Standpunkte Sind wir noch zu retten?

Die Dominanz von Big Tech bedroht nicht nur den Wettbewerb, sondern zunehmend auch die Demokratie, warnt Yasmin Fahimi. Die DGB-Vorsitzende kritisiert die Allianz aus Marktmacht und libertärer Ideologie und sieht die EU vor der Herausforderung, digitale Souveränität und Grundrechte zu schützen.
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Jetzt kostenfrei testenDie Debatte um die Machtkonzentration von US-Digitalkonzernen („Big Tech“) ist zwar nicht neu, muss aber in neuer Qualität geführt werden. Dass Big Tech die großen digitalen Märkte dominiert, Wettbewerb ausschaltet und gesellschaftliche Debatten lenkt, ist hinreichend belegt. Doch nach der Machtübernahme von Donald Trump und dem Schulterschluss mit radikalkapitalistischen „Tech-Oligarchen“ offenbart sich eine neue Herrschaftsallianz. Sie vereint dominante Marktmacht und unvorstellbare Finanzkraft mit einer libertären Gesinnung und aggressiv nationalistischer Politik.
Digitale Souveränität bedeutet deshalb, ökonomisch unabhängiger zu werden und gleichzeitig den demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen. Denn Trump, Musk und Co. geht es darum, das System der „Checks and Balances“ auszuhebeln und das Primat demokratischer Politik den wirtschaftlichen Interessen von Milliardären unterzuordnen.
Das Recht des Stärkeren als Leitmotiv
Hintergrund ist eine libertäre Weltanschauung, die demokratische Regeln, den Rechtsstaat und gesellschaftliche Pluralität grundsätzlich ablehnt. „Wettbewerb ist etwas für Verlierer“: Dieses bekannte Leitmotiv des Tech-Ideologen Peter Thiel aus dem Silicon Valley steht nicht nur für eine neue Form des Radikalkapitalismus. Es zielt auch auf eine andere Gesellschaftsordnung ab, in der einzig das Recht des Stärkeren gelten soll. Wie weit die politische Landnahme durch diese libertären Kräfte gehen soll, zeigt sich zum Beispiel an ihrem Versuch, durch sogenannte „Freedom Cities“ rechtsfreie Räume zu schaffen, in denen Milliardäre das uneingeschränkte Sagen haben.
Die Strategie zum Abbau von Grundrechten zeigt sich auch in der Anweisung von Trump, alle Diversitätsprogramme (Diversity, Equity and Inclusion, DEI) zu streichen. Es geht dabei nicht um einen Kulturkampf. Ziel ist die systematische Unterdrückung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Gleichstellung, Chancengleichheit und Inklusion. In Verbindung mit der Zollpolitik ist dies längst auch eine Herausforderung für internationale Unternehmen auf dem US-Markt.
Die Auswirkungen dieser bedenklichen Entwicklung spüren wir also längst auch in Europa. Zunächst wurde der Digital Services Act (DSA), der sich gegen illegale Inhalte im digitalen Raum richtet, von der US-Administration als „Zensur“ und „Angriff auf die Meinungsfreiheit“ diskreditiert. Trump hat dann ein Memorandum verkündet, mit dem er US-amerikanische Unternehmen grundsätzlich „vor Erpressung und unfairen Geldbußen aus dem Ausland“ abschirmen will. Im Fokus steht hier vor allem die Reichweite von Big Tech, die für anti-demokratische Agitation benutzt wird.
Die EU steht auch deshalb vor einer Bewährungsprobe. Es geht aber nicht nur darum, die geltenden Regeln konsequent auf Big-Tech-Unternehmen anzuwenden. Wir müssen einen Schritt weiter gehen: Konkrete Ansatzpunkte für eine Schärfung des Instrumentariums finden sich auf europäischer und auf nationaler Ebene.
Medienkonzentrationsrecht auf Social Media anwenden
Digitale Kommunikationsplattformen und Social Media sind zentrale Machtinstrumente, um die gesellschaftliche Meinungsbildung algorithmisch zu steuern. Die Machtkonzentration von Big Tech ist in diesem Bereich besonders kritisch. Einen konkreten Ansatz für eine Begrenzung der Macht bietet in Deutschland das Medienkonzentrationsrecht. Danach darf der Marktanteil von einzelnen Anbietern 30 Prozent nicht überschreiten. Was bislang nur für „klassische“ Medien gilt, sollte im Prinzip auch für demokratierelevante „soziale“ Medien und digitale Plattformen eingeführt werden.
Fairer Wettbewerb – auch bei Cloud-Anbietern
Es geht grundsätzlich um die Frage, wie ein fairer Wettbewerb und eine Vielfalt an Anbietern gefördert werden können. In Deutschland wurde hierzu ein Paradigmenwechsel eingeleitet: Das Wettbewerbsrecht eröffnet die Möglichkeit, gegen marktbeherrschende Unternehmen wie Big Tech vorzugehen – auch ohne konkrete Kartellrechtsverstöße. Eine Entflechtung, wie sie in den USA aktuell Meta droht, ist auf EU-Ebene aber bislang kaum möglich. Deshalb sollte auch das europäische Kartellrecht weiter geschärft werden, um bei einer Störung des Wettbewerbs möglichst präventiv eingreifen zu können und eine missbrauchsunabhängige Entflechtung von Digitalkonzernen zu ermöglichen.
