30 Jahre ist es her, dass Tim Berners-Lee den Grundstein für die Entstehung des World Wide Web legte. Seitdem galten die USA als Vorreiter für innovative Infrastrukturen und Produkte, die aus unserem Alltag heute nicht mehr wegzudenken sind. Viele dieser Innovationen wurden in Start-ups geschaffen, die keinerlei rechtlichen Bestimmungen unterlagen. Diesem Zustand wird jetzt ein Ende gesetzt.
Tech-Unternehmen haben das Thema Datenschutz lange vernachlässigt. Nun zeigt sich, dass dies nicht nur Schaden verursacht und die Verbreitung von Fehlinformationen begünstigt, sondern auch den Missbrauch von Nutzerdaten ermöglicht hat. Es scheint kaum ein Tag zu vergehen, ohne, dass ein neuer Datenschutzverstoß bekannt wird und Internetnutzer erfahren, dass ihre persönlichen Daten gesammelt oder verkauft wurden.
Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Tech-Industrie lässt nach
Der Stimmungsumschwung ist bereits wahrzunehmen und betrifft Tech-Unternehmen aller Größen. Nicht nur der fehlende Datenschutz ist für den Vertrauensverlust in die Tech-Industrie verantwortlich, auch Geschäftspraktiken und neue Technologien werden zunehmend hinterfragt. So verwarf Amazon im vergangenen Jahr seine Pläne für einen Hauptsitz in New York City aufgrund von Widerständen gegen das Unternehmen. Start-ups im Bereich der Vermietung von Elektrorollern hatten gleichzeitig in mehreren Städten weltweit mit starkem Gegenwind zu kämpfen. Zudem werden Forderungen nach einem Ethikrat und einem Aufsichtsgremium für Künstliche Intelligenz, autonome Fahrzeuge und Robotik-Unternehmen immer lauter.
Die DSGVO wirkt über Europa hinaus
In Europa gilt seit circa einem Jahr die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), auch in den USA werden Regulierungen folgen. Gesetze sind normalerweise an Ländergrenzen gebunden, doch Regelungen wie die DSGVO wirken sich in der Tech-Branche auch international aus.
Die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen verleihen der EU eine immense Macht, die diese zur Etablierung von Richtlinien im Internet nutzt. Darüber hinaus stellen diese Regulierungen eine direkte und große Herausforderung für die Ideologie dar, die die Tech-Industrie von heute noch immer definiert. Wenn Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley es nicht schaffen, das Thema Datenschutz in den Vordergrund zu stellen, dann riskiert der Vorreiter der Tech-Industrie seine bis dato gefestigte Stellung.
Grenzüberschreitende Regulierung
Mit einem Bruttosozialprodukt in Höhe von 16,8 Billionen Euro ist die EU der weltweit größte Wirtschaftsraum. Und damit bleiben Unternehmen nur wenige Optionen: Entweder bauen sie alternative Softwaresysteme und Prozesse für unterschiedliche rechtliche Hoheitsbereiche auf oder sie spielen nach den Regeln anderer. Im ersten Jahr der DSGVO ließ sich bereits beobachten, dass sich die Verordnung in kürzester Zeit zum Datenschutzstandard im Internet entwickelt hat.
Es ist unwahrscheinlich, dass ein anderes Kontrollorgan die EU als Autorität über digitale Monopole übertrumpfen wird. Die EU ist die einzige der globalen Mächte, die in der Position ist, Regelungen in der
Größenordnung der DSGVO oder der neuen digitalen Urheberrechtsgesetze zu erlassen. China beteiligt sich nicht an der Diskussion zu Datenschutz und persönlichen Daten, denn dort liegt der Fokus eher darauf, Daten zur staatlichen Überwachung zu nutzen. Im US-Kongress ist eine immer stärkere Polarisierung wahrzunehmen und infolgedessen werden Gesetze auf Ebene der Bundesstaaten auf den Weg gebracht, anstelle von parteiübergreifenden Versuchen auf Bundesebene.
Europa ist daher in einer guten Position, richtungsweisend für digitale Regulierungen zu agieren. Wie weit der Einfluss Europas tatsächlich reichen wird, wird sich zeigen.
Neue Richtlinien für den Datenschutz
Schon früh hat sich gezeigt, dass die Durchsetzung der DSGVO nicht auf die leichte Schulter genommen wird. Wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens wurden gegen Google bereits 2017 Bußgelder in Höhe von 6,2 Milliarden Euro verhängt. Im Rahmen der DSGVO haben Regulierungsbehörden die Möglichkeit, Bußgelder in Höhe von vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes eines Konzerns zu verhängen. Eine Milliarde hier und dort macht sich selbst bei den größten Unternehmen der Welt in Summe bemerkbar.
Angesichts der Sorge vor hohen Bußgeldern verändern Unternehmen ihre Sichtweise zum Thema Datenschutz bereits. Der großen Ausbreitung von Cloud-Speichern und Rechenzentren ist es zu verdanken, dass die marginalen Kosten der Datenerfassung praktisch auf Nullniveau gefallen sind. Durch die fortwährende DSGVO-Debatte wissen viele Unternehmen, dass sie für von ihnen erfasste Daten haften müssen. Wie die EU mit Marriott wegen des jüngsten Datenschutzverstoßes der Hotelgruppe umgeht, wird ausschlaggebend sein für Unternehmen weltweit.
Das neue Zeitalter der Innovation
Die Ära des uneingeschränkten Internets geht zwar zu Ende, die Innovationskraft wird dadurch aber nicht gebremst. Stattdessen lassen sich Innovationen in zwei Kategorien einordnen: neue Technologien, wie Künstliche Intelligenz oder Robotik, und Innovationen, die auf Verschlüsselung und Sicherheit fußen und dem Menschen helfen sollen, die Hoheitsgewalt über ihre digitale Identität zu erlangen.
Ob die USA auch in der nächsten Innovationswelle die Führung übernehmen werden, bleibt offen. Sicher ist jedoch, dass Europa sich in einer herausragenden Position befindet diese Führungsposition künftig zu übernehmen.
Emmanuel Schalit ist Geschäftsführer des Passwort-Manager-Start-ups Dashlane. Er hat einen Master-Abschluss der École Polytechnique in Paris und einen Doktortitel in Informatik der Université de Toulouse und studierte auch Marketing und Finanzen im Executive Education Programm an der Harvard Business School. Vor seinem Eintritt bei Dashlane war Schalit bereits in anderen Unternehmen der Tech- und Medienbranche aktiv.