Was schätzen Sie, in wie vielen Unternehmen der Digitalwirtschaft keine einzige Frau arbeitet? Drei Prozent, vielleicht fünf? Tatsächlich sind es elf Prozent, also in gut jedem zehnten Unternehmen ist keine Frau in der Belegschaft. Das hat der Branchenverband Bitkom in einer Umfrage erhoben. Der Gender-Anteil in Unternehmen ist natürlich nur eine Facette von Diversität. Doch er zeigt eindrücklich, mit welcher vertanen Chance für Unternehmen wir es hier zu tun haben. Denn die Praxis und die wissenschaftliche Forschung zeigen: Unternehmen verpassen ohne Diversität einiges. Letztendlich auch unternehmerischen Erfolg.
Warum Diversität für Innovationen sorgt
Wer Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenbringt, sorgt für unterschiedliche Blickwinkel. Jemand der in Berlin aufgewachsen ist, wird wahrscheinlich andere Erfahrungen gemacht haben als jemand, der seine Jugend in Tunis oder Manila verbracht hat. Auch wer zur LGBTQ+-Community oder zu einer ethnischen Minderheit gehört, blickt aus einer anderen Perspektive auf die Welt. Und ja, auch zwischen den Geschlechtern gibt es unterschiedliche Sozialisationen.
Wer Innovationen für sein Unternehmen möchte, profitiert von diesen unterschiedlichen Blickwinkeln in einem Team. Denn statt Eintönigkeit sorgen sie für Vielstimmigkeit. Heterogene Perspektiven sind die Grundlage für neue Ideen. Und damit auch für Innovationen. Dies hat bereits vor einigen Jahren eine groß angelegte Studie der Boston Consulting Group eindrücklich und differenziert belegt.
Diversität braucht Inklusion
Nun jedoch „einfach“ eine Frau in einem bisherigen Männerteam einzustellen und darauf zu warten, dass damit schon bald die innovativen Ideen des Unternehmens aus dem Boden sprießen, greift zu kurz. Denn Diversität braucht Inklusion. Oftmals werden neue Teammitglieder in die Organisation ohne begleitenden Prozess gebracht, ganz nach dem Motto: „Das ruckelt sich schon zurecht“.
Doch gerade, wenn sich durch das neue Teammitglied die Heterogenität verändert, bedarf es einer positiven Begleitung innerhalb des Unternehmens. Jede neue Person sollte im Zuge eines Onboardings nicht nur mit technischem Know-how oder Betriebsinterna vertraut gemacht werden, sondern auch in die unternehmensinternen Strukturen inkludiert werden. Dazu gehört, dass Türen geöffnet werden, etwa mit der Einladung zu Arbeitsgruppen oder internen Events.
Wichtig sind auch sogenannte Mikroaffirmationen. Also kleine, zwischenmenschliche Signale, etwa ein Lob oder ein aufmunterndes Zunicken bei einem Vortrag. Gesten wie diese sorgen für ein positives und wertschätzendes Umfeld, in dem sich alle willkommen fühlen – natürlich auch bestehende Kolleg:innen.
Der Umgang mit Diversität kann gelernt werden
Die Verantwortung, dass ein inklusives Arbeitsumfeld entsteht, liegt einerseits bei Führungskräften, deren Verhalten Vorbildfunktion hat, und somit dem Unternehmen. Andererseits aber natürlich auch an der Bereitschaft der Individuen selbst. Das so oft beschworene Mindset ist also auch hier entscheidend. Die gute Nachricht: Dieses kann gelernt werden.
Zum einen durch die regelmäßige Anwendung im Arbeitskontext, zum anderen durch Weiterbildung. Auch ein spielerisches Training ist möglich, wofür wir an der ESCP Berlin das Serious Game „Moving Tomorrow“ entwickelt haben. Mit der Wissensvermittlung im Spielformat können gezielt inklusive und interkulturelle Kompetenzen aufgebaut werden. Digitale Anwendungen wie diese senken die Einstiegshürde und machen die Beschäftigung mit Diversität und Inklusion niedrigschwelliger.
Diversität lohnt sich wirtschaftlich
Dass sich Diversität und Inklusion auch ökonomisch lohnen, zeigen Untersuchungen wie etwa der McKinsey-Report von 2020 mit dem vielsagenden Titel „Diversity wins: How inclusion matters“. Insgesamt zeigt die Forschung, dass Diversity in Management-Teams für eine bessere Ausschöpfung des Talent-Pools und eine bessere Qualität der Entscheidungsfindung sorgen kann. Dadurch verbessert sich die Performance des Unternehmens und es entsteht eine höhere Rentabilität der Innovationen.
Bis alle Unternehmen diese Vorteile für sich erschlossen haben, ist es noch ein weiter Weg. Aktionstage wie der heutige Diversity Day sind daher weiterhin wichtig und richtig. Denn sie erinnern uns daran, welche ungenutzten Potenziale aktuell noch in der deutschen Wirtschaft schlummern. Nicht nur in der Digitalwirtschaft, aber auch.
Marion Festing ist seit mehr als 20 Jahren Professorin der ESCP Business School Berlin. Sie leitet dort den Lehrstuhl für Human Resource Management und Intercultural Leadership und forscht unter anderem zu den Themen (Gender) Diversity, Female Leadership und interkulturelles Management. Zuletzt war sie an der Evaluation des Führungspositionen-Gesetzes beteiligt.