Die Bundestagswahl am 23. Februar bietet Anlass für eine Überprüfung und gegebenenfalls Ergänzung der Energie- und Klimapolitik mit einer klaren Orientierung an dem Netto-Null-Ziel für 2045 des Klimaschutzgesetzes (KSG) und an der verlässlichen Energieversorgung gemäß Energiewirtschaftsgesetz basierend auf verfügbaren Technologien.
Grundsätzlich kommen für Netto-Null – unter der Bedingung einer verlässlichen Energie-Versorgung – drei Ansätze in Frage:
- Erhöhung der Energieeffizienz (Verbrauchsreduktion),
- Nutzung emissionsfreier Energiequellen, hauptsächlich in Form erneuerbarer Stromerzeugung (Wind, PV) und Geothermie sowie
- Nutzung von CCS (Carbon dioxide Capture and Sequestration) für energie- und prozessbedingte CO2-Emissionen.
Die bisherige Klimapolitik verfolgt mit Blick auf die Energieversorgung ausschließlich die Ansätze 1. und 2., während CCS nur für unvermeidbare prozessbedingte Emissionen (im Wesentlichen Zement, Kalkindustrie, aber auch Müllverbrennung) diskutiert wird.
Es liegt auf der Hand, dass sich die Ziele mit drei Ansätzen effektiver und effizienter erreichen lassen als mit zwei.
Es gibt viele Gründe für CCS
Es gibt mehrere Gründe, die CCS – über den diskutierten engen Rahmen hinaus – auch zur Vermeidung energiebedingter Emissionen und von Energieengpässen für die absehbare Zukunft als unverzichtbar auszuweisen. Dazu gehören:
- Die temperaturbedingten saisonalen Verbrauchsschwankungen von bis zu 20 Prozent der Jahresendenergiemenge, die bislang von fossilen Energieträgern zuverlässig abgedeckt wurden (jedoch ohne CCS). Diese Differenz kann absehbar weder durch die gesamte Stromerzeugung (erneuerbar und nicht erneuerbar) noch durch erneuerbare Energien (Strom und andere Erneuerbare) gedeckt werden, die jeweils nur 20 Prozent des Endenergieverbrauchs ausmachen.
- Der Zeitraum von nur 20 Jahren zum Erreichen von Netto-Null macht es erforderlich, bestehende und bewährte Versorgungsstrukturen zu nutzen. Ein Komplettumbau auf eine erneuerbare Energieversorgung innerhalb von 20 Jahren, der auf die Ergänzung bestehender Systeme um CCS verzichtet, würde die bewährte Verlässlichkeit der deutschen Energieversorgung aufs Spiel setzen.
- Fossile Energien werden noch lange eine Rolle spielen als Backup für Dunkelflauten und für Verzögerungen beim Ausbau von Erneuerbaren. Je schneller das dabei erzeugte CO2 aus dem Abgas abgeschieden und sequestriert wird, desto geringer der Klimaeffekt durch die Kumulierung der vermeidbaren Emissionen.
- Die Skalierbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Erzeugung und des maritimen Transports von grünem Wasserstoff über große Entfernungen sind mit hoher Unsicherheit behaftet. Die für den nicht-elektrifizierbaren Energieverbrauch (insbesondere in der Industrie) sowie die gesicherte Stromerzeugung erforderlichen großen Wasserstoffmengen sind ohne CCS nicht verfügbar.
Für alle Elemente der CCS-Kette gibt es Technologien mit einem technischen Reifegrad (Technology Readiness Level, TRL) der Stufe neun auf einer Skala von TRL 1 (Konzeptidee) bis TRL 9 (erfolgreiche groß-industrielle Anwendung). So werden im Rahmen des Sleipner-West-Projektes im Norwegischen Schelf seit 1996 jährlich eine Million Tonnen CO2 aus der Erdgasförderung abgetrennt und in den nahegelegenen Utsira-Aquifer eingeleitet, ohne dass es zu einer CO2-Freisetzung kam.
Orientierung an den Zielen Netto-Null und Verlässlichkeit
Eine integrierte, umfassende Betrachtung der erforderlichen Investitionen und Transformationsmaßnahmen sollte sich am Netto-Null-Ziel sowohl für die gesamte Energiewirtschaft als auch für die Industrieprozesse mit unvermeidbaren Emissionen orientieren.
