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Energie & Klima

Standpunkte Das Kohlenstoff-Dilemma des Klimaschutzes

Kristina Fürst, Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam
Kristina Fürst, Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam Foto: RIFS / Silvia Hecking

Es gibt viele technologische Lösungen, die globalen CO2-Emissionen zu verringern. Wir brauchen sie alle, argumentieren Kristina Fürst vom RIFS am Helmholtz-Zentrum Potsdam und Aliaksei Patonia vom Oxford Institute in ihrem Standpunkt. Dabei haben Sie insbesondere die Abscheidung und Nutzung von CO2 im Blick.

von Kristina Fürst

veröffentlicht am 13.04.2023

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In Deutschland ist die öffentliche Debatte über Wasserstoff und Kohlenstoffnutzung von Missverständnissen über die Vorteile und die Grenzen dieser Lösungen fürs Klimaproblem geprägt. Diese Missverständnisse untergraben den Klimaschutz.

Die Ansätze, Wasserstoff als Energieträger zu nutzen und Kohlendioxid aus industriellen Abgasen herauszufiltern und den darin enthaltenen Kohlenstoff wiederzuverwenden (CCU), können dazu beitragen, den Ausstoß von Kohlendioxid in die Atmosphäre zu reduzieren. Das ist in der Wissenschaft unstrittig. Beide Klimalösungen erreichen das jedoch auf unterschiedliche Weise.

Wasserstoff hält in der Nutzung das Versprechen, „kohlenstofffrei“ zu sein. Bei seiner Verbrennung entsteht nur Wasser. Er kann dazu verwendet werden, dem Energie- und Transportsektor den Kohlenstoff zu entziehen, sie zu dekarbonisieren.

Kohlenstoff ist jedoch ein wesentliches Element fast jeder industriellen Produktion. Er wird in der chemischen Industrie dafür verwendet, verschiedene Grundbausteine herzustellen. Kohlenstofffasern finden sich in Kunststoffprodukten, Textilien, Lebensmitteln, Arzneimitteln, Baumaterialien – in Produkten, die wir täglich verwenden. Zum Einlagern ist Kohlenstoff viel zu schade. CO2 ist nicht nur das problematische Treibhausgas, das wir loswerden müssen. Es ist auch eine Kohlenstoffquelle für unsere Industrie.

Frühere Versuche, CCU in Deutschland zu fördern, haben es versäumt, zwei wichtige Fakten zu vermitteln. Erstens ist Kohlenstoff, ebenso wie Sauerstoff, für das Leben auf der Erde unerlässlich. Pflanzen produzieren Kohlenhydrate durch den Prozess der Photolyse aus CO2, Wasser und Sonnenenergie. Tiere und Menschen nehmen diese Kohlenhydrate zu sich, um Energie zu gewinnen, und wir verwenden Kohlenstoff (heute vor allem aus Erdöl oder Erdgas) in der Industrie. Kohlenstoffverbindungen sind im Grunde überall um uns herum vorhanden – und in uns.

Zweitens wollen wir unseren Lebensraum nicht dekarbonisieren (wegen unserer eben erläuterten Abhängigkeit von Kohlenstoff), sondern wir wollen unsere Industrie, unseren Energiesektor und unser Verkehrswesen defossilisieren und alle Emissionen von zusätzlichem CO2 stoppen, das zuvor in Kohle, Erdgas oder Erdöl gebunden war.

Wenn wir uns darauf einigen können, dass unsere eigentliche Herausforderung darin besteht, „neueCO2-Emissionen aus fossilen Quellen zu vermeiden, können wir anfangen, konstruktiver über wirksame Minderungsstrategien zu diskutieren. Wir müssen uns insbesondere darüber im Klaren sein, dass Wasserstoff nicht das Wundermittel ist, das uns von unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen befreit und es uns ermöglicht, unsere CO2-Emissionen so weit zu reduzieren, dass die Erwärmung auf unter 1,5 Grad begrenzt wird. Aber wir können Wasserstoff zum Beispiel nutzen, um die Stahlindustrie zu defossilisieren und unser CO2-Problem in der Luftfahrtindustrie als auch im Seefrachtverkehr zu lösen. CCU ist der vielversprechendste Ansatz zur Defossilisierung der Zementindustrie, in der bei der Verarbeitung von Kalkstein CO2 freigesetzt wird.

Allerdings sind sowohl Wasserstoff als auch CCU energie- und kostenintensiv. Sie sind nur in Kombination mit erneuerbaren Energien sinnvoll. Grüner Wasserstoff und Kohlenstoff aus fossilen Emissionen sind knappe Ressourcen, die nur in den jeweils am besten geeigneten Industriezweigen eingesetzt werden sollten.

Es gibt viele technologische Lösungen, die globalen CO2-Emissionen zu verringern. Wir brauchen sie alle. Manche werden in einigen Sektoren effektiver sein als in anderen. Klimafinanzierungsprogramme, die die industrielle Dekarbonisierung unterstützen sollen, müssen dies widerspiegeln.

Ein erster Schritt dazu wäre, über Schlagworte wie „Dekarbonisierung“ oder „kohlenstofffrei“ hinauszugehen und eine nuanciertere Sprache zu verwenden, die die Debatte über die Reduktion der Treibhausgasemissionen nicht unnötig einengt, die neue Missverständnisse vermeidet und mit alten aufräumt.

Kristina Fürst arbeitet am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam zur gesellschaftlichen Akzeptanz und Einordnung von CO2-Nutzungstechnologien in die Industriedekarbonisierung. Jüngst veröffentlichte sie eine vom BMBF unterstützte Analyse zur „CO2-Nutzung in den Medien“.

Aliaksei Patonia war Fellow am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam und forscht am Oxford Institute for Energy Studies zu Herausforderungen der Wasserstoffwirtschaft.

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