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Standpunkte Virtuelle Aktionärsrechte sind das „neue Normal“

Robert Peres, Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre
Robert Peres, Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre Foto: Daniel Biskup

Die digitale Hauptversammlung bei Aktienunternehmen wurde während der Pandemie als Notlösung eingeführt, aber jetzt gibt es sie dauerhaft. Das bedeutet weniger Möglichkeiten für die Aktionäre. Der Gesetzgeber sollte daher über eine Hybridlösung wie im Vereinsrecht nachdenken, meint Robert Peres von der Initiative Minderheitsaktionäre.

von Robert Peres

veröffentlicht am 02.06.2023

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Manche Bürger fragen sich vielleicht, warum man sich überhaupt über Aktionärsrechte Gedanken machen soll, obwohl das Thema nur eine kleine Minderheit betrifft. Schließlich besitzen lediglich um die acht Prozent der Deutschen Aktien, insgesamt 18 Prozent sind indirekt durch Anlageinstrumente in Wertpapiere investiert. Aber vielleicht besteht ja gerade hier und im Hinblick auf diese Zahlen eine fatale Wechselwirkung?

Wenn das Engagement in Aktien so erschwert wird wie in Deutschland, beispielsweise durch das Steuerrecht, braucht man sich nicht über ein gewisses Desinteresse zu wundern. Hinzu kommt eine über Jahre laufende Entrechtung von Aktionären durch das deutsche Gesellschaftsrecht. Gerade erleben wir eine weitere Dimension der Beschneidung von Einflussmöglichkeiten durch die Einführung der virtuellen Hauptversammlung (HV). Die temporäre Umstellung von Präsenz- auf Onlineversammlung wegen der Covid-Einschränkungen wurde Anfang 2020 noch zähneknirschend von den Aktionärsvertretern begrüßt. Schließlich konnten so die 14.000 Aktiengesellschaften in Deutschland trotz Kontaktbeschränkungen ihre Jahrestreffen rechtssicher durchführen und wichtige Unternehmensentscheidungen treffen.

Regierung hat Ausnahme zur Regel erklärt

Allerdings hat die Bundesregierung dann im Sommer 2022 einfach die Ausnahme zur Regel erklärt. Dieses „New Normal“ führt zu einer deutlichen Verschlechterung von bisher geltenden Frage- und Interventionsmöglichkeiten für Investoren. Unternehmen können jetzt entscheiden, wie sie ihre Versammlungen durchführen wollen – die Aktionäre müssen zwar mehrheitlich zustimmen, allerdings haben Minderheitsaktionäre keine Möglichkeit einer Anfechtung des Beschlusses.

Ebenso bedenklich waren kürzlich die Terminballungen am 11. und 17. Mai. An diesen beiden Tagen alleine hielten mehr als 35 Unternehmen ihre Hauptversammlungen ab, darunter die Dax-Unternehmen Adidas, BMW, SAP, Eon und die Deutsche Bank. Man fragt sich wirklich, ob das alles Zufall ist, oder ob dahinter der Zweck verfolgt wird, die Investoren-Community zu spalten und damit zu schwächen.

Unternehmen nutzen Chance zur digitalen Durchführung

Selbst Profianleger schaffen es nicht, an mehreren Hauptversammlungen pro Tag teilzunehmen – selbst, wenn sie virtuell stattfinden. Von den 40 Dax-Unternehmen führen einige wenige Konzerne ihre HV in diesem Jahr trotz der vom Gesetzgeber geschaffenen neuen virtuellen Möglichkeit in Präsenz durch. Dazu gehören Airbus, BASF, Henkel, Porsche, Qiagen und Symrise. Das ist lobenswert. Auch die Deutsche Telekom AG und die Freenet AG haben sich gegen das digitale Format entschieden. Die meisten Börsenunternehmen nutzen allerdings die Option der digitalen Durchführung und begründen dies meist mit Nachhaltigkeitsaspekten und der Kostenersparnis. Beide Punkte sind vorgeschoben, wie ein Blick auf die Boni-Struktur einiger Vorstandsmitglieder und die schwache CO2-Bilanz vieler großer Unternehmen nahelegt.

