In Deutschland gibt es eine CO2-neutrale Energiequelle, die in großen Mengen verschwendet wird – obwohl sie wirtschaftlich nutzbar ist. Das muss sich ändern. Die Rede ist von Abwärme. Sie fällt beispielsweise in industriellen Prozessen wie der Zementherstellung, in der Papier- und Stahlindustrie an. Für die Stromproduktion ist Abwärme noch beinahe vollständig ungenutzt.
Dabei kann die Abwärme durch den Einsatz der Organic-Rankine-Cycle-Technologie effizient in Strom transformiert werden. Der ORC-Prozess basiert auf einem geschlossenen Kreislauf, bei dem im Unterschied zur klassischen Dampfturbine nicht Wasser erhitzt wird; sondern ein organisches Arbeitsmedium, das auch bei niedrigeren Temperaturen effizient arbeiten kann. Dieser Dampf setzt wiederum eine Expansionsmaschine in Gang, die einen Generator antreibt und so elektrische Energie erzeugt. Seit wenigen Jahren ist diese Kraftwerkstechnologie in kompakten Produkten auch modular verfügbar.
Der Vorteil des modularen Ansatzes liegt darin, dass vorhandene Wärmequellen schrittweise genutzt werden können – es entstehen keine Pfadabhängigkeiten. Außerdem können sowohl kleinere Abwärmequellen als auch solche mit niedrigeren bis mittleren Temperaturen genutzt werden, was die Anwendungsfälle deutlich erweitert.
Den schlafenden Riesen wecken
Die Abwärmenutzung hat ein enormes Potenzial in Deutschland und in der Welt. Mit konsequenter Abwärmenutzung könnten wir weltweit jährlich 750 Millionen Tonnen CO2 vermeiden – eine CO2-Menge, für deren Aufnahme es einen Wald in der Größe von Deutschland bräuchte.
Allein die Abwärme aller Zementwerke entspricht mit einem Volumen von rund 63 Terawattstunden dem Strombedarf aller Privathaushalte von rund 40 Millionen europäischen Bürgerinnen und Bürgern. Auch national betrachtet ist das Potenzial erheblich: Würden deutsche Zementwerke ihre gesamte Abwärme in grünen Strom umwandeln, ließe sich damit ein Bedarf von 480 Gigawattstunden decken – das entspricht dem Verbrauch der Einwohner einer Stadt wie Mannheim.
Die Abwärmenutzung ist ein schlafender Riese auf dem Weg Richtung Dekarbonisierung: Grundlastfähiger, günstiger und grüner Strom kann an vorhandenen Standorten mit industrieller Wertschöpfung produziert und direkt verbraucht werden. Der Handlungsdruck in anderen Bereichen – Stichwort Netzausbau, Industriestrompreis, Flächenbedarf für Wind- und Solarkraft – sinkt entsprechend.
Um beim Beispiel der Zementwerke zu bleiben: Würde das deutsche Potenzial lediglich der Zementwerke genutzt, entspräche das in etwa 80 Windkraftanlagen an durchschnittlichen Standorten in Bayern. Im Vergleich: In ganz Bayern wurden 2022 nur 14 neue Windkraftanlagen gebaut, in Deutschland waren es 551.
Die Politik übersieht das Potenzial bislang
Leider sind die Rahmenbedingungen für Abwärme sowohl auf europäischer als auch deutscher Ebene nicht optimal. Zum einen finden sich im EEG inkonsistente Regelungen. Die Stromerzeugung aus Grubengas, Deponiegas und Klärgas gilt als erneuerbar, die Verstromung von unvermeidbarer Abwärme jedoch nicht. Jedoch: In allen Fällen werden unvermeidbare Abfallprodukte ohne den weiteren Einsatz von Primärenergie nutzbar gemacht. Damit wird CO2 gespart und das Klima geschützt.
Zum anderen ist auch die Taxonomie auf europäischer Ebene nicht kohärent. Atom- und Gasenergie werden genauso wie die Wärmenutzung aus Abwärme als nachhaltig klassifiziert, während die Verstromung dieser CO2-freien Quelle nicht berücksichtigt wurde. Diese Ungleichbehandlung ist nicht nur unlogisch, sondern erschwert auch den Weg der Dekarbonisierung mit heute bestehender, sinnvoll einsetzbarer Technologie. Besser macht es beispielsweise die International Maritime Organization, die Abwärmeverstromung als Mittel zur Reduzierung von CO2-Emissionen anerkennt.
Die Politik jedoch konzentriert sich zu häufig lieber auf ferne Planung als auf heutige Umsetzung. Das zeigt auch der aktuelle und grundsätzlich richtige Vorstoß, Fernwärmenetze auszubauen. Bis diese Netze entstehen, könnte Abwärmeverstromung bereits einen effektiven und wirtschaftlichen Klimabeitrag über das ganze Jahr hinweg leisten. Dabei steht die Verstromung auch nicht in Konkurrenz mit Fernwärme, eine Kombination ist zu jedem Zeitpunkt möglich und häufig sinnvoll.
Das aktuell zur Diskussion stehende Energieeffizienzgesetz macht konkrete Vorschläge zur Nutzung von Abwärme. Generell ist das Gesetz zu begrüßen, ausdrücklich auch der Ansatz, die Nutzung von Abwärme verpflichtend zu machen. Energetisch ist es am sinnvollsten, so wie im Gesetzesentwurf angelegt, die Abwärme für Wärmebedarfe zu nutzen. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass viele – gerade energieintensive – Betriebe Wärmerückgewinnungsmaßnahmen bereits wo immer möglich implementiert haben.
Zusätzlich liegt der Großteil der energieintensiven Industrie nicht notwendigerweise in Ballungsgebieten mit ausgeprägten Nah- und Fernwärmeinfrastrukturen, die die Abwärme technisch aufnehmen könnten. Zudem stellt selbst diese Möglichkeit im Sommerhalbjahr in der Regel keine signifikante Wärmesenke dar.
Leider wird die wie dargelegt äußerst sinnvolle Verstromung im aktuellen Gesetzentwurf nicht explizit erwähnt. Es steht zu befürchten, dass erneut eine pragmatische Lösung außer Acht gelassen wird.
Andere Länder machen es vor
Andere Länder sind in Bezug auf die Abwärmenutzung oft weiter fortgeschritten als Deutschland. Diese Länder, beispielsweise im Nahen Osten, in Nordamerika, aber auch in Asien, erkennen den Wert und das Potenzial der Abwärmenutzung für Energieeinsparungen und den Klimaschutz. Durch innovationsoffene Rahmenbedingungen werden Hindernisse beseitigt und Anreize geschaffen, um effiziente Abwärmenutzungstechnologien einzusetzen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Damit hat die Abwärme auch eine industriepolitische Dimension. Es bleibt zu hoffen, dass Deutschland nicht erneut eine wichtige Technologie für die Energiewende – nach der Solarindustrie – an das Ausland verliert. Die Unternehmen stehen bereit. Konsistente Regulierung, auch für entsprechende Fördermaßnahmen, wäre wünschenswert.
Andreas
Sichert ist Vorstandsvorsitzender und Mitgründer der Orcan Energy AG. Das 2008
gegründete Unternehmen ist auf Technik für Stromgewinnung aus Abwärme
spezialisiert.