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Digitalisierung & KI

Standpunkte Und täglich grüßt ... die Azure Cloud

Peter Gerdemann, Fachexperte für IT- und Wirtschaftskommunikation
Peter Gerdemann, Fachexperte für IT- und Wirtschaftskommunikation Foto: Gerdemann Communication

Micosoft ist überall. Und drei Geschichten aus der jüngsten Vergangenheit zeigen, wie der US-Tech-Riese seine Marktdominanz immer mehr festigt. Das passiert vor allem durch die Rolle der Azure Cloud, schreibt Peter Gerdemann.

von Peter Gerdemann

veröffentlicht am 05.08.2024

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Man kann nicht nicht per Teams kommunizieren. Paul Watzlawicks erster Grundsatz der menschlichen Kommunikation – „Man kann nicht nicht kommunizieren“ – hat mit der allgegenwärtigen Software von Microsoft im Unternehmensalltag eine interessante Zuspitzung erfahren. Wer versucht, Alternativen zum Marktführer zu nutzen, scheitert an doppeltem Vendor Lock-in, zu deutsch Lieferantenbindung: Erstens technologisch, da zum Beispiel das Kommunikationsprotokoll bei Videokonferenzen proprietär ist und sich keine Nutzer anderer Plattformen zuschalten können. Und zweitens kollektiv, weil die schiere Zahl der Teams-Nutzer Sogwirkung entfaltet. Wer Teams nicht nutzt, verliert Kontakte zu Kunden und Partnern.

Nun ist Vendor Lock-in kein neues Phänomen und keine Erfindung von Microsoft. Die Technologieindustrie war schon immer gut darin, über De-facto-Standards Marktdominanz zu schaffen. Allerdings: Geschwindigkeit und Reichweite des Aushebelns freier Entscheidungen der Kunden sind Anlass zur Sorge. Die Redmonder verstehen es, ihre Version der wichtigsten Technologien dieser Tage – Office 365 und Teams, gespeist aus der Azure-Cloud und angereichert mit Copilot-KI – geschickt zu kombinieren. Die Lizenzpraxis und Hemmnisse wie Egress Fees (Strafgebühren beim Wechsel zu einem anderen Cloudanbieter) schnüren jede Wahlfreiheit ein. Es gibt kein Entrinnen, während zugleich erhebliche Bedenken bezüglich Microsofts Sicherheitskultur herrschen und Politik und Behörden in den USA und in Europa zu konfrontativen Mitteln wie Anhörungen und Klagen greifen, um überhaupt zu den Verantwortlichen durchzudringen.

Drei Geschichten zeigen die Macht von Microsoft

Drei Geschichten aus den vergangenen Wochen lassen in diesem Zusammenhang aufhorchen. Und sie haben einen Tenor: Microsoft profitiert mit seinen Cloudangeboten.

So soll die KI-Lösung „Siemens Industrial Copilot“ Kunden etwa bei der häufigen Umprogrammierung der Steuerungen von Sondermaschinen unterstützen. Ein ökonomisch attraktives Effizienzversprechen: Denn Siemens rollt laut „Handelsblatt“ zuerst eine kostenlose Basisversion aus, die dauerhaft bestehen bleiben soll, auch wenn eine kostenpflichtige Premiumvariante folgt. Das Freemium-Modell verschiebt zusätzliche direkte Erlöse aus Copilot für Siemens in die Zukunft. Unmittelbar profitiert nur Microsoft, denn die Azure-Cloud ist Voraussetzung zur Teilnahme. Und deren Nutzungskosten werden absehbar steigen.

Dann hören wir, dass der Bundeskanzler der SAP-Tochter Delos Cloud beisprang und deren Einsatz bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Juni nahelegte. Offenbar veranlasste schleppende Nachfrage den außergewöhnlichen Werbeeinsatz für die mit dem Label „souverän“ versehene Cloudlösung für den öffentlichen Sektor. Profiteur: Microsoft. Denn die Delos Cloud sei zwar „technisch, betrieblich und juristisch deutsch“, wie Delos Programm-Manager Christian Bender dem Fachportal „Cloudcomputing Insider“ sagte. Allerdings fußt sie auf Microsoft Azure und hat somit auch gleich die übrigen Applikationen des Hauses an Bord, die es künftig ohnehin nur noch aus der Cloud geben soll.

Während keine Zweifel am Nutzen von KI und am Modernisierungsbedarf in Industrie und Verwaltung herrschen, stellt sich die Frage, ob die Standard-Antwort stets Microsoft lauten sollte. Die Marktkonzentration schreitet munter voran und das schürt Zweifel an der Souveränität, mit der so sensible Anwender wie die öffentliche Verwaltung und der industrielle Kern Deutschlands künftig KI-Nutzen aus der Cloud schöpfen.

Monokulturen abbauen, Cloudportfolio diversifizieren

Das stellt – Geschichte Nummer drei – die Einigung zwischen dem Branchenverband Cloud Infrastructure Service Providers (CISPE) und Microsoft, mit der sich der Cloudkonzern aus der drohenden Wettbewerbsbeschwerde und folgenden hochnotpeinlichen Befragung eines europäischen Kartellverfahrens freikauft, ins Zwielicht. Ein Bärendienst an den im europäischen Cloudverband zusammengeschlossenen Anwendern sei das, urteilen IT-Rechtler und Anwendervertreter. In der Tat, denn auch hier profitiert vor allem Microsoft, das seine vielfach kritisierten Lizenzpraktiken nun wieder ohne permante Bedrohung weitertreiben kann.

Die Abhängigkeiten werden so gewiss nicht kleiner und die Hürden für selbstbewusste und souveräne Multicloudansätze wieder höher. Und trotzdem sollten IT-Verantwortliche sich dringend fragen: Wie lassen sich Klumpenrisiken und Vendor Lock-ins vermeiden? Es gilt, das Risikoprofil bei der Nutzung von Bürosoftware und KI aus der Cloud regelmäßig neu zu bewerten und Anbieter in die Pflicht zu nehmen. Der Abbau von Monokulturen und Diversifizierung des Cloudportfolios ist die wichtigste Aufgabe. Dabei sollte auf Interoperabilität von Lösungen Wert gelegt werden und die Wettbewerbsfreude der Anbieter ein Top-Auswahlkriterium sein.

Unternehmen wie Microsoft sind keine unantastbaren Mächte des digitalen Zeitalters, sondern stehen wie alle Unternehmen im Spannungsfeld ihrer eigenen Interessen und jenen ihrer Kunden. Diese Kunden sind gut beraten, ihre IT-Anbieter selbstbewusst herauszufordern und unnötige Abhängigkeiten und Risiken souverän und wirtschaftlich vertretbar zu vermeiden.

Peter Gerdemann ist selbständiger Fachexperte für IT- und Wirtschaftskommunikation.

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