Standpunkte Warum KI allein die Verwaltung nicht digitalfähig macht

Künstliche Intelligenz kann der Verwaltung nicht helfen. Niemand versteht, wie sie zu Entscheidungen kommt. Die Verwaltung muss aber transparent und nachvollziehbar entscheiden. Um KI zu verwenden, braucht die Verwaltung Rulemapping. Diese Methode stellt Entscheidungsprozesse logisch und nachvollziehbar dar und macht sie maschinenlesbar, schreiben die Gründer der Rulemapping Group, Till Behnke und Stephan Breidenbach.
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Jetzt kostenfrei testenViele Menschen erleben die Verwaltung als Maschine für bürokratische Hürden – kompliziert, langsam und nicht nachvollziehbar. Das Gefühl entsteht, der Staat agiere gegen sie statt für sie. Dabei ist eine funktionstüchtige Verwaltung essenziell für unsere Demokratie: Wenn Bürger:innen erleben, dass die Verwaltung funktioniert und ihre Bedürfnisse ernst genommen werden, stärkt das nicht nur die staatliche Handlungsfähigkeit, sondern vor allem das Vertrauen in staatliche Institutionen.
Was wir deshalb dringend benötigen, sind effizientere und transparentere Prozesse und Entscheidungen. Aus diesem Grund gehört die Digitalisierung der Verwaltung zu den wichtigsten Modernisierungsprojekten unserer Zeit.
Doch trotz massiver Investitionen, wie die über vier Milliarden Euro für das Onlinezugangsgesetz, bleiben die Ergebnisse ernüchternd. Vielerorts wurden lediglich Teile analoger Prozesse digitalisiert, ohne die dahinter liegenden Abläufe zu überdenken: Anträge können online eingereicht werden, landen aber oft ausgedruckt auf den Schreibtischen der Behörden. Statt echter Modernisierung dominieren Insellösungen, die langfristig zu ineffizienten Prozessen führen und Bürger:innen wie Sachbearbeitende gleichermaßen frustrieren.
Hoffnungsträger KI?
Die Verwaltung steht vor enormen Herausforderungen, denn die Regulierung nimmt zu – trotz aller Bestrebungen des Bürokratieabbaus. Es gibt immer mehr und kompliziertere Verwaltungsverfahren, Anträge und Klagen. Hinzu kommt der demografische Wandel: Bis 2030 könnten laut Städte- und Gemeindebund 230.000 Stellen in deutschen Kommunen unbesetzt bleiben. Gleichzeitig wächst der Druck auf staatliche Institutionen, schneller, präziser und transparenter zu arbeiten – sowohl im Interesse der Bürger:innen als auch zur Wahrung der demokratischen Legitimation.
Künstliche Intelligenz (KI) wird vielfach als Allheilmittel präsentiert, das diese Probleme lösen könnte. Sie soll Prozesse effizienter machen, Verwaltungsmitarbeitende entlasten und die Behörden fit für die Zukunft machen. Tatsächlich hat KI großes Potenzial, etwa bei der Automatisierung von Routineaufgaben oder der Analyse großer Datenmengen. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass KI allein die strukturellen Herausforderungen der Verwaltung nicht bewältigen kann.
Warum Wahrscheinlichkeiten nicht reichen
Das Bundesinnenministerium fordert in seinem KI-Leitbild, dass der Einsatz von KI in der Verwaltung gesetzeskonform, menschenzentriert und transparent sein muss. Doch bislang gibt es keinen Anbieter von KI-Lösungen, der diese Prinzipien vollständig umsetzen kann – insbesondere was die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen betrifft.
Probabilistische KI-Modelle wie Large Language Models basieren auf Wahrscheinlichkeiten und liefern Antworten, die statistisch am wahrscheinlichsten erscheinen. Doch Verwaltungsprozesse und rechtliche Entscheidungen erfordern keine Schätzungen, sondern eindeutig korrekte Antworten – basierend auf klaren gesetzlichen Vorgaben. Eine falsche Entscheidung kann rechtliche Konsequenzen haben und das Vertrauen der Bürger:innen in staatliche Institutionen beschädigen.