Ein überwiegend auf Elektrifizierung und erneuerbarem Strom basierendes Energieversorgungssystem bedarf nicht nur zum Ausgleich der volatilen Erzeugung (Wind und PV) und von großen temperaturbedingten Nachfrageschwankungen erheblicher Mengen grünen Wasserstoffs; es bietet auch keine Lösung zur Vermeidung prozessbedingter Emissionen in der Industrie. Für letztere ist die Errichtung einer CCS-Kette ohnehin erforderlich, wenn die entsprechenden Industrien in Deutschland eine langfristige Perspektive haben sollen.
Eine integrierte Betrachtung sollte daher eine kundennahe Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse und Dampfreformierung mit CCS auch für energetische Zwecke einbeziehen. Dies böte eine Absicherung gegen die großen Unsicherheiten bei der Verfügbarkeit und der Wirtschaftlichkeit von importiertem grünem Wasserstoff, auf den sich viele Planungen und Szenarien derzeit in erheblichem Umfang stützen. Die ohnehin erforderliche CO2-Sammelstruktur sollte baldmöglich großdimensioniert in Angriff genommen werden, um eine zügige Dekarbonisierung der Industrie zu ermöglichen.
Externalitäten erfordern staatliches Handeln
CO2-Emissionen sind eine Externalität, deren Vermeidung der Markt nicht eigenständig herbeiführt. Beim Umbau Deutschlands zur Klimaneutralität im Jahr 2045 ist staatliches Handeln unverzichtbar, um externe Kosten in das Marktgeschehen zu internalisieren und insbesondere die Tragung dieser Kosten zu regeln.
Ob hier ein Pönalen-Mechanismus wie das ETS (Emission Trading System), bezahlt von den Endkunden, oder Steuergutschriften wie in den USA wirksamer sind, ist offen.
Wenn man die deutsche Industrie nicht schwächen will, sollten die Einnahmen aus dem ETS (7,7 Milliarden Euro im Jahr 2023 für Deutschland) der Industrie für CO2-reduzierende Investitionen zugutekommen. Dies muss technologieoffen, also unter Zulassung von CCS, gestaltet werden. Welche Technologien zum Zuge kommen, sollte die Industrie entscheiden, solange der entsprechende CO2-Minderungseffekt erreicht wird.
Ersetzen von Zielen durch Instrumente wäre ein Politikfehler
Bei der Schaffung einer CCS-Infrastruktur muss zwischen Aufgaben unterschieden werden, die eine politische Einflussnahme erfordern und solchen, die besser privaten Akteuren überlassen bleiben. Insbesondere muss die Politik für ausreichend Anreize zur Nutzung einer CCS-Kette sorgen, so dass die Anbieter der CCS-Kette Planungssicherheit und eine wirtschaftliche Grundlage haben. Weiterhin hat der Staat eine unterstützende Koordinierungsfunktion für die CCS-Kette innerhalb Deutschlands und gegenüber den Partnerländern wie Dänemark und Norwegen, die das CO2 abnehmen.
Natürlich ist eine vollständig erneuerbare Energiewelt im Jahr 2045 ein erstrebenswertes Ideal, dann wären die Hausaufgaben für alle Zeiten gemacht. Das ist aber nur eine Vision und allein darauf zu setzen ein großes Risiko. Man sollte nicht vergessen, dass das eigentliche Ziel im Erreichen der Klimaneutralität für Deutschland bis 2045 besteht; die Nutzung von erneuerbaren Energien ist nur eines von drei dafür geeigneten Instrumenten. Das Ersetzen von Zielen durch spezifische Instrumente zur Zielerreichung wäre ein Politikfehler, der am Ende die Zielerreichung gefährdet.
Ralf Dickel ist Senior Visiting Research Fellow am Oxford Institute for Energy Studies (OIES). Er war zuvor Director for Transit and Trade im Sekretariat der Energiecharta und davor Leiter der Abteilung Energie-Diversifizierung der Internationalen Energieagentur. Sein beruflicher Weg im Energiesektor begann 1980 bei Ruhrgas. Das OIES unterhält ein Carbon Management Programme, das unter anderem von Chevron, Shell und Equinor gesponsert wird.