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Energie & Klima

Standpunkte Bundestagswahlkampf: Wer den Klimaschutz verschläft, wird abgehängt

Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND
Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND Foto: BUND

Wichtige Aspekte der Klimadebatte kommen nach Beobachtung von Olaf Bandt im Bundestagswahlkampf nicht vor – dabei sind sie entscheidend für Deutschlands Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit, schreibt der Vorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland.

von Olaf Bandt

veröffentlicht am 22.01.2025

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2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Laut dem EU-Klimadienst Copernicus wurde die 1,5-Grad-Marke im vergangenen Jahr erstmals überschritten: Mit einer globalen Durchschnittstemperatur von 15,1 Grad Celsius war die Erde im Vergleich zur vorindustriellen Zeit sogar um 1,6 Grad wärmer.

2024 war gleichzeitig auch ein Jahr der Extremwetterereignisse, Wirbelstürme, Starkregen, Überschwemmungen, Dürren. Die Munich Re, einer der größten Rückversicherer der Welt, beziffert die Schäden durch Naturkatastrophen im vergangenen Jahr weltweit mit 320 Milliarden US-Dollar. Damit war 2024 das drittteuerste Naturkatastrophenjahr.

Die Erderhitzung ist längst keine abstrakte Zukunftsgefahr mehr, sondern eine gegenwärtige Bedrohung für unsere Lebensgrundlagen, unsere Umwelt und unseren Wohlstand.

Umso erschreckender ist es, dass das Thema Klimaschutz im Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle spielt. Wenn es vorkommt, geht es meist um die Rückabwicklung von Klimaschutzmaßnahmen, wie etwa in der Debatte um den Verbrenner-Kompromiss. Dabei ist Deutschland keinesfalls auf Kurs bei den mittel- und langfristigen Klimazielen.

Das Schweigen zu Klimathemen im Wahlkampf ist auch deshalb erstaunlich, weil inzwischen die wirtschaftliche Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes maßgeblich von einem zügigen klimagerechten Umbau der Industrie abhängt. Wer Klimaschutz-Technologien verschläft oder verzögert, wird wirtschaftlich abgehängt – die deutsche Autoindustrie erlebt das gerade schmerzlich. Klimaschutz ist kein Nebenschauplatz, den wir erst angehen können, wenn alle anderen Fragen geklärt sind. Er ist die zentrale Aufgabe unserer Zeit.

Konzepte statt markiger Sprüche

Was den Wahlkampf bislang kennzeichnet, ist die weitgehende Weigerung der politischen Parteien, eine ausreichend ehrgeizige und sozial gerechte Klimaschutzagenda vorzulegen und dafür zu werben.

Das konservative Parteienspektrum zeichnet sich vor allem durch Ideen von gestern und einem Mangel an eigenen Konzepten aus. Die Parteien träumen von den fossil-atomaren Irrwegen des letzten Jahrhunderts und verschieben Antworten zur Klimaneutralität in die Zukunft. In den Wahlprogrammen tauchen Luftschlösser auf, wie etwa die Kernfusion als angeblicher Heilsbringer für Energiefragen.

In der Realität steht die Kernfusionsforschung seit Jahrzehnten vor ungelösten zentralen technischen Problemen. Es ist fraglich, ob die Kernfusionstechnik jemals in der Lage sein wird, im großen Maßstab Energie zu erzeugen. Das bezweifelt auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung des Bundestags (TAB) in einer aktuellen Studie.

Ähnlich trügerisch ist das Versprechen von CCS oder E-Fuels als Ausweg aus der fossilen Energie- und Industrieproduktion. Die Technologien sind unausgereift, extrem teuer, energieintensiv und definitiv keine schnelle Lösung zur Senkung der Treibhausgase. Es gehört jedoch leider nach wie vor zum Kernprogramm von CDU/CSU und FDP, Gegenwartsfragen mit technischen Scheinlösungen in unbekannter Zukunft zu beantworten.

