Alle Verwaltungsmitarbeitenden kennen die (e-)Akte. Doch nur wenige denken darüber nach, was mit dem Wissen und den Daten in den Akten geschieht, nachdem sie abgelegt wurden. Tatsächlich passiert oft wenig. Archive werden in der Verwaltung zu oft als Last und Endlager für Dokumente verstanden. Dadurch wird großes Potenzial verschenkt.
Archive sind nicht nur wichtig für die Bewahrung des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft, sondern bergen einen Schatz an Daten, den Politik, Verwaltung und Gesellschaft stärker nutzen sollten. Wie kann die Transformation zu einem intelligent-vernetzten Archiv aussehen, und wie können digitale Innovationen dabei helfen?
Problem: Ungenutztes Potenzial von Archiven
Lange bevor der Begriff Big Data Einzug in die Debatte um digitale Transformation hielt, maßen Archive ihre Bestände schon in Regalkilometern. Das deutsche Bundesarchiv umfasst etwa 540 Kilometer Schriftgut und über 60 Petabyte Daten, wobei jährlich zehn bis zwölf Petabyte hinzukommen. Diese schiere Menge an Daten stellt eine enorme Ressource dar, die jedoch oft ungenutzt bleibt.
Archive stehen am Beginn der digitalen Transformation und müssen analoge Bestände digitalisieren sowie digitale Dokumente nachhaltig integrieren. Gleichzeitig sollen potenzielle Nutzer:innen wie Forscher:innen und Verwaltungsangestellte für das Potenzial dieser Daten sensibilisiert und zu ihrer Nutzung mobilisiert werden. Doch zum einen sind die finanziellen Ressourcen in Archiven begrenzt, zum anderen müssen digitale Technologien in Archiven besonderen Anforderungen gerecht werden – etwa, wenn es um die elektronische Langzeitarchivierung geht. So müssen Formate und Technologien genutzt werden, die auch in zehn, 30 und 50 Jahren noch zugänglich und lesbar sind.
Wie können sich Archive trotz dieser Umstände digital transformieren und zur echten Zukunftsressource entwickeln?
Vision: Intelligent-vernetztes Archiv
Im Rahmen unseres Berichts Zukunftsressource Archiv, den wir mit der Bundesdruckerei veröffentlicht haben, haben wir mit Archivar:innen Interviews über die Zukunft des Archivs geführt und verschiedene Zukunftsbilder für das digitale Archiv erarbeitet. Aus der empirischen Arbeit hat sich die Vision eines intelligent-vernetzten Archivs hervorgetan.
Ein intelligent-vernetztes Archiv verbessert den Zugang zu Informationen und vereint dezentrale Datenschätze. In diesem Archiv werden Daten von Behörden in hoher Qualität aufbereitet und nahtlos über Schnittstellen von Behörde zu Archiv übertragen. Alle wichtigen Materialien sind digital verfügbar, werden durch einheitliche Metadaten kontextualisiert und Standards sorgen dafür, dass Inhalte innerhalb und zwischen Archiven verknüpft sind.
Für Verwaltungsmitarbeitende fühlt sich das intelligent-vernetzte Archiv wie eine erhebliche Arbeitserleichterung an: Wo früher ein Gang ins Archiv nötig war, kann das intelligent-vernetzte Archiv bequem vom Arbeitsplatz aus durchsucht werden. Die Suche nach Informationen wird – unter anderem durch standardisierte Metadaten – einfacher und effizienter, was neben der Verwaltung auch der Forschung und der Öffentlichkeit zugutekommt.
Was ermöglicht ein intelligent-vernetztes Archiv konkret?
Ein intelligent-vernetztes Archiv eröffnet eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Das Zielbild des intelligent-vernetzten Archivs ist zwar noch nicht erreicht, aber Best Practices aus dem Ausland zeigen, was kluge Schritte auf dem Weg dahin bereits heute möglich machen.
So will das Nationalarchiv in Großbritannien mit dem Projekt Etna (Abkürzung für „Explore the Nation’s Archive“) die Art, wie die Öffentlichkeit auf Archive online zugreift, neu gestalten. Ziel ist die Entwicklung einer Plattform, die es erlaubt die Website und den Online-Katalog zusammenzuführen, um die Online-Nutzung des Archivs für Nutzer:innen zu erleichtern.
