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Standpunkte Warum eine Deutschland-App nur der Anfang sein kann

Elisabeth Schulze-Hulitz, Expertin für Verwaltungsdigitalisierung, Detecon
Elisabeth Schulze-Hulitz, Expertin für Verwaltungsdigitalisierung, Detecon Foto: Elisabeth Schulze-Hulitz, Managerin bei Detecon. Foto: Detecon

Die Grünen wollen, dass Behördengänge künftig über eine zentrale „Deutschland-App“ erledigt werden können. Die Vision einer zentralen Verwaltungs-App ist sinnvoll, findet Elisabeth Schulze-Hulitz von der Technologieberatungsfirma Detecon – doch sei diese zu kurz gedacht, wenn es darum gehen soll, die Probleme der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland zu lösen. Hinter der digitalen Fassade müssten robuste und interoperable Systeme stehen.

von Elisabeth Schulze-Hulitz

veröffentlicht am 05.12.2024

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Ein Besuch beim Bürgeramt kann für viele Bürger:innen in Deutschland eine Geduldsprobe sein. Man wartet wochenlang auf einen Termin, muss Wartezeiten in Kauf nehmen und erfährt dann, dass ein wichtiges Dokument fehlt und der Sachbearbeiter das Anliegen leider nicht bearbeiten kann. Initiativen wie das Onlinezugangsgesetz (OZG) oder „Einer für Alle“ (EfA) sollten Abhilfe schaffen – doch der erhoffte Digitalisierungsschub blieb bisher aus. Die Grünen forderten deshalb kürzlich eine Deutschland-App. Die Hoffnung: Als komfortable, nutzerfreundliche Plattform könnte sie einen wichtigen Schritt darstellen, um den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen zu verbessern. Von der Anmeldung eines neuen Wohnsitzes bis zur Kfz-Zulassung – alles könnte mit wenigen Klicks erledigt werden. Doch kann eine App wirklich die Lösung für die schleppende Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland sein?

Wo die Verwaltungsdigitalisierung noch hakt

Die Vision einer zentralen Verwaltungs-App ist sinnvoll, taucht allerdings schon seit längerem immer wieder auf. Und bislang blieb es bei vielversprechenden Ansätzen. Bonn, Paderborn und Mannheim nutzen beispielsweise eine Smart-City-App der Deutschen Telekom, um mittels digitaler Lösungen die Interaktionen zwischen Bürger:innen und Behörden zu erleichtern. Über solche Plattformen lassen sich Anträge stellen, Termine buchen oder relevante Informationen zu Kultur, Sozialem und Politik abrufen. Diese Angebote schaffen nicht nur praktischen Nutzen, sondern stärken auch die Bindung der Bürger:innen zu ihrem Wohnort. Gleichzeitig bieten sie Städten die Möglichkeit, zentrale Plattformen zu schaffen, die einen schnellen und einfachen Zugang zu relevanten Informationen und Terminen der Gemeinde ermöglichen.

Doch eine App allein ist zu wenig, um die Probleme der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland zu lösen. Hinter der digitalen Fassade müssen robuste und interoperable Systeme stehen, die die Ende-zu-Ende-Bearbeitung von Anträgen ermöglichen. Anfragen digital empfangen zu können, ist nur der erste Schritt. Es geht darum, sie auch effizient und durchgängig zu bearbeiten. Ohne eine solche Infrastruktur bleibt jede App lediglich ein Schaufenster, das keinen Zugang zu durchdigitalisierten Leistungen bietet.

Eine weitere Herausforderung ist die fehlende Nachfrage in der Bevölkerung, etwa beim elektronischen Personalausweis. Obwohl laut Bundesinnenministerium (BMI) bis zum 31. Oktober 2023 rund 56,57 Millionen – das entspricht 92 Prozent – der Personalausweise mit einer aktivierten Online-Ausweisfunktion ausgestattet waren, nutzen lediglich 14 Prozent diese Möglichkeit tatsächlich. Das zeigt eine jährliche Studie der Initiative D21. Selbst in digitalaffinen Altersgruppen bleibt die Nutzung überschaubar: In der Generation Z liegt der Anteil bei 28 Prozent, in der Generation Y bei 16 Prozent. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Viele Bürger:innen erkennen keinen klaren Mehrwert, der Aktivierungsprozess gilt als umständlich, Sicherheitsbedenken schrecken ab, und es mangelt oft an verständlichen Informationen und Unterstützung. Selbst in den Behörden fehlt es häufig an ausreichend geschultem Personal, um die Nutzung zu fördern.