Markige Wahlkampfsprüche wie „Heizungsgesetz abschaffen!“ sind ebenfalls nicht konzepttauglich. Mit der viel gescholtenen GEG-Novelle wurden zaghaft die Weichen Richtung klimafreundliche Wärme gestellt. Jetzt muss die Frage beantwortet werden, wie diese Wende konkret, ambitioniert und sozial gerecht weiter vorangetrieben werden kann. Doch die konstruktiven Vorschläge bleiben aus, stattdessen Blockade.

Mindestens ebenso besorgniserregend ist, dass Friedrich Merz die erneuerbaren Energien, konkret die Windkraft als „Übergangstechnologie“ in Frage stellt. Damit sägt der CDU-Spitzenkandidat am energiepolitischen Fundament des Landes. Die Umstellung auf grünen Stahl hat er bereits mit Fragezeichen versehen und sät so Unsicherheit über den industriepolitischen Kurs nach der Wahl. Das ist Gift für eine ohnehin lahmende Wirtschaft.

Klimaschutz ist billiger als kein Klimaschutz

Ob Gebäudedämmung, Schienennetz, Digitalisierung oder Fernwärme – es braucht die nachholende Modernisierung von Infrastruktur und Investitionen in Zukunftsbereiche. Ein starres Festhalten an der Schuldenbremse, wie es die FDP fordert, verhindert die Zukunftsfähigkeit und – wie der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung feststellt – auch das Erreichen der Klimaziele. Nicht zuletzt angesichts extrem hoher Schadenskosten, gilt: Klimaschutz ist immer billiger als kein Klimaschutz.

Aber auch SPD und Grüne bleiben in ihren Wahlprogrammen weit hinter der Dringlichkeit der Klimakrise zurück. Die Vorschläge sind vage und wenig ambitioniert. Klimaschutz taucht in den einzelnen Themenbereichen eher als zögerliche Randnotiz auf, statt als Leitfrage im Sinne der notwendigen Transformation. Gerade die Sektoren Gebäude und Verkehr benötigen jedoch klare Konzepte für den Pfad zur Klimaneutralität. Beide Bereiche gehören zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen in Deutschland und verfehlen gleichzeitig immer wieder die Klimaschutzziele.

Dabei sind die Maßnahmen oft auch öffentlich Gewinner-Themen. Die Balkon-Solaranlage etwa oder das 49-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr werden von der Bevölkerung positiv angenommen und genutzt. Der Staat muss jedoch Anreize und Angebote für mehr Klimaschutz weiter ausbauen, fördern und Planungssicherheit gewährleisten.

Verpflichtung und Chance

Klimaschutz ist kein isoliertes Thema, das lediglich die Umweltpolitik betrifft. Nur wenn wir die Transformation in ihrer Gesamtheit begreifen, können wir den Anforderungen der Klimakrise gerecht werden und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit sicherstellen. Denn der Übergang zu einer klimafreundlicheren Welt ist eine Chance für mehr Gerechtigkeit, wenn der soziale Ausgleich sichergestellt ist.

Ein gerechter Klimaschutz bedeutet, dass der Wandel sozial abgefedert wird. Das erfordert ambitionierte und konsequente politische Konzepte, die aktuell keine der aussichtsreichen Partei zur Wahl stellt.

Der Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist keine einseitige Belastung, sondern eine Chance, Innovationen voranzutreiben. Mit der Förderung von grünen Technologien und der Entwicklung von nachhaltigen Produktionsprozessen wird Deutschlands Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Die Investitionen in den Klimaschutz sind somit nicht nur eine Notwendigkeit für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, sondern auch eine der wichtigsten wirtschaftlichen Herausforderungen und Chancen des 21. Jahrhunderts.

Die Medien und auch die Zivilgesellschaft sollten die Antworten der Parteien auf die Schlüsselfragen unserer Zeit notfalls einfordern. Denn eine kommende Regierung darf Klimaziele nicht nur als Verpflichtung, sondern auch als Investition in die Zukunft verstehen.

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