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Standpunkte Warum wir uns auf die föderale Digitalstrategie freuen sollten

Lisa Steigertahl, Lead Innovation Strategist, Microsoft Deutschland
Lisa Steigertahl, Lead Innovation Strategist, Microsoft Deutschland Foto: Tobias Koch

Das zähe Verhandeln um eine föderale Digitalstrategie ist mitunter zu geladen von Spannungen, findet Lisa Steigertahl. Die Digitalexpertin von Microsoft wünscht sich mehr positive Impulse und Dynamik, um ein Staatsversagen wegen zu langsamer digitaler Transformation abzuwenden. Welche praktischen Tipps sie dazu hat, lesen Sie im Standpunkt.

von Lisa Steigertahl

veröffentlicht am 25.09.2024

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Es ist ein regnerischer Morgen in Berlin, als mir plötzlich die föderale Digitalstrategie auf meinem Bildschirm erscheint – natürlich noch streng vertraulich und nicht final abgestimmt, ein 25-seitiger Entwurf. Ich drücke die Daumen und beginne zu lesen, sage meinen 9-Uhr-Termin ab und hole die (digitalen) Marker heraus. Die ersten Kapitel – zeitgemäßer Föderalismus, Vertrauen und Nachvollziehbarkeit – lesen sich wie geschmiert, auch was dann folgt überrascht. Der Entwurf sieht sich als Dachstrategie, umarmt und erweitert bestehende Ansätze, ohne den Ländern und Kommunen die Luft zur eigenen Entfaltung zu nehmen.

Standardisiert wird trotzdem. Was notwendig ist, wird adressiert, auch unangenehme Wahrheiten von Krisenfähigkeit bis hin zur zentralen Neuordnung. Auch Abschnitte zu Cloud-Technologien und Künstlicher Intelligenz sind drin. Pragmatisch wird versucht, unterschiedliche Interessen so nutzbringend wie möglich zusammenzuführen. Ab und an wird weichgespült, häufig mehr im gemeinschaftlichen Sinne der Bürgerinnen und Bürger, als für Unternehmen argumentiert.

Es braucht positive Impulse und mehr Dynamik

Im Vergleich zu 2023 ist nicht nur die Anzahl der Seiten komprimiert. Die neue Strategie fokussiert nicht mehr generell auf die breite Gesellschaft, sondern nimmt die Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen für Schwerpunkthemen in den Fokus. Dabei richtet sich das Augenmerk nicht nur auf die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch bewusster auf die eigenen Mitarbeitenden und internen Strukturen der Verwaltung. Wo vor einem Jahr noch im Detail zu Handlungsfeldern ausgeführt wurde, schaut das Papier nun konkreter auf Governance und den effizienten Einsatz von konkreten Technologien für eine beschleunigte Umsetzung der Digitalvorhaben.

Exakt 24 Stunden später sitze ich also mit positivem Schwung im Kreis der Auserwählten zur Diskussion mit den Federführenden. Was fällt auf? Schon vor der Diskussion hatten sich die Beteiligten Industrieexpertinnen negativ aufgeladen, der Himmel verdunkelt sich, und dann prasselt es los: Man müsse doch erstmal Bilanzen ziehen, konkrete Technologien und Standards benennen, es fehle die Barrierefreiheit, was ist mit dem Datenmanagement – und wie bitte? Mehr „EfA“? Das habe man noch nie richtig verstanden.

Dann Grundzweifel: Sind die Länder überhaupt schon geschlossen an Bord, wie abgestimmt ist der Vorschlag eigentlich? Versteht mich nicht falsch, diese Bedenken sind valide, gehören artikuliert und bringen auch Vorurteile aufgrund schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit auf den Tisch. Doch genau deswegen sind wir einbezogen, um mögliche Defizite aufzuzeigen, fachliche Bedenken zu äußern und positive Impulse zu setzen. Rein statische Kritik bringt die Diskussion nicht voran, ich wünsche mir mehr Dynamik. Das Angebot zum Austausch steht, und sogar eine mögliche offene Konsultation wird erwogen, es kann nicht nur Kritik hageln.

Ohne digitale Transformation droht ein Staatsversagen

Wenn wir alle nach mehr Demokratie rufen, sollten wir solche Diskussionen lösungsorientierter und offener führen, mehr aushalten können. Ohne Diskurs keine Demokratie, da braucht es nicht vor jedem Beitrag die Komplettabhandlung der Misserfolge aus den vergangenen Jahren. Warum also nicht zusammen die individuellen Kontexte besser verstehen, flexibel bleiben und das Papier wachsen lassen.

