Die Windenergiekrise ist hausgemacht – und kennzeichnend für grundlegende Fehler bei der Gestaltung der Energiewende. Zwei Probleme stechen besonders ins Auge: zum einen eine bemerkenswerte Zielungenauigkeit, zum zweiten eine Bürger*innen- und Verbraucher*innenfeindlichkeit.
Seit Beginn des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) war die Frage, ob man die gesetzten Ausbauziele trifft, eine Wundertüte. Zwischenzeitlich war der Ausbau viel dynamischer als von allen erwartet. Seit einigen Jahren bleibt er hinter den gesetzten Zielen deutlich zurück. Die Instrumente, die eine bessere Mengensteuerung bewirken sollten, blieben stumpfe Waffen. Der atmende Deckel sollte bei der Photovoltaik den Zubau in einem vom Gesetzgeber gewünschten (aber aus Sicht des Klimaschutzes viel zu niedrig angesetzten) Ausbaukorridor halten. Bei Windenergie an Land gab es nie einen Versuch eines atmenden Deckels. Dafür hat der Gesetzgeber mit der Einführung von Ausschreibungen eine fixe Obergrenze gesetzt.
Es ist praktisch unmöglich, dass mehr Windenergieanlagen gebaut als ausgeschrieben werden. Es ist aber sehr wohl möglich, dass weit weniger als die ausgeschriebene Menge tatsächlich realisiert wird. Im Jahr 2019 waren alle vier Ausschreibungsrunden deutlich unterzeichnet. Die Folge: Die Windenergie schlittert in ihre schwerste Krise seit Jahrzehnten.
Diese Entwicklung ist dramatisch, denn der Zubau von Erneuerbare-Energie-Anlagen ist wesentlicher Bestandteil der Klimaschutzstrategie in Deutschland. Bleibt der Zubau so deutlich unter dem angestrebten Niveau, scheitert der Klimaschutz in Deutschland. Es ist also Zeit für Mechanismen, die verlässlich und planungssicher zu einem im Sinne der Klimaschutzziele angemessenen Zubau von Erneuerbare-Energie-Anlagen führen.
Ziele vorgeben, Einhaltung einfordern
Vorbilder für eine Governance gibt es genug. Man kann sich dafür insbesondere am Verhältnis zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedern orientieren. Dann wären aus den Klimaschutzzielen verbindliche Ziele für den Ausbau von erneuerbarer Energie abzuleiten. Das Entscheidende ist, dass diese Ziele räumlich spezifiziert werden. Es sollten pro Bundesland spezifische Ausbauziele festgelegt werden. Diese Ziele könnten bundesgesetzlich vorgeschrieben werden.
Mehr dem Geiste des Föderalismus entspräche es möglicherweise, wenn der Bund bilaterale Vereinbarungen mit jedem einzelnen Bundesland träfe. In jedem Fall sollte es sanktioniert werden, wenn ein Bundesland unter den Zielen bleibt – etwa indem Mittel aus der Nationalen Klimaschutzinitiative zurückgefordert werden oder indem – ähnlich wie es bei den Klimaschutzzielen auf europäische Ebene vorgesehen ist – Strafzahlungen erfolgen.
Damit die Bundesländer – jedenfalls soweit es Flächenstaaten sind – die Ziele einhalten können, sind sie auf die aktive Unterstützung der Kommunen angewiesen. Deshalb ist es richtig, die kommunalen Kompetenzen bei der Planung von Windenergie zu stärken, solange dies nicht dazu führt, dass Projekte eher verhindert als ermöglicht werden.
Um dies zu vermeiden, sollten die Länder die vorgeschlagene Praxis des Bundes aufgreifen und in Landesklima- oder Landesenergiegesetzen konkrete Planzahlen für die einzelnen Kommunen definieren. Diese sind so zu fassen, dass in der Summe die Landesziele erfüllt werden. Wie die Kommunen die jeweiligen Ziele erreichen wollen, steht ihnen frei. Verfehlen jedoch die Kommunen ihre Ziele, sind wiederum Sanktionen vorzusehen.
Schließlich könnte, wie vom Berliner Baurechtler Prof. Gerd Schmidt-Eichstaedt vorgeschlagen, den Kommunen auch die Möglichkeit gegeben werden, in Analogie zum Bergbaurecht, eine Grundabtretung zu erzwingen, wenn dies für das Erreichen der Ziele erforderlich ist. Insoweit die Kommunen von dem Recht der Grundabtretung Gebrauch machen, könnten sie für die betreffenden Flächen, so der Vorschlag von Schmidt-Eichstaedt weiter, Konzessionen vergeben – eine Möglichkeit für die Standortgemeinde, stärker finanziell von erneuerbarer Energie zu profitieren.