In der EU wurde mit dem Digital Markets Act (DMA) ein weiteres Instrument eingeführt. Dominante Digitalplattformen werden ab einer gewissen Marktmacht von der EU-Kommission als sogenannte Gatekeeper definiert. Für diese gelten besondere Verhaltensregeln und mögliche Sanktionen. Allerdings sollte der DMA nachgebessert werden. Zum Beispiel wird der wichtige Bereich der Cloud-Anbieter faktisch nicht erfasst, weil Unternehmen nur als Gatekeeper gelten, wenn sie mindestens 45 Millionen Endnutzer haben. Eine solch hohe Nutzerzahl kann in diesem Bereich trotz der sichtbaren Marktkonzentration nicht der richtige Maßstab sein. Deshalb konnten im Cloud-Bereich auch noch keine Gatekeeper von der EU-Kommission designiert werden. Dies ist angesichts der Marktmacht von Big Tech von zusammen rund 70 Prozent im Cloud-Markt eine Farce.
Kritische Infrastruktur und Alternativen
In diesem Kontext stellt sich auch die ordnungspolitische Frage, wie wir künftig mit digitalen Infrastrukturen wie Cloud-Architekturen umgehen wollen. Nicht zuletzt ist dieser Bereich eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung und Verbreitung von KI-Systemen. Der geplante Auf- und Ausbau eigener Kapazitäten in Europa ist selbstverständlich ein sinnvoller Ansatz, um die digitale Souveränität zu stärken. Auch dass die neue Bundesregierung „nicht vertrauenswürdige Anbieter“ in Deutschland ausschließen will, ist gut. Warum aber gelten für Cloud-Dienste keine Regeln, wie es zum Beispiel im Bereich der Energie oder Telekommunikation der Fall ist? Müssen wir die Cloud nicht grundsätzlich als Teil der Kritischen Infrastruktur und Basis der öffentlichen Grundversorgung behandeln?
Digitalpolitik ist ein strategischer Baustein für ökonomische und demokratische Souveränität. Dazu gehören der Aufbau eigener Datenräume mit offenen Standards und dezentrale Alternativen für Kommunikation und Meinungsbildung. Wichtig sind auch effektive Instrumente gegen Desinformation, mit der Akteure im In- und Ausland vehement versuchen, die Demokratie zu zersetzen. Ein Ansatz wie in Schweden und Frankreich sollte schnell etabliert werden.
Angemessene Steuern für Big Tech
Es ist auch an der Zeit, Big Tech-Unternehmen angemessen zu besteuern. Trotz extremer Gewinne können sie ihre steuerlichen Verpflichtungen bis heute auf ein Minimum drücken – und dies, obwohl sie die Daten der europäischen Nutzenden ebenso wie Internetleitungen und Mobilfunknetze ohne eigene Beiträge für ihre Geschäfte nutzen. Dies ist völlig inakzeptabel. Konzepte liegen auf dem Tisch. Entscheidend ist, dass sich die EU auf ein einheitliches und effektives Besteuerungsmodell einigt, das an den zentralen Grundlagen der digitalen Wertschöpfung von Big Tech ansetzt.
Die Probleme durch Big Tech wurden in der Vergangenheit zu zaghaft angegangen. Dadurch haben sich Strukturen verfestigt, die die wirtschaftliche und demokratische Souveränität in Deutschland und Europa gefährden. Der politische Paradigmenwechsel in den USA sollte mehr als ein Weckruf für Europa sein. Es ist eine Chance, sich aus dem goldenen Käfig der Abhängigkeiten von US-amerikanischen Anbietern zu befreien. Die Wiederherstellung von freiheitlich demokratischer Meinungsbildung, fairem Wettbewerb und digitaler Souveränität kann durch den energischen Aufbau eigener Strukturen, die Förderung von Forschung und Innovationen sowie die Regulierung von Big Tech gelingen. Alle drei Säulen bilden ein tragfähiges Konzept und dürfen nicht als Alternativen betrachtet werden.
Yasmin Fahimi (SPD) ist seit Mai 2022 Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Sie war zuvor Generalsekretärin ihrer Partei, Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und von 2017 bis 2022 Mitglied des Deutschen Bundestages.
Am morgigen Mittwoch wird Yasmin Fahimi auf der Republica in Berlin ab 13:45 Uhr an der Podiumsdiskussion „Big Tech: Sind wir noch zu retten? Digitalkonzerne und ihr Einfluss auf Wirtschaft, Demokratie und Vielfalt“ teilnehmen. Weitere Programmhighlights der Republica finden Sie hier.
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