2024 gab es eine Reihe von Rückschlägen für die deutsche Wasserstoffstrategie, die für 2030 10 mtpa (Millionen Tonnen pro Jahr) vorsieht. Die geplante norwegische Pipeline, die bis zu 4 mtpa blauen Wasserstoff hätte liefern können, wurde gestrichen und die dänische grüne Wasserstoff-Pipeline mit einem Volumen von 0,64 mtpa um mindestens drei Jahre verschoben.
Die geplante Pipeline von Rotterdam ins Ruhrgebiet erlitt durch eine vierjährige Verzögerung der niederländischen Wasserstoffinfrastruktur ein ähnliches Schicksal. Auch andere Importkorridore bleiben ungewiss, und die Erzeugung grünen Wasserstoffs in Deutschland wird bis auf Weiteres minimal sein.
Der Preis für Wasserstoff erweist sich als deutlich höher als ursprünglich erwartet. Die Auktion der Europäischen Wasserstoffbank vom April 2024 ergab Preise für grünen Wasserstoff in Nordeuropa im Bereich von 10 bis 12 Euro pro Kilogramm im Vergleich zu den ursprünglich erwarteten 2,5-4,0 €/kg. Für die Zukunft sieht die Preisübersicht „Platts Hydrogen Price Wall“ Preise bei rund 8 €/kg. Der Preis für grünen Wasserstoff, der durch das Cracken von importiertem grünem Ammoniak gewonnen wird, würde auf der Grundlage der Platts-Daten 7,6 €/kg und der Preis für blaues Äquivalent 4,9 €/kg betragen.
2025 muss ein Jahr des Realismus sein
Das Jahr 2025 mit einer neuen deutschen Regierung und einer neuen Europäischen Kommission muss ein Jahr sein, um die Ziele für Mengen und Qualitäten von sauberem Wasserstoff auf ein Niveau zu bringen, das logistisch möglich und bezahlbar ist. Die Mengenziele für 2030 müssen zusammen mit den sehr restriktiven Definitionszielen für grünen Wasserstoff auf Eis gelegt werden. Die Einsparung von CO2-Emissionen zu den geringsten Kosten muss das einzige Kriterium für die Entscheidung über Wasserstoff-Subventionen sein.
Angesichts all der Quellen, die ausgeschlossen wurden, ist es jetzt wichtig, sich auf diejenigen zu konzentrieren, die verheißungsvoller sind. Dabei handelt es sich ausschließlich um verschiedene Projekte für blaues und grünes Ammoniak in Nordamerika, Afrika und Asien, deren Erzeugnisse entweder direkt oder über die Benelux-Häfen Antwerpen und Rotterdam nach Deutschland importiert werden könnten.
Zurzeit gibt es Projekte mit FIDs, die 8 mtpa Ammoniak produzieren werden und weitere geplante Projekte mit einer Kapazität von 16 mtpa; etwa 65 Prozent dieser Mengen sind blaues Ammoniak und 35 Prozent grün. Deutschland muss mit anderen Ländern konkurrieren, aber wegen seines großen, energieintensiven Industriesektors und mangels anderer Möglichkeiten sollte es anstreben, etwa 12 mtpa zu importieren. Daraus könnten rund 1,6 mtpa Wasserstoff am Anfang der 2030er gecrackt werden. Das ist nur eine bescheidene Menge, aber sie wird mit der Entwicklung des internationalen Handels mit sauberem Ammoniak wachsen.
Ammoniak-Cracking zur Reife bringen und Anlagen bauen
Die Technologie ist vor allem deshalb eine Herausforderung, weil Ammoniak stark korrosiv ist, insbesondere bei den Temperaturen, die für den Crack-Vorgang erforderlich sind. Außer einer sehr kleinen Anlage im britischen Hafen Immingham baut Air Liquide im Hafen von Antwerpen die erste ernsthafte Pilotanlage, die Anfang 2025 in Betrieb gehen soll.
Etwa zwei Jahre erfolgreiche Betriebserfahrung werden wahrscheinlich erforderlich sein, bevor dieses oder andere Unternehmen FIDs für den Bau weiterer Anlagen erhalten, die unter den besten Umständen Anfang der 2030er Jahre in Betrieb genommen werden könnten. Antwerpen, Rotterdam und Brunsbüttel sind hierfür die Favoriten. Der Import vom belgischen und vom niederländischen Hafen erfordert Pipelines nach Deutschland, die im Gleichschritt mit den Crackern gebaut werden sollten. Rostock (bereits für Ammoniak zugelassen), Hamburg und Wilhelmshaven könnten ebenfalls ins Spiel kommen, sofern sie die notwendigen Genehmigungen erhalten.
Angesichts der Projektpläne im Ausland zur Produktion von 24 mtpa Ammoniak wird es bei der Verfügbarkeit keine Einschränkung geben. Stattdessen wird sich der Bau der Cracker als Flaschenhals erweisen. Damit Deutschland 1,6 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr erreichen kann, ist eine Crack-Kapazität von etwa 12 mtpa erforderlich. Typische Chemieanlagen haben eine Kapazität von etwa 1 Million Tonnen pro Jahr, sodass 12 solcher Anlagen zu Kosten von insgesamt circa 4,5 Milliarden Euro gebaut werden müssen.
