Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Das ist zwar keine neue Feststellung, aber spätestens die Covid-19-Krise hat es uns noch einmal drastisch vor Augen geführt: Digitalisierung ist die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung unseres funktionierenden Staates, für Wirtschaft und Gesellschaft sowie Verwaltung und Politik.
Während wir die Krise von heute noch bearbeiten, ist klar geworden, dass es neue Formen der Zusammenarbeit geben muss, um sich auch zukünftig auf komplexe Veränderungen und neue Anforderungen in einer digitalen Ära einlassen zu können. Die Verwaltung hat in der Krise ihre Innovations- und Leistungsfähigkeit auf allen föderalen Ebenen unter Beweis gestellt. Deutlich wurde aber auch, dass Digitalisierung mehr ist, als nur technologische Innovation. Digitalisierung umfasst auch den Aufbau und die Anpassung unserer Routinen und Praktiken und deren bisher vor allem linearen normativen Rahmen.
Der Verein „Next“ (Netzwerk: Experten für die digitale Transformation der Verwaltung), ist eine gemeinnützige Plattform aus der Verwaltung für die Verwaltung. Er vernetzt Beschäftigte aus Bund, Ländern und Kommunen sowie deren nachgeordneten Behörden, Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts über Hierarchien, Ressorts und föderale Grenzen hinweg, um den Wandel von klassischen Organisationen, Strukturen und Abläufen hinein in eine digitale Kultur zu gestalten. Aus der Arbeit in unseren Werkstätten und Communities heraus stellen wir folgende Thesen zur Digitalisierung auf:
1) Digitale Strategie- Wir brauchen eine föderale Digitalisierungsstrategie
Der digitale Wandel erfordert Einsatz und sorgfältige Planung. Er geht nicht „nebenbei“, sondern muss als gemeinsame und dauerhafte Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen – nicht nur technologisch – verstanden und betrieben werden. Aufgabe der Politik dabei ist es, den Rahmen für die Implementierung der Digitalstrategie in der öffentlichen Verwaltung zu setzen. Die geltenden Gesetze müssen dies unterstützen und den Abruf digitaler Lösungen für alle Verwaltungen erlauben.
Es braucht eine gemeinsame, kooperative Digitalisierungsstrategie und einen föderalen „App-Store“ für die Verwaltung.
- Zusammen sind wir stärker!
Die ressort- und ebenenübergreifende Zusammenarbeit ist der Schlüssel für die Entfaltung der immensen Potentiale, die in der Verwaltung schlummern. Netzwerkarbeit ist zwingend ein Teil der Verwaltungsarbeit. Wir müssen weg vom organisierten Silodenken und stärker in die moderne Projektarbeit, die Nutzen und Kundenerfahrung in den Mittelpunkt stellt.
Für Digitalprojekte müssen die besten Expertinnen und Experten ressort- und ebenenübergreifend zusammenarbeiten können. Hierbei muss behördenübergreifendes Co-Working in crossfunktionalen Teams ein zentrales Element darstellen.
- User Experience und Kundenerlebnis
Die digitale Verwaltung muss ein optimales Kundenerlebnis für interne und externe Nutzerinnen und Nutzer bieten. Dafür sind neben nutzerorientierten Produkten und behördenübergreifenden Schnittstellen auch Selbstverständlichkeiten, wie die konsequente Umsetzung des Once-Only-Prinzips, einheitliche Identifikatoren oder eine durchgängig digitale Interaktion umzusetzen.
Die digitale Interaktion mit dem Staat muss so einfach und komfortabel sein, wie die Nutzung der Dienste und Plattformen der Tech-Konzerne.
- Probieren geht über Studieren!
Neue Technologien und neue Ideen bergen nicht selten Risiken. Digitalisieren bedeutet auch, Risiken bewusst und kalkuliert einzugehen. Hierfür benötigt es Wissen, um die bestehenden Spielräume zu erkennen, Mut, diese zu nutzen und Möglichkeiten, um neue Technologien und Ideen in ressortübergreifenden Teams auszuprobieren!