Für die Bürger*innen, nicht gegen sie
Das ursprüngliche EEG war ein Bürgerenergiegesetz. Mit der Einführung von Ausschreibungen wurde es zum Bürgerenergieverhinderungsgesetz. Der Versuch, Bürgerenergiegesellschaften eine Chance in Ausschreibungen zu geben, schlug fehl. Plötzlich gab fast jeder Wettbewerber (meist irreführenderweise) vor, eine Bürgerenergiegesellschaft zu sein. Das ist aber nicht das Kernproblem. Es sind die Ausschreibungen selbst.
Eingeführt hat die der deutsche Gesetzgeber mit dem Hinweis auf eine europarechtliche Verpflichtung. Diese ist zum einen heute aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs höchstwahrscheinlich obsolet. Vor allem aber haben alle relevanten Organe der EU – Rat, Parlament und Kommission – wiederholt darauf hingewiesen, dass Ausschreibungen für Bürgerenergie ungeeignet sind, da Bürgerenergie typischerweise kleinere Projekte betreibt. Die Mitgliedsstaaten wurden daher aufgefordert, sie von der Ausschreibungspflicht auszunehmen. Der deutsche Gesetzgeber ist dem nicht gefolgt und hat damit ohne Not eine wesentliche Barriere für Bürgerenergie eingeführt.
Widerstand herausgefordert
Dies hat wiederum dramatische Folgen. Denn soweit die Energiewende von Bürgerenergie getragen ist, kann bei den Menschen vor Ort gar nicht erst das Gefühl aufkommen, Anlagen würden ihnen von oben vor die Nase gesetzt, oktroyiert. Die Forschung zeigt, dass dieses Gefühl der wichtigste Grund für Widerstand gegen neue Windprojekte darstellt. Offenbar verlangsamen viele Kommunen den Prozess zur Planung von Windenergieanlagen, weil sie Unmut in ihrer Bevölkerung befürchten. Die bessere Strategie wäre es, konsequent auf Bürgerenergie zu setzen. Sofern die von Schmidt-Eichstaedt vorgeschlagene kommunale Konzessionierung des Grunds und Bodens vorgesehen wird, könnte Bürgerenergie bei der Konzessionsvergabe ein Kriterium sein.
Daneben gibt es noch einen weiteren Weg, die Menschen als Energieverbraucher*innen vom Windpark um die Ecke profitieren zu lassen. Dies geht zum Beispiel durch Direktlieferungen von Windstrom aus der Region an die Menschen in der Region. Richtig attraktiv wird dies, wenn die geringen Erzeugungskosten auch an die Verbraucher*innen weitergegeben werden. Dafür müsste der Gesetzgeber auf die EEG-Umlage und die Stromsteuer verzichten und ein niedrigeres Netzentgelt vorsehen. Gut begründbar wäre dies allemal, denn viele Menschen nehmen Windparks als Beeinträchtigung wahr. Sie sollten daher auch von ihnen profitieren.
Eine Konstellation fördert den Unmut der Menschen vor allem – die netzengpassbedingten Abregelungen von Windparks. Nichts liegt näher, als Überschussstrom für Mobilität und Wärme zu nutzen – zum Wohle nicht nur des Klimas, sondern auch der Menschen vor Ort. Denn die regionale Wertschöpfung und die regionale Kaufkraft würden gestärkt, weil der Import von Öl oder Gas und damit der Abfluss von Geld aus der Region (und in Staaten wie Russland und Saudi-Arabien) erheblich reduziert werden könnte. Doch dafür müssen Power-to-Heat und die Elektromobilität, später dann auch Power-to-X endlich auf den Weg gebracht werden, und zwar vorrangig dort, wo heute schon regelmäßig Windparks vom Netz genommen werden, weil der Strom nicht abtransportiert werden kann.
Lippenbekenntnisse aus Berlin
Die Bundesregierung geht diesen Punkt – allen politischen Lippenbekenntnissen pro Sektorkopplung zum Trotz – einfach nicht an. Stattdessen beharrt sie auf ihrem Dogma, dass die beste aller Alternativen der Netzausbau sei. Dass sie damit den Eindruck erweckt, Windenergie mache die Menschen (vor Ort) zu Verlierer*innen der Energiewende, scheint ihr egal zu sein.
Ein „Weiter so!“ wird die Windenergie nicht neu beleben. Gefragt sind substanziell neue Ansätze – im Planungsrecht und bei der Partizipation der Bürger*innen und Verbraucher*innen vor Ort. Helfen könnte ein Gedanke von Goethe. Er dichtete einst: „Willst Du immer in die Ferne schweifen – sieh, das Gute liegt so nah“ – ein gutes Rezept für eine von Bürgern*innen und Kommunen getragene Energiewende.