Cracker brauchen einen guten Business Case
Zwei Dinge sind beim Bau eines Crackers besonders relevant: die Art des Unternehmens, das die Anlage baut und finanziert, und der Business Case dahinter. Zudem ist Sicherheit nicht zu unterschätzen, damit Ammoniak-Cracking nicht infolge von Unfällen das gleiche Schicksal wie die Kernenergie erleidet.
Drei Kategorien von Unternehmen sind als Projektentwickler möglich:
- Upstream-Ammoniakproduzenten, die den Energieträger dann exportieren und am Zielort cracken, um Wasserstoff verkaufen zu können. Dies ist der Plan für das in Saudi-Arabien gelegene Projekt Neom. Air Products ist daran beteiligt und hat einen Vertrag über die gesamte Abnahme von grünem Ammoniak abgeschlossen; es hat den Bau von Crackern in Immingham, Rotterdam und Hamburg angekündigt, bis jetzt ohne feste Termine.
- Ein Ingenieurunternehmen, das dann nach langfristigen Durchsatzvereinbarungen mit einem Hersteller oder Käufer sucht.
- Ein Midstream-Akteur wie RWE, Uniper oder Yara, der das Ammoniak beschafft und dann nach langfristigen Abnahmevereinbarungen mit den Endverbrauchern sucht.
Wenn der Erbauer eines Crackers nicht bereit ist, ein Handelsrisiko einzugehen (analog zu unabhängigen Ölraffinerien oder Kraftwerken), dann sind langfristige Verkaufsverträge mit Endverbrauchern (wie Stahl- und Chemiewerken) unerlässlich, die wiederum einen soliden Business Case erfordern. Dies geht nur mit einer Kombination aus folgenden Faktoren:
- Kunden, die bereit sind, einen angemessenen Aufpreis für kohlenstoffarme Endprodukte (wie etwa Autos) zu zahlen.
- Ein sehr hoher CO2-Preis (mindestens 300 Euro pro Tonne), der einen Hersteller gleichgültig lässt, ob er diesen Preis oder die zusätzlichen Kosten für kohlenstoffarme Produkte zahlt.
- Subventionen, die unerlässlich sein werden.
Zur Orientierung: Um die Mehrkosten für 1,6 mtpa grünen oder blauen Wasserstoff aus Ammoniak abzudecken, sind Subventionen in Höhe von 7 beziehungsweise 3 Milliarden Euro nötig; dazu kommen Netzkosten und die Kosten für neue Prozessanlagen. Die entsprechenden CO2-Kosten liegen bei 600 beziehungsweise 300 €/t CO2. Diese Menge Wasserstoff würde rund 11 Millionen Tonnen CO2 sparen, etwa 6 Prozent der aktuellen industriellen Emissionen.
Angesichts der Knappheit öffentlicher Mittel zur Unterstützung von Wasserstoff ist es von größter Bedeutung, dass jeder Euro so eingesetzt wird, dass ein Höchstmaß an Dekarbonisierung erreicht wird. Dies erfordert einen nüchternen Ansatz mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis, anstatt prinzipiell grünen Wasserstoff zu priorisieren. Sowohl blauer als auch grüner Wasserstoff sollten subventioniert werden, wobei sich die Höhe der Förderung am eingesparten CO2 orientiert.
Für Deutschland erscheint eine Verfügbarkeit von 1,6 bis 2,0 mtpa Wasserstoff in der ersten Hälfte des Jahrzehnts realistisch. Daher sollten die aktuellen Pläne zum Aufbau eines flächendeckenden Wasserstoffkernnetzes zurückgefahren und nur die Teile davon gebaut werden, die voraussichtlich bis 2035 benötigt werden. Obwohl es ein innovatives Mittel zur Finanzierung des Aufbaus des Netzes gibt, darf die Gesellschaft nicht durch vorzeitige Zinskosten belastet werden.
Fazit: Harte Realität erfordert Pragmatismus
Die Welt erwärmt sich und es besteht dringender Handlungsbedarf – das gilt nicht nur für Deutschland und Europa, sondern für alle Industrienationen. Die harte Realität der begrenzten Verfügbarkeit und der hohen Kosten von Wasserstoff ist deutlich geworden. Es ist niemandem damit gedient, eine Strategie weiterzuverfolgen, die keine Aussicht auf Umsetzung hat und dabei die Industrie in den Bankrott zu treiben droht. Deutschland muss sich zunächst darum bemühen, das Ammoniak-Cracken zum Erfolg zu führen und dann über einen längeren Zeitraum weitere Quellen hinzufügen, sobald sie verfügbar und erschwinglich sind.
Graham Weale ist Professor für Energiewirtschaft am Centrum für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE) an der Ruhr-Universität Bochum. Er war zuvor Chefvolkswirt von RWE und hat einen Abschluss in Physik von der Universität Oxford sowie einen Master of Business Administration (MBA).