Manchmal treibt die Diskussion über eine einheitliche CO2-Bereisung eigenartige Blüten.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die jüngst veröffentlichte „Kurzanleitung“ zur Einführung einer CO2-Steuer von Robert Christian Schmidt im Tagesspiegel Background, genauer, seine „Erläuterungen“ zu dem vorgeschlagen Instrumentenpaket.
Sie haben nicht zu befürchten, ich wolle an dieser Stelle eine Fachdiskussion unter Ökonomen führen. Ich will nur etwas zur wissenschaftlichen Hygiene beitragen. Mir geht es nicht darum, negative Folgen der Aufheizung der Erdatmosphäre zu relativieren oder gar zu leugnen. Mein Anliegen ist vielmehr, die wertbehaftete Dimension nachteiliger Klimaänderungsfolgen qualitativ und quantitativ deutlich zu machen. Und dieses mit der Forderung, dass sich alle, die sich der „Klimaänderungsfolgekosten“ wissenschaftlich oder politisch argumentativ bedienen, auch die nicht selbstverständlichen Werturteile offen legen, damit eine (auch) wertbezogene Diskussion möglich wird. Denn: Wer mit Zahlen zu den Kosten des Klimawandels argumentiert, identifiziert sich auch mit den Werturteilen, die diesen zugrunde liegen.
Diese werturteilsbehaftete Sicht scheint mir nicht immer präsent zu sein, indem externe Kosten der Klimaerwärmung als etwas objektiv – für jede und jeden nachvollziehbares – Gegebenes unterstellt und dem Staat mittels einer CO2-Steuer die Aufgabe zugewiesen wird, diese externen Kosten den Verursachern zuzurechnen, ihnen also die Zahllast (nicht notwendiger Weise die Traglast) für die Schäden zuzuordnen.
Zum ersten Aspekt – den als gegeben unterstellten externen Kosten: Schmidt beruft sich (ohne dieses direkt zu zitieren) auf das Umweltbundesamt, indem er von geschätzten Kosten der Klimaerwärmung von rund 180 Euro pro Tonne CO2-Emissionen ausgeht. Der unbefangene Leser oder die unbefangene Leserin glaubt, hierin einen festen Anker für alles Weitere (beispielsweise für die Wahl eines Steuersatzes einer C02-Abgabe oder -Steuer) zu finden, obgleich es sich bei den Schadenskosten der Klimaerwärmung keinesfalls um ein Objekt handelt, das man gewissermaßen mit einem Blick aus dem Fenster beobachten kann. Die Schadenskosten sind tatsächlich ein Konstrukt mit vielen normativen Voraussetzungen, also von Werturteilen, nicht von positiv-wissenschaftlichen Fakten bestimmt.
1. Welche Folgen des Klimawandels bewerten Bürgerinnen und Bürger qualitativ als Schäden – und zwar angesichts der globalen Dimension des Klimawandels weltweit? Das Umweltbundesamt stützt sich in seiner „Methodenkonvention externe Effekte 3.0“ unter anderem auf folgende Schadenskategorien, allerdings als Expertenmeinung, nicht als Meinung der Weltbevölkerung, : Gesundheitsnachteile, Beeinträchtigung der Küstenregionen durch den Meeresspiegelanstieg, Nachteile durch Extremniederschläge, zunehmende Ausbreitung von Infektionskrankheiten, geringere Nahrungsmittelerzeugung durch Wetterextreme, Trinkwasserknappheit, Verlust an Artenvielfalt, Risiken für die Infrastruktur, insbesondere für die Wasser- und für die Stromversorgung, Migration.Und wie bewerten Experten und vor allem die Bevölkerung die Nordwanderung des Weinbaus als Folge der Klimaerwärmung – als Nachteil oder als Vorteil des Klimawandels? Klar sollte sein, dass es sich bei dieser qualitativen Expertenbeurteilung, was die Folgen des Klimawandels sein dürften und ob diese als Vorteil oder Nachteil zu bewerten seien, korrekt wiedergegeben werden sollten, damit diese Beurteilungen kritisierbar werden. Dieses vermisse ich in einer Debatte, die die externen Kosten des Klimawandels gewissermaßen als objektive Größe vorgibt.
2. Bewertung zukünftiger Klimaschäden: Das Umweltbundesamt sagt klar, dass es die Schadensempfindungen zukünftig Lebender mit einer Jahresrate von einem Prozent geringer gewichtet als die Klimaschadensempfindungen der heutigen Bevölkerung. Das heißt, das, was die heutige Bevölkerung an Klimaschäden empfindet, nimmt bei den nach uns Kommenden ab. Das ist zwar einerseits eine klare, nachvollziehbare Bewertung – etwa weil die Menschen in der Zukunft mehr Einkommen haben dürften und deshalb der Klimaerwärmung besser begegnen könnten. Andererseits schätzen wir Gegenwärtigen die Wünsche der Zukünftigen unter dieser Annahme weniger Wert, obwohl wir unsere eigenen elementaren Wünsche ohne allzu große Irrtümer auf die nach uns Kommenden sicherheitshalber übertragen dürften. Dieser Bewertungsansatz führt dazu, dass die berechneten Schadenskosten der Erderwärmung über die Jahrzehnte sinken.
