohung und Verblödung vergegenwärtigen möchte, der vom Bündnis der Techno-Rechten mit Trump ausgeht, führe sich das Interview zu Gemüte, das Musk unlängst mit diesem auf X hatte. Fast unerträglich repetitiv verbreiten die beiden darin alle möglichen big-business-freundlichen Lügen, glorifizieren Trumps männlichen Mut, beleidigen unflätig die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris. Sich selbst stellen sie arrogant als Genies dar und greifen hämisch lachend Arbeiter:innenrechte an. Sie reden über eine mögliche Rolle Musks in einer Trump-Regierung – all dies, ohne auch nur dazu in der Lage zu sein, über mehrere Sätze hinweg kohärent zu sprechen.
Dabei nimmt der Mann, der gern reichster Mann der Welt ist, zum Teil eine eher devote Haltung ein gegenüber dem, der gern wieder die stärkste Militärmacht der Weltgeschichte kommandierte. Musk bemüht sich zwar sichtlich, Reste seines liberalen Images zu retten. Er stimmt aber letztlich allen Widerlichkeiten und Absurditäten Trumps zu. Während Trump mehrfach versucht, das Gespräch auf KI zu lenken, zeigt sich Musk daran desinteressiert. Es geht ihm wohl vor allem um seine Position in einer nachdemokratischen Ordnung.
Redefreiheit, aber nicht für Andersdenkende
Dass rechte Medienmogule politische Macht an sich reißen und aktiv Politik betreiben, ist nichts Neues, wie die Beispiele William Randolph Hearst, Alfred Hugenberg und Silvio Berlusconi zeigen. Durch die neuen Medien hat ein Digitalbaron wie Musk nun aber direkten und durch die algorithmische Kontrolle noch stärker manipulierenden Sofortzugriff auf seine Follower, die von ihm mit Hass gefüttert werden.
Auf Gegner kann er seine Gefolgsleute zumindest virtuell hetzen. Zudem attackiert oder unterstützt Musk per direkter Ansprache Politiker:innen auf X. Bemerkenswert waren zum Beispiel sein Trollen des deutschen Bundeskanzlers in der erbärmlichen El-Hotzo-Debatte und seine Unterstützung Björn Höckes. In Lateinamerika hat Musk als globaler Privatmachtpolitiker mehrfach Partei ergriffen, zum Beispiel für US-gestützte Putsche und durch Verbrüderung mit Javier Milei und Jair Bolsonaro. Aktuell unterstützt er in Brasilien die sich in einer andauernden Radikalisierungsspirale bewegenden Pro-Bolsonaro-Kräfte und wütet auf X gegen einen Richter, der dem Einhalt gebieten will. Mit seinen vermutlich durch Lithium-Hunger motivierten Attacken auf die Linke Lateinamerikas greift er das Rückgrat der dortigen Demokratie an.
Musk ist tatsächlich für freie Rede, aber bloß für sich und seine ideologische Klientel. In der bröckelnden Hülle liberaler Demokratie probt er, grotesk verstärkt, die ersehnte Rolle in einer nachdemokratischen Welt. Sein Schüren des Hasses auf trans Menschen – ein Fokus auch des Regimes Wladimirs Putins –, erklärt er sich und der Welt biographisch, biologistisch und patriarchal. Im Interview mit dem rechten Maskulinisten Jordan Peterson bekundet Musk weinerlich, sein Sohn sei tot, und meint damit eines seiner zahlreichen Kinder, eine lebende trans Frau. Typisch für fragil-toxische Männlichkeit, verbindet er dieses vermutlich geheuchelte Selbstmitleid mit dem martialischen Schwur, sein Leben von nun an dem Kampf gegen das „woke mind virus“ zu widmen. Hierbei nutzt er Hananias faschistoiden Begriff.
Demokratie, quo vadis?
Wie Trump und Putin schürt Musk menschenverachtenden Hass, auf Einwandernde, trans Personen und ihm politisch Unliebsame. Warum wird ein Digitalbaron wie Pawel Durow wegen Duldung von Kriminalität auf seiner Plattform in der EU verhaftet – nicht aber der Volksverhetzer in-chief, der auf X übelste antisemitische, rassistische und transfeindliche Hetze offen fördert?
Der Rechtsruck unter den Digitalbaronen dürfte weniger motiviert sein durch eine transhumanistische Ersatzreligion als vielmehr durch ökonomische Interessen, wie etwa niedrige Steuern, Minimalregulierung und den Schutz von Krypto-Kapital, und durch intersektional-emanzipatorisch bedrohte patriarchale Männlichkeit. Diese Ersatzreligion entfremdet aber vor allem junge Männer von demokratischen Werten und Hoffnungen auf sozialen Fortschritt.
Selbst Libertarismus und Transhumanismus sind im Diskurs in der EU außerhalb der Wissenschaft und der Jugend bisher nicht wirklich angekommen. Trifft die Diagnose des Linkstranshumanisten R. U. Sirius zu, dass Ideen einst reiften, nun aber durch die sozialen Medien bloß immer verschrobener und damit abschreckender werden, wird sich kaum etwas an der europäisch-bildungsbürgerlichen Ignoranz gegenüber den vielfältigen Gefahren ändern, die für die Demokratie vom Machthunger und ideologischen Unsinn der Digitalbarone ausgehen.
Der Politikwissenschaftler Christopher Coenen, Forschungsgruppenleiter am Karlsruher Institut für Technologie im Bereich Technikfolgenabschätzung und leitender Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift ‚NanoEthics‘, befasst sich seit den 1990er Jahren mit dem Transhumanismus.