Ja, der Sommer ist vorbei, aber wir haben die Möglichkeit – und als Mitwirkende in solchen Strategieprozessen die Pflicht – auch Licht in die Diskussionen zu bringen. Bei Themen der Digitalpolitik mag Leichtigkeit nicht sofort intuitiv erscheinen, doch sie ist möglich und in diesen Zeiten unabdingbar.

Wir wissen: (1) Die Bedingungen, unter denen solche Strategien entstehen, sind schwierig: unterschiedliche Interessen, politischer Ehrgeiz und viel zu wenig Personal treffen auf Perfektionismus und Risikoaversion. (2) Wenn wir die digitale Transformation nicht beschleunigt umsetzen, droht ein Staatsversagen in vielen Bereichen, und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes wird international nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Was hilft es da, nur destruktiv zu poltern, ohne konstruktiv nach vorne zu denken? Bis zum November, wenn die Strategie vermutlich im IT-Planungsrat zur Abstimmung steht, haben wir Zeit, uns mental positiver einzustellen. Wo bleibt die Hoffnung?

Praktische Tipps für einen entspannteren Umgang

Damit wir Industrieexpert:innen und Strategieschaffende nicht bei null anfangen müssen, habe ich nun vier praktische Tipps zur Nachnutzung – inspiriert von überteuerten Umland-Retreats und frisch aus Berlin Mitte zusammengetragen. Diese sollen helfen, die Digitalstrategie mit einer positiveren Einstellung zu empfangen und dann mit harter Arbeit in die Umsetzung zu bringen. Vielleicht regen sie auch einfach nur zum Schmunzeln an.

Glaubenssätze: Wir glauben daran, dass:
(1) die digitale Transformation in Deutschland gelingt,
(2) wir die nötigen Werkzeuge dafür haben,
(3) wir bereit sind, hart dafür zu arbeiten.
(Täglich dreimal morgens laut sagen)

Bewusste Atmung: Wenn uns Begriffe wie „... only“, Smart Art mit Blitzen oder generische Formulierungen aufregen, hilft die 4-7-8-Atmung: Vier Sekunden durch die Nase einatmen, sieben Sekunden halten, acht Sekunden durch den Mund ausatmen. (Viermal in akuten Situationen)

Positive Führung: Wir gehen mit gutem Beispiel voran und betreiben die Umsetzung proaktiv. Auch ohne detaillierte Vorgaben schaffen wir reale Umsetzungsprojekte und gestalten die Auslegung der Strategie mit. Besonders in den Kommunen dürfen wir mutiger werden. Wir müssen uns nur trauen, Erfolge und Learnings herauszustellen: „just do it“. (Immer)

Schweigen: Überall sind Bildschirme, der Tag ist viel zu voll mit Terminen und der nächste Videocall wartet bereits. Auch ohne Putzdienst, ayurvedisches Essen und stundenlange Meditation kann es helfen, das digitale Leben einfach mal ruhen zu lassen und still zu sein. Die eigenen Gedanken auszuhalten. Wer weiß, vielleicht platzt der Knoten, und vor dem inneren Auge erscheint die zentrale IT-Architektur. (Für Anfänger:innen: 24 Stunden am Ort der Wahl, alle sechs Monate)

Falls das jetzt zu „hip“ klang und auch spontan kein Durst nach Matcha Latte entstanden ist, dennoch aber eine Arbeit an der eigenen Einstellung gewünscht wird, empfehle ich alternativ und trotz niedersächsischer Wurzeln das Rheinische Grundgesetz, insbesondere §6, §2 und §4: Ich hoffe sehr, dass wir es schaffen, digitalpolitisch endlich durchzustarten, denn „Et bliev nix wie et wor, et is wie et is“, und auch für die digitale Transformation gilt: „Et hätt noch immer joot jejange“.

Lisa Steigertahl ist Expertin für die digitale Transformation von Gesellschaften. Als Innovationsstrategin bei Microsoft Deutschland berät sie den öffentlichen Sektor bei der Gestaltung und Umsetzung von digitalen Lösungen. Zuvor leitete sie die E-Government Strategie für das Land Berlin und war Geschäftsführerin eines europäischen Dachverbands für innovative Unternehmen in Brüssel.

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