Auf der Plattform kann man sowohl Archivalien als auch Materialien zur Kontextualisierung der Sammlung finden. Aktuell befindet sich das Projekt in der Beta-Phase. Langfristig kann die Verknüpfung der Dokumente Informationen zu ihrem Kontext einfach zugänglich machen und der Schatz, der in den Daten der Archive liegt, kann gehoben werden.
Ein Pilotprojekt des US-amerikanischen Nationalarchivs untersucht den Einsatz von KI-Tools, um sensible persönliche Informationen, wie Geburtsdaten oder Sozialversicherungsnummern zu identifizieren und zu schwärzen. Perspektivisch soll der Prototyp zu einem nutzerfreundlichen Tool entwickelt werden, das von staatlichen Akteuren aus dem Rechts- und Sicherheitsbereich genutzt werden kann, um Einsicht in unveröffentlichte Unterlagen zu nehmen. Dieses Beispiel zeigt, wie innovative Technologien Archive auf dem Weg zum intelligent-vernetzten Archiv unterstützen können.
Welche Schritte sind erforderlich, um der Vision näher zu kommen?
Handlungsempfehlungen: screenen, fördern, schulen
Um den Zugang zu Informationen zu verbessern und Archive dabei zu unterstützen ihre Ressourcen zu optimieren und Synergien innerhalb des Archivwesens zu schaffen, empfehlen wir folgende Maßnahmen:
- Technologie screenen: Archive sollten – bestenfalls in Verbünden – regelmäßige Technologiescreenings planen, um Potenziale für die eigene Arbeit zu kennen. Im nächsten Schritt ist es wichtig, dass sie auch mit den Technologieanbietern in strukturierte Marktdialoge kommen, um Lösungen mit echtem Potenzial für ihre spezifischen Anforderungen zu identifizieren. Durch halbjährlich stattfindende Dialogformate könnten aktuelle Herausforderungen und Bedarfe identifiziert sowie Potenziale für den Einsatz von Technologien erkundet und vermittelt werden. Dies könnte perspektivisch den gezielten Einkauf von passgenauen technologischen Lösungen erleichtern.
- Einkauf fördern: Da es Archiven an finanziellen Mitteln für die digitale Transformation fehlt, ist auch die Politik gefordert: Auf dem Weg zur Zukunftsressource Archiv braucht es einen Digitalpakt Archiv, über den Archive Förderung erhalten, um Digitalisierungsvorhaben umzusetzen. Analog zum Digitalpakt Schule könnte das Förderprogramm so aufgesetzt werden, dass Archive Digitalisierungskonzepte nach Landesprogrammrichtlinien vorlegen müssen, um eine Förderung zu erhalten.
- Archivar:innen schulen: Auf der Umsetzungsebene braucht es Leute in Archiven, die historisches Wissen mit Data Science- und Informatik-Kenntnissen verbinden. Ausbildungsinstitutionen sind deshalb gefordert, digitale Skills stärker im Lehrplan zu verankern. Sehr gut gelingt dies bereits an der FH Potsdam.
Diese Schritte können den Weg zum intelligent-vernetzten Archiv ebnen. Sie lohnen sich, denn Archive sind mehr als nur Lagerstätten für alte Dokumente. Sie sind lebendige Quellen von Wissen und Geschichte, die uns helfen können, unsere Zukunft zu gestalten. Es liegt an Politik, Ausbildungsinstitutionen und Archiven selbst, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um diese wertvolle Ressource zukunftsorientiert weiterzuentwickeln.
Jakob Kollotzek ist Leiter Research bei Possible und verantwortet in dieser Rolle Forschungsprojekte zu technologiebasierten Innovationen im öffentlichen Sektor, zum Zusammenspiel von innovativen Unternehmen und der Verwaltung sowie zur Umsetzung von Digitalpolitik. Mathias Keller ist Head of Advisory bei Possible und leitet das Beratungsgeschäft mit Klienten aus dem öffentlichen und privaten Sektor. Zuvor war er Strategieberater bei McKinsey und als Diplomat im Auswärtigen Amt.