Bei genauer Betrachtung erkennt man, was durch die Flucht ins Internet erreicht werden soll: die Abkopplung von den eigentlichen Eigentümern. Sie sollen außen vor bleiben und unangenehme Fragen sollen ins Vorfeld geschoben werden. Absprachen mit Großaktionären, wie etwa Blackrock, finden im Hinterzimmer statt. Auch sind Präsenzhauptversammlungen in der Vergangenheit schon mal eskaliert. Protestaktionen gab es beispielsweise bei Energiekonzernen. Störer demonstrierten bei RWE gegen die Atomkraft und später gegen die Kohle. Auch Volkswagen war immer wieder Ziel von Aktivisten, zuletzt bei der aktuellen HV, wo Klimakleber die Zufahrt versperrten und Aktivisten mit Kuchen auf Aufsichtsrat Wolfgang Porsche warfen. Nur sind Aktivisten aber meist keine Aktionäre und kapern eine Hauptversammlung lediglich für ihre politischen Ziele. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Aktionärsdemokratie den Bach runter geht.

Kritischer Dialog ist nun stark eingeschränkt

Ursprünglich versprach nämlich die Regierung laut Koalitionsvertrag, dass die Aktionärsrechte in einer virtuellen Form der HV gegenüber der klassischen Form gleichwertig sein würden. Davon kann aber keine Rede sein. Eine rein virtuelle HV ist aus Sicht der Aktionäre eine klare Verschlechterung, denn das Fragerecht kann über eine Pflicht zur Vorab-Einreichung beschränkt werden und nicht adressierte Themen können dann auch nicht über das Nachfragerecht eingeführt werden – es sei denn, der Vorstand lässt dies zu.

Generell fehlt bei der virtuellen HV die direkte Interaktion zwischen den Aktionären und dem Management sowie den Aktionären untereinander. Ein kritischer Dialog, wie er üblicherweise stattfand, ist nur noch stark eingeschränkt möglich. Vieles ist im Online-Format mehr oder weniger Frontalunterricht. Hinzu kommt, dass bei einer digitalen Durchführung technische Probleme auftauchen können. So gab es während der Hauptversammlungen von TUI und Siemens Energy Übertragungsprobleme, teilweise auch schwarze Bildschirme. Wer haftet bei Kommunikationsfehlern? Klar ist, ein Internetausfall beim Empfänger wird diesem zugerechnet, ein Anfechtungsgrund ist dann ausgeschlossen. So soll jetzt wohl das „neue Normal“ aussehen.

Hybrides Modell wäre wünschenswert

Der Gesetzgeber jedenfalls hat sich eine Option der Neubewertung offengelassen und wird in fünf Jahren die Regelungen zum digitalen Aktionärstreffen erneut analysieren. Zu wünschen wäre dabei die Einführung eines hybriden Modells, also einer Präsenzversammlung, bei der sich andere Gesellschaftsmitglieder online zuschalten lassen können. Das würde für alle Aktionäre eine Wahlmöglichkeit lassen und damit auch eine höhere Teilnehmerzahl begünstigen.

Bisher ist bei den virtuellen Meetings nur eine Teilnahmequote von 67 Prozent des stimmberechtigten Kapitals erreicht worden. Dies ist gegenüber der Präsenzversion keine Verbesserung. Beim Vereinsrecht wurde gerade das hybride Format gesetzlich ermöglicht. Das wäre auch für Aktiengesellschaften zu wünschen, denn damit könnte der Aktionärsdemokratie und der Popularität der Aktie gedient werden.

Robert Peres ist Rechtsanwalt und Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre, die sich für die Stärkung der Aktionärsrechte in Deutschland einsetzt.

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