Ausgerechnet Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke brachte es unlängst auf den Punkt: „Wir haben den Rohstoff der Zukunft, wir haben erneuerbare Energien in Brandenburg“, sagte der SPD-Politiker in Potsdam. Damit habe er, Woidke, Tesla-Chef Elon Musk überzeugt, seine Gigafabrik im märkischen Sand zu errichten.
Wenn der Ministerpräsident da mal nicht zu viel versprochen hat. Denn tatsächlich bewegt sich Deutschland gerade auf eine Ökostromlücke hin. Und die resultiert nicht nur aus dem viel zu langsam vorankommenden Ausbau von Wind- und Solarenergie, sondern wird auch von der rapide wachsenden Nachfrage nach dem grünen „Rohstoff der Zukunft“ angetrieben.
Es gibt nicht nur Tesla. Auch viele andere Betriebe und Branchen wollen Ökostrom direkt beziehen und so ihre Produktion und Energiebilanz klimaneutral gestalten. Die chemische Industrie verkündete, sie allein benötige 600 Terawattstunden (TWh) jährlich, um vollständig auf Ökostrom und grünen Wasserstoff umsteigen zu können.
Wachsende Nachfrage verschärft Ökostromlücke
Der Trend zum Ökostrom ist nicht neu. Während sich die Ökostromerzeugung in den letzten zehn Jahren in etwa verdoppelt hat, wuchs der Absatz auf Basis von Grünstromverträgen um das Fünffache auf 90 TWh im Jahr 2018 an, immerhin ein Siebtel des gesamten Stromverbrauchs. Für die Zukunft ist angesichts des wachsenden Klimabewusstseins der Kunden ein deutlich schnellerer Anstieg absehbar.
Doch woher soll der ganze Ökostrom kommen? Die Ökostromqualität muss über Herkunftsnachweise erbracht werden. Die Herkunftsnachweise bestätigen, dass jede Megawattstunde Ökostrom tatsächlich von einer Erzeugungsanlage in einer der EU-Staaten, in Norwegen oder der Schweiz erzeugt und ins Netz gespeist wurde. Der Kauf dieser Herkunftsnachweise ist seit vielen Jahren die gesetzliche Grundlage für den Vertrieb von Grünstrom.
Kunden wollen Ökostrom am liebsten aus der Region
Dieses Modell entspricht keineswegs der Erwartung der Kunden. Sie wollen Ökostrom aus Deutschland, am liebsten aus möglichst neuen Wind- und Solaranlagen. Und sie wollen damit den Ausbau und die Energiewende voranbringen. Doch das ist in Deutschland nicht möglich. Denn jeglicher über das EEG geförderter Ökostrom ist vom System der Herkunftsnachweise und damit der Vermarktung über Ökostromvertriebe ausgeschlossen.
Die strenge Trennung zwischen Grünstrommarkt und der EEG-Förderung basiert rechtlich auf dem Doppelvermarktungsverbot. Es soll verhindern, dass Ökostrom, der über das EEG gefördert wurde, noch einmal als Grünstrom, womöglich zu höheren Preisen, an Endkunden verkauft werden kann. Das wiederum zöge zudem beihilferechtliche Konsequenzen auf EU-Ebene nach sich. Das alles muss natürlich vermieden werden. Es braucht klare und transparente Regeln, um Rechtssicherheit für die staatliche Förderung, aber auch Vertrauen in Ökostromprodukte zu schaffen. Die Regelung in Deutschland basiert auf einer überholten Vorstellung vom Ökostrommarkt.
Denn der Strom aus EEG-Anlagen geht derzeit in aller Regel an die Börse und wird dort als „Graustrom“ ohne besondere ökologische Qualität verkauft. Einen echten Ökostrommarkt einzuführen, in dem auch die grüne Qualität des Stroms die Kunden erreicht, wäre im Grunde erst der Beginn einer echten Direktvermarktung und keine Doppelvermarktung. In 21 EU-Staaten ist dies längst – trotz auch dort vorhandener staatlicher Förderung – gängige Praxis. Nur sechs Länder halten an alten Restriktionen bei der Ökostromvermarktung fest, darunter auch Deutschland.
Ökostrommarkt neu aufsetzen
Und dies soll nach dem Willen des Bundeswirtschaftsministeriums auch so bleiben. Jedenfalls wird hier zwar viel über die Marktintegration von Ökostrom diskutiert, doch der freiwillige Ökostrommarkt wird im Hause Altmaier bestenfalls unter „ferner liefen“ zur grünen Spielwiese kleingeredet. Das verkennt die enormen Marktpotenziale, die mit dem wachsenden Kundeninteresse an Ökostrom verbunden sind. Nach 20 Jahren EEG sollte diese Retro-Haltung dringend überdacht werden. Und die bisherige beihilferechtliche Argumentation hält einer Prüfung ebenfalls nicht mehr stand.
Fangen wir also auch in Deutschland an, einen Ökostrommarkt zu etablieren, der die Nachfrage decken kann und sie aktiv nutzt, um die Energiewende zu beschleunigen. Dazu gehört zunächst, alten, aus der EEG-Förderung fallenden Anlagen eine dauerhafte Perspektive im Ökostrommarkt zu geben, etwa über auskömmliche Einspeisebedingungen für PV-Anlagen und langfristige Lieferverträge (PPA) für Windparks. Hier sollte der Staat für die ersten Jahre eine Bürgschaft übernehmen, um die Forderung nach gegenseitigen finanziellen Absicherungen zwischen Anlagenbetreiber und Stromabnehmer staatlich abzusichern. Das wäre eine wichtige Initialunterstützung, damit das PPA-Geschäft in Deutschland auf die Beine kommt.
Doch es braucht auch strukturelle Veränderung im EEG. Nicht nur die aus dem EEG fallenden Altanlagen, sondern auch neue EEG-Anlagen sollten die Möglichkeiten erhalten, Herkunftsnachweise für ihren Strom zu generieren und ihn als Grünstrom an Endkunden liefern zu können. Ausgehend vom Wind- und Solar-Ausbaupfad der Bundesregierung kämen so überschlägig Jahr für Jahr gut acht TWh Ökostrom neu auf den Markt.
Das wäre ein guter Einstieg in einen stetig wachsenden Ökostrommarkt, der den Kundenwunsch nach sauberem Strom aus der Region bedienen kann. Der Zubau in Brandenburg könnte nur dann die Ökostromnachfrage von Tesla sichern, wenn Elon Musk die Herkunftsnachweise aus diesen Anlagen kaufen und entwerten könnte. Nur dann könnten Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und Elon Musk von einer CO2-freien Fertigung sprechen. Nur so wäre das Lockangebot des Ministerpräsidenten reell.
Anlagen, die direkt zur lokalen Stromversorgung
beitragen, werden auch eine höhere Akzeptanz
genießen. Und die Betreiber würden über die Vermarktung der Herkunftsnachweise
eine weitere, rein durch Nachfrage und damit marktwirtschaftlich initiierte Einnahmequelle erschließen, die den
Förderbedarf des EEG senken würde. Es gibt also viele Gründe, alte Zöpfe
abzuschneiden, die steigende Nachfrage aus dem Markt zu nutzen und den Ökostrommarkt neu zu denken.