Nachdem man in den vergangenen Wochen fast durchgehend über diverse Spielarten einer Smartphone-basierten Corona-Trackingapp, über zentrale und dezentrale Modelle, über Licht- und Schattenseiten des Contact Tracing diskutiert hatte, kam alles – erst einmal – ganz anders. Das Robert Koch-Institut präsentierte in Zusammenarbeit mit dem Start-up „Thryve“ eine App, die sich weniger auf das Smartphone stützte, stattdessen ein anderes, körpernäheres Trackingdevice in den Vordergrund rückte: das Wearable.
Der Vorstoß war dabei so überraschend wie erwartbar. Überraschend, weil es plötzlich nicht mehr nur um Bewegungs-, sondern um sensible Körperdaten ging; weil die zuvor unter anderem in den CCC-Richtlinien für Corona-Apps geforderten offenen Quelltexte dem Geschäftsgeheimnis gewichen waren. Doch auch erwartbar, weil sich die Indienstnahme von Wearable-Technologien in eine grundlegende Dynamik eingliedert: Mittlerweile nutzt fast ein Viertel aller Deutschen ein Fitnessarmband oder eine Smartwatch, werden die anschmiegsamen Apparate in lukrative Geschäftsmodelle – etwa in die Bonimodelle von Versicherungen – oder in „Wellness-Programme“ von Unternehmen integriert, die ihre Arbeitnehmer zu einem gesünderen Lebensstil motivieren wollen. Wearables sind en vogue – und kommen uns immer näher.
Wearables: Kartografen der Gesundheit?
Die expansive Verbreitung der smarten Kleincomputer wurde besonders von den größten Tech-Playern aus dem Silicon Valley vorangetrieben, erfuhr mit Googles Erwerb Fitbits im November 2019 weitere Dynamik und zuletzt einen aufschlussreichen Narrativwechsel: Das alte Bild des nerdigen Self-Trackers, der sich egozentrisch vermisst und optimiert, hat ausgedient. Mittlerweile bewirbt man Fitnessarmbänder als kollektive Gesundheitstools und eröffnet damit neue ‚Geschäfts‘- beziehungsweise Forschungsfelder.
Während Apple etwa in Kooperation mit Universitäten oder Institutionen wie der WHO qua Smartwatch und der eigenen „Research App“ – zunächst nur in den USA verfügbar – Bereiche von der Herzgesundheit bis zum Zyklustracking erforscht, bemüht sich Alphabet/Google nicht nur mit Fitbit oder Google Fit, sondern auch im Verbund mit der Schwesterfirma Verily, eine noch gewichtigere Rolle bei der Vermessung der Gesundheit zu spielen. Im „Project Baseline“ werden dabei unter anderem 10.000 Probanden mit eigens entwickelten Wearables über vier Jahre lang getrackt, kontinuierlich Gesundheitstests – vom Blut-, Seh- bis zum Gentest – durchgeführt, um die Übergänge von Gesundheit und Krankheit, die „wahre Baseline“ genauer zu bestimmen. Am Ende dieses „Real-life“-Experiments hätten Google und Co. dann nicht nur überwachungskapitalistisch die Straßen und Städte der realen Welt kartiert, sondern auch detailliertes Wissen über ihre Kreisläufe und Befindlichkeiten, die Lebenswege in ihnen gesammelt. Fast zwangsläufig lautet das Motto des Projekts ganz googlesk: „We’ve mapped the world. Now let’s map human health.“
Gesundheitstracking: Hoffnungsträger im Kampf gegen Corona
Gerade in Zeiten von Covid-19 nimmt die experimentelle Entwicklung weiter an Fahrt auf. Aktuell werden diverse, groß angelegte Studien ausgerollt, die qua Wearable erforschen, wie Infektionen weiträumig erfasst, spezifische Symptome frühzeitig erkannt werden können. Man beruft sich dabei vornehmlich auf eine erst im Januar im The Lancet Digital Health Journal veröffentlichte Arbeit – auch das RKI rekurriert darauf –, die aufzeigte, dass sich anhand der Körperdaten (zum Ruhepuls und Schlaf) von 200.000 Fitbit-Trägern signifikant bessere Influenza-Prognosen erstellen ließen. Zwar war die Erhebung nicht frei von sensorischen Unebenheiten – die Schlafdaten waren „nicht präzise“, gleichzeitig konnte nicht immer eindeutig nachvollzogen werden, ob ein erhöhter Ruhepuls auf Grippesymptome oder andere Stressfaktoren zurückzuführen war.
Doch versprachen sich die Autoren von der weiteren Entwicklung neuer Wearables noch validere Ergebnisse: „Die Gerätegenauigkeit wird dank des allgemeinen technischen Fortschritts weiter steigen“, und empfahlen den Ausbau digitaler Tiefenschärfe, das heißt die experimentelle Integration von Technologien, die auch die jeweiligen Aktivitätslevel, die Temperatur oder gar die Aufzeichnung des Hustens möglich machen.
Die Lancet-Studie konnte letzte Zweifel an der Effizienz derartiger Tracking-Technologien zwar nicht vollständig zerstreuen, vieles war im Konjunktiv formuliert. Dennoch blicken die Forscher optimistisch in die Zukunft, wenn es um den Kampf gegen grippeähnliche Erkrankungen (Influenza-like illness, ILI). Sofern die Wearables in der Gesellschaft im Alltag allgegenwärtig würden, heißt es, könnte die sensorbasierte Überwachung von Krankheitsdaten auch auch auf einem länderübergreifenden Level umgesetzt warden, vermuten die Autoren.
Genau in diese Dynamik schreibt sich die Corona-Datenspende-App – bereits 500.000 Freiwillige luden sie herunter – ein, die nun auch, wie gefordert, die Temperatur, den Blutdruck und das Aktivitätslevel erfasst. Damit forciert das Projekt eine grundlegende Entwicklung; eine Entwicklung, die die Gesundheit immer nachhaltiger an die Sichtachsen smarter Gadgets und ihrer Produzenten bindet, das quantifizierte Selbst sukzessive in ein quantifiziertes Kollektiv überführt.
In ihrem avancierteren, institutionellen, vor allem experimentellen Einsatz lässt sich schließlich erkennen, dass die Wearables immer mehr den Platz einnehmen, den die führenden Tech-Konzerne ihnen zugeschrieben haben. Bei der letzten Präsentation der Apple Watch Series 5 verkündete CEO Tim Cook etwa, dass man mit dem Device „allgegenwärtig“ sein wolle, während es in Googles Projekt Baseline kaum weniger bescheiden heißt: „Together, we can invent the future of data-powered healthcare.“ Dass die tragbaren Kontrolltools nun – auch von Institutionen wie dem RKI – als Aufklärungsapparaturen im epidemischen Ernstfall annonciert werden, als smarte Heilsbringer, die dem Wohle aller dienen, wird so einige ganz besonders freuen: Die Monopolisten aus dem Silicon Valley.
Anna-Verena Nosthoff ist Philosophin, Publizistin und Dozentin an der Universität Wien, Felix Maschewski ist Publizist, Kulturwissenschaftler und Dozent an der FU Berlin. Kürzlich ist ihr gemeinsames Buch „Die Gesellschaft der Wearables – Digitale Verführung und soziale Kontrolle“ im Berliner Nicolai Verlag erschienen.