3. Bewertung der globalen Dimension: Das Umweltbundesamt trifft die normative Aussage, die Klimafolgeschäden in den – im Vergleich zur EU – einkommensschwächeren Weltregionen, höher zu gewichten sind, als diese dort tatsächlich anfallen. Kurz: Die relativen Schäden in ärmeren Ländern werden genauso hoch bewertet als würden diese Schäden in der EU anfallen. Das kann man mit Gerechtigkeitserwägungen begründen, es wirkt allerdings auf die Schadenkostenhöhe deutlich steigernd. Beispielweise betragen danach die Klimaänderungsfolgekosten 2015 etwa 176 Euro pro Tonne CO2-Emission anstatt knapp 63 Euro pro Tonne, legte man allein die deutschen Einkommensverhältnisse zugrunde.
4. Bewertung der Schadenskategorien hinsichtlich des Zeitpunkts der Treibhausgasemission: Das Umweltbundesamt nennt die Schadenskosten von rund 180 Euro pro Tonne für die Emissionen des Jahres 2016, also keineswegs als feste, für absehbare Zeit fest gemauerte Zahl. Für 2050 lägen diese Kosten bei ein Prozent geringerer Bewertung der Folgen für nach uns Kommende bei 205 Euro pro Tonne statt bei 176 Euro pro Tonne im Jahr 2015.
5. Und bei all dem kommt das implizite Werturteil hinzu: Die jeweils ermittelten Schadenkosten ergeben sich aus Marktpreisen, wie wir sie heute haben, damit auch aus der individuellen Zahlungsbereitschaft und -Fähigkeit heute Betroffener.
Wer sich diese Voraussetzungen für eine Argumentation mit den „Kosten des Klimawandels“ vergegenwärtig, mag gerne in eine Werturteilsdebatte einsteigen, sollte seine oder ihre Auffassung aber nicht als voraussetzungsfreie, weil werturteilsungebundene Schätzung der Schadenskosten des Klimawandels ausgeben.
Wer – wie Schmidt, es als Aufgabe des Staates betrachtet, externe Kosten des Wirtschaftens den Verursachern anzulasten, sollte die den externen Kosten zugrundeliegenden Bewertungen klar und damit kritikfähig machen.
Damit sind wir beim zweiten Aspekt, nämlich wie der Staat die – wesentlich – normativ konstruierten externen Kosten der Klimaerwärmung den Verursachern zuordnen sollte. Schmidt: „Die Bepreisung von externen Kosten gehört m.E. zu den Grundaufgaben des Staates. Die Nicht-Bepreisung von CO2-Emissionen ist somit (aus meiner Sicht) eine Form von Staatsversagen, da der Staat dann nicht die erforderlichen Rahmenbedingungen für effizientes und gleichzeitig klimaschonendes Wirtschaften setzt. Die Nicht-Bepreisung von CO2-Emissionen ist aus ökonomischer Sicht eine Subvention für klimaschädliches Verhalten.“
So weit, so gut. Dagegen sprechen folgende Argumente:
Externe Kosten (des Marktsystems) lassen sich nicht internalisieren, sondern lediglich in andere externe Effekte überführen – etwa in die demokratischer Abstimmungen oder administrativer Entscheidungen (vgl. Andreas Troge, Ökologisch ehrliche Preise – eine Fata Morgana, in Zeitschrift für die gesamte Wertschöpfungskette der Automobilwirtschat (ZfAW), Nr.1/2015, S. 64 ff.) Kurz: Man ersetzte nur die externen Effekte der Märkte durch jene einer demokratischen Abstimmung oder jene der Bürokratie. Externe Kosten – auch die des Klimawandels – sind also nicht vermeidbar, sondern nur in andere Kollektiventscheidungsverfahren (hier in demokratische oder administrative Verfahren) zu verlagern.
Wollte ein Staat die Klimaschadenskosten strikt den Verursachern als Zahllast zuweisen, so müsste er sich an den völkerrechtlich und EU-rechtlich vereinbarten Emissionshöchstmengen an Treibhausgasemissionen orientieren. Der Versuch, die notwenigen Emissionsminderungen über eine Steuer oder sonstige Abgabe zu erreichen, wäre ein unproduktiver Umweg, weil die Abgabenhöhe nicht garantiert, dass die Emissionsminderungsziele auch erreicht werden. Weder unabhängige Fachleute noch die staatliche Administration können mit hinreichender Sicherheit sagen, wie zielgenau eine solche Steuer oder sonstige Abgabe wirken würde.
In einem stimme ich Schmidt zu: Ein Grenzausgleich wäre bei anspruchsvollen Minderungen der Treibhausgasemissionen (sowohl für eine Steuer oder sonstige Abgabe auf das Inverkehrbringen der kohlenstoffhaltigen Energieträger als auch für Zertifikate für dasselbe) notwendig, und zwar nicht nur zum Schutz der heimischen Unternehmen und ihrer Arbeitsplätze, sondern vor allem, um global Dynamik in den Klimaschutz zu bringen; denn wer vom zu Hause unterlassenen Klimaschutz wirtschaftlich nicht profitieren kann, dürfte mehr Anreize haben, um bei globalen Klimaschutz mitzumachen, als unter dem gegenwärtigen globalen Regime der freiwilligen Selbstverpflichtungen der Zeichnerstaaten des Paris-Übereinkommens. Nur: Schmidt verkennt, dass nationale Alleingänge oder solche einiger „like minded countries“ in der EU desintegrierend auf den EU-Binnenmarkt wirken und deshalb wohlstandmindernd und auf die EU destabilisierend wirken würden.