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Standpunkte Warum Deutschland seine Entwicklungs- und Klimapolitik jetzt stärken sollte

Michael Roll, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Michael Roll, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, German Institute of Development and Sustainability (IDOS) Foto: IDOS

Die Union will das Entwicklungsministerium ins Auswärtige Amt eingliedern – ein Schritt mit Folgen. Beispiele aus Großbritannien und Australien zeigen, wie sehr darunter Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der Entwicklungspolitik leiden können. Deutschland sollte diese Fehler vermeiden und seine Entwicklungs- und Klimapolitik strategisch neu ausrichten, fordert Michael Roll vom IDOS.

von Michael Roll

veröffentlicht am 08.04.2025

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Aufgrund seiner beruflichen Vergangenheit dürfte Friedrich Merz mit dem Prinzip des antizyklischen Investierens vertraut sein. Wenn es um den zukünftigen Stellenwert der deutschen Entwicklungspolitik sowie der internationalen Klimapolitik geht, sollten er und die Koalitionsverhandelnden sich von diesem Prinzip leiten lassen. So dramatisch und folgenreich der abrupte Rückzug der USA aus der internationalen Entwicklungs- und Klimapolitik nämlich ist, mit nüchternem Blick ergeben sich daraus ungeahnte Möglichkeiten für Deutschland. Kurzgefasst: Das Potential Deutschlands, sein Ansehen in der Welt zu stärken und internationale Prozesse zu beeinflussen, war selten größer als jetzt.

Dies mag paradox klingen und gilt nicht für die militärischen Aspekte der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Doch auch wenn Deutschland nun im europäischen Verbund gegen zukünftige Bedrohungen aufrüstet, werden zwei Dinge unverändert bleiben. Erstens wird Deutschland global zukünftig stärker als bisher auf seine Soft Power angewiesen sein. Und zweitens wird Deutschland ein Exportland bleiben, welches sich über Europa, China und nun auch über die USA hinaus in Richtung neuer Märkte orientieren muss. Was hat all dies mit Entwicklungs- und Klimapolitik zu tun?

Aus den Fehlern von Großbritannien und Australien lernen

Mit Großbritannien seit 2020 und den USA 2025 treten die zwei wichtigsten Nationen der internationalen Entwicklungspolitik aus der ersten Reihe zurück. Beide haben damit großen Einfluss in vielen Ländern des sogenannten Globalen Südens sowie in internationalen Organisationen der Wirtschafts-, Entwicklungs- und Klimapolitik aufgegeben. Deutschland wird die Lücken, die sich aus diesem Rückzug ergeben, nicht schließen können. Aber es könnte die brachliegenden Potenziale strategisch nutzen.

In aufstrebenden Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika könnte Deutschland seine Entwicklungs- und Klimapolitik noch stärker darauf ausrichten, mit wirtschaftlichen und politischen Reformkräften zu arbeiten. Diese Verbindungen in Länder, die international zunehmend wichtiger werden, würden dem Ansehen und Einfluss und nicht zuletzt auch der Wirtschaft Deutschlands zugutekommen. Davon würde auch Deutschlands Gestaltungsfähigkeit in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder in Foren wie den G20 profitieren. Dort könnten die deutsche Entwicklungs- und Klimapolitik gemeinsam mit dem Außen- und Umweltministerium sowie anderen Ressorts internationale Prozesse noch strategischer im Sinne einer regelbasierten und zukunftsorientierten internationalen Ordnung und damit im eigenen Interesse gestalten.

Wäre es dafür sinnvoll, das Entwicklungsministerium in das Außenministerium zu integrieren, wie gegenwärtig kontrovers diskutiert wird? Die Erfahrung Großbritanniens mit diesem Schritt im Jahr 2020 ist ein mahnendes Beispiel. Entgegen vorherigen Ankündigungen wurde die in Partnerländern und internationalen Organisationen hochangesehene Entwicklungspolitik kurzfristigen außen- und wirtschaftspolitischen Interessen untergeordnet. Erfahrene Expertinnen verließen das integrierte Ministerium, enge Kontakte zu Reformkräften in früheren Partnerländern gingen verloren und das internationale Ansehen Großbritanniens in Ländern des Globalen Südens sowie in internationalen Politikforen nahm schweren Schaden. All dies hätte man wissen können. In Australien hatte die Integration des Entwicklungs- in das Außenministerium 2013 ähnlich negative Folgen gehabt.

Aufgaben von Entwicklungs- und Außenpolitik sind nicht deckungsgleich

Es gibt einen Grund, warum diese Integrationsversuche gescheitert sind und vermutlich auch in Deutschland das Ende einer eigenständigen Entwicklungspolitik bedeuten würden. Der Grund lautet: Entwicklungspolitik ist keine Außenpolitik. Trotz einiger Überschneidungen haben die beiden Politikbereiche unterschiedliche Aufgaben. Entwicklungspolitik unterstützt Länder dabei, mittel- und langfristig Armut, Ungleichheit und andere Konfliktursachen zu reduzieren sowie Strukturen für nachhaltiges Wachstum und Demokratie aufzubauen. Diese Investitionen sind keineswegs selbstlos. Als Exportland, das stark von der internationalen regelbasierten Ordnung profitiert, sind Beiträge zur langfristigen Sicherung globalen Friedens und Wachstums im ureigenen Interesse Deutschlands. Und trotz des Reformbedarfs des deutschen Entwicklungssystems hat das Entwicklungsministerium BMZ über viele Jahre große Expertise in dieser Arbeit aufgebaut.

Während auf der einen Seite die Diplomatie immer wichtiger wird, ist auf der anderen Seite die Arbeitsweise des Außenministeriums nicht auf diese Art der langfristigen und tiefgehenden Unterstützung von lokalen Reformprozessen in Partnerländern ausgerichtet. Außen- und Entwicklungspolitik können und sollten sich daher weiterhin gegenseitig ergänzen. Gerade angesichts der Zunahme der Bedeutung der Länder des Globalen Südens und einer unsicheren Zukunft internationaler regelbasierter Zusammenarbeit hätte ein flexibles und gut koordiniertes Tiki-Taka zwischen Außen- und Entwicklungspolitik viele Vorteile gegenüber einem monolithischen Ansatz, in dem der eine Politikbereich dem anderen untergeordnet wird.

Statt also in den Koalitionsverhandlungen einem kurzfristigen Mittelkürzungsinteresse zu folgen und historische Erfahrungen zu ignorieren, sollte man die Chance ergreifen, die sich Deutschland mit dem Rückzug Großbritanniens und der USA bietet. Mit einer reformierten und strategischer ausgerichteten Entwicklungs- sowie internationalen Klimapolitik hätte Deutschland in den nächsten Jahren die Möglichkeit, sein internationales Ansehen und seinen Einfluss deutlich zu stärken. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Länder und Märkte des Globalen Südens und im Sinne einer antizyklischen Politikgestaltung sollte eine zwar reformierte, aber eigenständige deutsche Entwicklungspolitik daher nicht trotz, sondern gerade wegen des gegenläufigen internationalen Trends erhalten werden.

Michael Roll ist Soziologe und Wissenschaftlicher Mitarbeiter des German Institute of Development and Sustainability (IDOS).

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