Hinzu kommt ihre Anfälligkeit für „Halluzinationen“: plausible, aber faktisch falsche Antworten. Während dies in anderen Anwendungsbereichen tolerierbar sein mag, ist es in einem rechtssensiblen Umfeld wie der Verwaltung, wo Transparenz und Nachvollziehbarkeit essenziell sind, schlichtweg inakzeptabel.
Regelbasierte Systeme als Lösung
Die Digitalisierung der Verwaltung muss daher auf regelbasierten Systemen aufbauen, die Entscheidungsprozesse standardisiert und nachvollziehbar abbilden. Verwaltungsentscheidungen erfordern, dass jeder Einzelfall Schritt für Schritt geprüft wird, um ihn mit den relevanten rechtlichen Vorgaben abzugleichen und eine korrekte, rechtskonforme Entscheidung zu treffen.
Ein hybrider Ansatz bietet hier eine zukunftsfähige Lösung: Digitale Regelwerke können Entscheidungsprozesse in maschinenlesbarer Form standardisieren. In Kombination mit KI lassen sich so präzise Antworten für klar abgegrenzte Teilfragen bis auf Tatbestandsmerkmal-Ebene generieren, ohne dass das gesamte System auf Wahrscheinlichkeiten angewiesen ist.
Warum wurde das bislang nicht umgesetzt? Ein Kernproblem ist, dass Gesetze nicht für die digitale Welt gemacht sind. Viele rechtliche Vorgaben sind so formuliert, dass sie zwar für Menschen lesbar sind, aber nicht von Maschinen verarbeitet werden können. Zudem fehlen einheitliche Standards, wie digitale Regelwerke gestaltet oder gepflegt werden sollten. Verwaltungen arbeiten häufig mit unterschiedlichen Prozessen und Datenformaten, was die Entwicklung einheitlicher Lösungen erschwert. Erst in jüngster Zeit wurden Ansätze entwickelt, rechtliche Vorgaben systematisch zu digitalisieren und maschinenlesbare Strukturen zu schaffen – eine notwendige Grundlage für hybride Systeme.
Klare Regeln statt Black-Box-Algorithmen
Ein regelbasiertes System, wie es die Rulemapping-Methode als offener Standard ermöglicht, zerlegt komplexe Entscheidungsprozesse in kleine, logisch verknüpfte Einzelschritte. Diese basieren auf digitalen Regelwerken, die Normen und ihre Abhängigkeiten standardisiert und visuell darstellen – wie eine digitale Landkarte. Jede Teilentscheidung ist nachvollziehbar und kann von Sachbearbeitenden überprüft werden.
Dadurch entstehen klare, transparente Prozesse: Probabilistische KI wird gezielt für spezifische Fragestellungen eingesetzt, die keine Halluzinationen oder fehlerhaften Ergebnisse erlauben. Gleichzeitig lassen sich solche Systeme schneller und kosteneffizienter implementieren als traditionelle Softwarelösungen, da die Entscheidungslogik direkt aus den digitalen Regelwerken abgeleitet wird.
Die Digitalisierung der Verwaltung darf nicht auf Wahrscheinlichkeiten basieren. Wenn wir darauf setzen, dass „die KI“ Prozesse von allein löst, riskieren wir eine Blackbox, die Entscheidungen trifft, die zwar wahrscheinlich erscheinen, aber nicht immer korrekt oder nachvollziehbar sind. Solche Fehler untergraben das durch ineffiziente Prozesse bereits angeknackste Vertrauen der Bürger:innen in staatliche Institutionen.
Um die Effizienz von Künstlicher Intelligenz bei der Digitalisierung der Verwaltung sinnvoll zu nutzen, braucht es regelbasierte Systeme, die Transparenz, Flexibilität und Rechtssicherheit gewährleisten. Nur so können wir die Verwaltung zukunftsfähig gestalten und das Vertrauen der Bürger:innen in staatliche Institutionen zurückgewinnen.
Till Behnke ist Gründer und Geschäftsführer der Rulemapping Group. Zuvor hat er die Nachbarschaftsplattform nebenan.de gegründet. Stephan Breidenbach ist Chairman bei der Rulemapping Group. Er ist Jurist und Experte für digitale Gesetzgebung und Legal Tech.
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