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Digitalisierung & KI

Standpunkte Regulierung des Digitalen: Europa vor der Bewährungsprobe

Foto: Europäische Kommission

Es wäre ein Fehler, den Bericht der Datenethikkommission (DEK) als „typisch deutsch“ abzutun, meint Paul Nemitz, DEK-Mitglied und Hauptberater in der EU-Kommission. Warum die Kontrolle technischer Macht zu Europas zentralen Aufgaben gehört, erklärt er in seinem Beitrag.

von Paul Nemitz

veröffentlicht am 08.11.2019

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Zur Übergabe des Berichts der Datenethikkommission an die Bundesregierung am 23. Oktober reiste der Generaldirektor für den digitalen Europäischen Binnenmarkt in der EU Kommission, der Italiener Roberto Viola, extra von Brüssel nach Berlin. Aus Wien kam der Direktor der Europäischen Grundrechte Agentur, der Ire Michael O’Flaherty.

Das machte die Übergabe des Berichts der Datenethikkommission zu einem europäischen Ereignis. Und: Eine Co-Vorsitzende der Datenethikkommission, die Medizinerin Christiane Woopen, ist zugleich Vorsitzende des unabhängigen, bei der EU Kommission angesiedelten, Europäischen Ethikrates. Die andere, Christiane Wendehorst, ist Präsidenten des European Law Instituts, einer europaweiten Vereinigung von Juristen, die Modellgesetze für die EU entwerfen.

„Es wäre ein Fehler, den Bericht als ,typisch deutsch‘ abzutun“

In der Tat enthält das Dokument mit seinen 75 Vorschlägen auf 240 Seiten vieles, was in der EU Kommission auf Interesse stoßen wird. Von der Risiko-adäquaten Regulierung algorithmischer Systeme und der KI bis zu Fragen zivilrechtlicher Haftung für Schäden, die diese verursachen; von der Interoperabilitätsverpflichtung von Messengern und sozialen Netzwerken bis zu Ergänzungen der Datenschutzgrundverordnung; und von den Rechten am digitalen Nachlass bis zu einem Rechtsrahmen für Treuhänder persönlicher Daten.

Das sind Themen, über die auch in Brüssel gesprochen, zum Teil auch gearbeitet wird. Die designierte Präsidentin der EU Kommission, Ursula Von der Leyen, hat in ihren politischen Leitlinien schon angekündigt, die neue EU Kommission werde innerhalb von 100 Tagen nach Amtsantritt einen Vorschlag mit dem Ziel vorlegen, KI in Europa menschenzentriert und europäischen Werte respektierend zu entwickeln und betreiben. 

Es wäre ein Fehler, den Bericht der Datenethikkommission als „typisch deutsch“ abzutun. Das Gegenteil ist richtig. Der Bericht atmet die Luft europäischer Aufklärung, des europäischen Kategorischen Imperativs, der für die EU typischen Konsensfähigkeit: Handle immer so, dass das Deinem Handeln zugrunde liegende Prinzip ein allgemeines Gesetz in Europa sein könnte, mit dem Europa gut funktionieren würde.

Die Arbeiten der Datenethikkommission, mit den Präsidenten der Arbeitgeber, Dieter Kempf, und der Verbraucherschutzorganisationen, Klaus Müller, an Bord, haben gezeigt, dass der Wille zu vernünftigem Gespräch und Verständigung unter Demokraten weit trägt. 

Das Signal ist: Wir haben uns geeinigt – Ihr könnt es auch

Das Signal der Datenethikkommission an die Politik ist: Wir haben uns geeinigt – und einen einstimmigen Bericht vorgelegt zu Ethik und Recht im Zeitalter der KI. Ihr könnt es auch, ob in Berlin oder Brüssel.

Zur Einstimmigkeit zu kommen, war nicht einfach. Aber es ist wichtig. Denn auf der anderen Seite des Atlantiks, in den USA, ist Einigung in der Politik, wenn es um Digitales geht, offenbar derzeit nicht möglich. Und in der chinesischen Diktatur regiert allein die Kommunistische Partei. Die Stärke Europas ist, dass hier kein Absolutismus herrscht, nicht der der Partei wie in Peking, nicht der der Technologie, wie im Silicon Valley. Konsensfähigkeit ist einer unserer Produktivitätsfaktoren der Demokratie in Europa. Und sie ist gut für technische und wirtschaftliche Innovation, die immer breite gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung braucht.

Es sind die heute schon mächtigsten, reichsten Internet Firmen der Welt, die nun auch noch die nächsten Machttechnologien mit gewaltigen Investitionen voranbringen: KI und Quantencomputer. Microsoft hat gerade eine Milliarde Dollar in das Projekt „Open AI“ gesteckt. Facebook produziert mit seiner KI 200 Trillionen (!) Verhaltensvorhersagen über Menschen pro Tag. Google verkündet die Quantenbeherrschung.

Das ist der Hintergrund, vor dem der Bericht der Datenethikkommission zu lesen ist, ob in Brüssel oder Berlin, ob in Regierung, Parlament oder Universitäten.

Der Soziologe Heinrich Popitz sagte voraus, die Kontrolle technischer, durch Innovation hervorgebrachter Macht werde zur wichtigsten Aufgabe der Demokratie. Diese Kontrolle ist längst nicht mehr nur ein Thema für den Markt und das Wettbewerbsrecht. Darauf hat der Professor und frühere Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem bei der Übergabe des Berichts der Datenethikkommission hingewiesen. Es geht jetzt bei der Regulierung des Digitalen und der KI auch um individuelle Freiheit, funktionierende Öffentlichkeit, Demokratie und Grundrechte.

Auf dem Weg in die Digitalisierung müssen wir, auf diesem Kontinent der Kriege und des Populismus, unsere Produktivitätsfaktoren Freiheit und Offenheit für Innovation, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit pflegen. Angesichts des Zangengriffs zwischen infantilen Allmachtsträumen (Nida Rümelin) in Silicon Valley und Peking und einem schwellenden autoritären Populismus steht unsere Demokratie in Europa nicht nur bei der Regulierung des Digitalen vor einer Bewährungsprobe.

Paul Nemitz, Hauptberater in der EU-Kommission, ist Mitglied der Datenethikkommission. Er gibt hier seiner persönlichen Meinung Ausdruck. Im März 2020 erscheint sein Buch, mit Matthias Pfeffer, „Prinzip Mensch – Demokratie, Recht und Ethik im Zeitalter Künstlicher Intelligenz“ im Dietz Verlag. 

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