Daher braucht es praxisnahe Digitalisierungslabore und eine Klarstellung der gesetzlichen Spielräume. Eine Experimentierklausel, die die bestehenden Restriktionen für die Startphase teilweise und mit zeitlicher Begrenzung aufhebt, ist erforderlich. Selbst schauen, was möglich ist und mit Prototypen das Verständnis für neue Geschäftsabläufe in der digitalen Welt erfahrbar machen. In einer Verstetigungsphase werden die Laborergebnisse dann regelungskonform ausgebaut und mit Entwicklungspartnern auf Augenhöhe umgesetzt.
- Digitale Musketiere: Dezentrale Macher für zentrale Nutzung
„Einer für alle, alle für einen“ muss sich lohnen. Ein dezentrales Innovationscluster, das IT-Dienstleister und öffentliche Institutionen mit Innovationspotential bündelt und operative Zusammenarbeit und Nachnutzung nicht nur erlaubt, sondern fördert, ist notwendig: Eine auf den Föderalismus angepasste Blaupause des britischen Government Digital Service, die Innovationsideen im Verwaltungswettbewerb mit den erforderlichen Ressourcen ausstattet und schlagkräftig umsetzen kann.
Wir brauchen ein monatliches Innovations-Bootcamp und Teilnahme in Spezialisten-Netzwerken.
- Horizontale und vertikale Vernetzung
Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen sollen föderale, strukturelle oder hierarchische Grenzen nicht mehr als Hürden wahrnehmen. Eine moderne Verwaltung muss in der Außenwirkung als verlässliche Partnerin im Ganzen wahrgenommen werden. Die Behörden müssen sich daher als gemeinsame Organisation verstehen und die kooperative und ebenenübergreifende Zusammenarbeit innen wie außen stärken, indem sie Personal und Ressourcen dafür bereitstellen. Hierbei ist die nach wie vor stark differenzierte Ressortzuständigkeit im Bereich der Digitalisierung eine große Herausforderung.
- Begeisternd führen!
Führung ist eine anspruchsvolle Aufgabe und nicht jede Vorgesetzte und jeder Vorgesetzte ist auch Führungskraft. In einer vernetzten Verwaltung sind Führungskräfte Möglichmacherinnen statt Alleinentscheider.
In einer neuen Verwaltungskultur braucht es eine veränderte Arbeits- und Führungskultur, in der Führungskräfte als digitale Generalisten die technologischen Entwicklungen und veränderten Anforderungen verstehen und so ihre crossfunktionalen Teams unterstützen können.
- Wer wissend ist, der macht!
Wissen entfaltet erst dann Nutzen für die Verwaltung und die Gesellschaft, wenn es geteilt wird. Die Relevanz einer Information lässt sich an der Anzahl der Adressatinnen und Adressaten und nicht nur an der Höhe einer Verschlusssachen-Einstufung ablesen.
Wir müssen weg vom „verteilten Wissen“ und hin zum Arbeiten mit „geteiltem Wissen“, so dass wir Erfolgsgeschichten, aber auch Sackgassen transparent kommunizieren und Teilhabe ermöglichen.
- Lernen macht beweglich
Lernen muss ein elementarer Bestandteil der digitalen Verwaltung werden und ebenenübergreifend stattfinden. Auch neue Arten der Führung und Zusammenarbeit müssen erlernt und erprobt werden. Open Data muss Standard sein und erfordert auch Datenkompetenz (Data Literacy). Der Einsatz neuer Technologien bedarf einer digitalen Anpassungsfähigkeit auf allen Verwaltungsebenen.
Hierzu schlagen wir – über die aktuellen Initiativen hinausgehend – die Gründung einer gemeinsamen Digitalakademie von Bund, Ländern und Kommunen vor.
Wie sehen Sie die Sache? Sagen Sie es uns auf Twitter unter @NExTNetz.
Sven Egyedy ist Vorstandsvorsitzender des NExT e. V. und seit September 2017 Leiter der Auslands-IT und Chief Technology Officer (CTO) des Auswärtigen Amts. Neben Stationen im BMF, BMI und dem BMVg sowie deren Geschäftsbereichen war er von 2011 bis 2015 Commercial Coordinator für die Bauverträge des Kernfusionsreaktors ITER bei der europäischen Joint Undertaking Fusion for Energy F4E. Egyedy promovierte in den Sozialwissenschaften.