Ein Blick zu den Nachbarn

Ein Vorbild für die Umsetzung könnte die niederländische „DigiD“ sein. Über diese zentrale Plattform mit sicherer Zwei-Faktoren-Authentifizierung können Bürger:innen und Unternehmen zahlreiche Dienstleistungen nutzen – von der Ummeldung bei der Stadtverwaltung bis zur Steuererklärung. Die niederländische Lösung zeigt, wie eine zentrale Infrastruktur die Verwaltung zugänglich und nutzerfreundlich machen kann.

In Deutschland fehlt dagegen ein einheitliches Konzept dazu, wie eine funktionierende digitale Verwaltung konkret aussehen soll oder kann. Das liegt vor allem an den unterschiedlichen föderalen Ebenen, die zwar schon viele Einzelbausteine geschaffen haben, die aber oft schlecht aufeinander abgestimmt sind: Prozesse bleiben fragmentiert, Systeme greifen nicht ineinander, zentrale Funktionen fehlen. Zwar gibt es zahlreiche Vorgaben, wie die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen umgesetzt werden soll, doch mangelt es in der Behördenlandschaft an einer klaren Strategie, verbindlichen Zeitplänen und einer abgestimmten Verteilung von Verantwortlichkeiten. Digitalisierung ist Stückwerk – es fehlt der Bauplan für eine durchgängig digitale Verwaltung. Die Realität zeigt: Brüche in den digitalen Prozessen – von der fehlenden Registermodernisierung über das mangelnde Zusammenspiel von Portalen bis hin zu ungeklärten Supportstrukturen – erschweren den Fortschritt erheblich. Die Vielzahl der beteiligten Akteure mit unterschiedlichen Interessen erschwert es zusätzlich, endlich zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Ohne eine durchgängige funktionierende Digitalisierung bleibt auch die innovativste Anwendung nur eine schön gestaltete Oberfläche.

Technische Standards und klare Zuständigkeiten

Damit eine Deutschland-App mehr als eine digitale Visitenkarte wird, braucht es eine ganzheitliche Digitalstrategie und einen verbindlichen Umsetzungsplan. Dazu gehören unter anderem einheitliche technische Standards für eine durchgängige Digitalisierung, interoperable Schnittstellen und die klare Vereinbarung von Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Nur so ist es möglich, Brüche in den Prozessen zu schließen und eine einheitliche Nutzererfahrung zu schaffen.

Damit das gelingt, müssen wir uns folgende Fragen stellen:

  • Welche strukturellen Voraussetzungen braucht es, um eine echte Ende-zu-Ende-Digitalisierung zu schaffen?
  • Wie gelingt eine sichere und einfache Authentifizierung?
  • Welche Funktionalitäten sind notwendig, um den Alltag der Bürger:innen spürbar zu erleichtern?

Digitalisierung gemeinsam vorantreiben

Die Einführung einer Deutschland-App kann ein Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen und effizienten Verwaltung sein. Entscheidend ist dabei, die zugrunde liegenden Prozesse vollständig zu digitalisieren, miteinander zu verzahnen und aufeinander abzustimmen.

Daher ist es nötig, bestehende Strukturen durchlässiger zu machen und einheitliche Standards zu schaffen. Nur wenn technische und organisatorische Hürden abgebaut werden, können Verwaltungsprozesse reibungslos ablaufen und digitale Angebote ihr volles Potenzial entfalten. Die Digitalisierung der Verwaltung ist zweifelsohne komplex – ein Scheitern hätte jedoch gravierende Folgen für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Eine Deutschland-App muss als zentrales Element eines funktionierenden Gesamtsystems verstanden werden, in dem alle Teile nahtlos ineinandergreifen. So wie ein Orchester nur dann harmonisch spielt, wenn jedes Instrument im Einklang agiert, kann auch die Digitalisierung der Verwaltung nur durch ein abgestimmtes Zusammenspiel aller Akteure gelingen. Das ist nun eine große Aufgabe für die nächste Regierungskoalition als Dirigenten.

Elisabeth Schulze-Hulitz ist Managerin bei Detecon und Expertin für die ganzheitliche Digitalisierung und Modernisierung von Verwaltungen. Sie unterstützt Behörden auf allen föderalen Ebenen bei der digitalen Transformation. Sie ist zudem Autorin verschiedener Publikationen in den Themenbereichen Smart Government und Smart City.

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