Die Grünen ziehen gerade in den Umfragen an der Union vorbei. Wichtigster Grund: Die Grünen sind beim Klimaschutz besonders glaubwürdig. Herr Lenz, hätte die Union da nicht viel früher reagieren müssen?
LENZ: Also wir haben beim Klimaschutz schon einiges erreicht. Wir sind jetzt bei einer Reduzierung von 32 bis 34 Prozent an Treibhausgasen gegenüber 1990, eine ganze Menge aus meiner Sicht. Dennoch verfehlen wir das Klimaziel 2020 von Minus 40 Prozent und deshalb werden wir jetzt einen Plan vorlegen und umsetzen, mit dem wir das Klimaziel 2030 erreichen können. Es wird dabei einen Wettstreit um die besten Konzepte geben. Wir als Union sind dabei nicht auf die Grünen angewiesen, wir werden intern die Diskussion führen und auch Ergebnisse auf den Tisch legen.
Frau Verlinden, die Union bemüht sich jetzt um Besserung: Klimaschutz ist zur neuen Priorität erklärt worden. Ein Triumph oder ist Ihnen schon bange vor neuer Konkurrenz?
VERLINDEN: Keines von beidem. Natürlich ist das schön, wenn jetzt andere auch ankündigen, mehr für den Klimaschutz tun zu wollen. Aber es geht ja ums Handeln, nicht ums Ankündigen, deshalb ist uns auch nicht bange. Die Wahrheit ist: Angela Merkel hat viel zu wenig für die Reduktion von Treibhausgasen in Deutschland getan. Die Bilanz ist schlicht desaströs. Die Bundesregierung hat in keinem der Sektoren den Weg zu den Klimazielen 2030 mit Maßnahmen unterlegt. Wir Grünen dagegen haben ein Paket an Vorschlägen, die wir übrigens immer wieder im Parlament einbringen, etwa den „Aktionsplan faire Wärme“, um die energetische Gebäudesanierung voranzubringen.
Herr Lenz, kommen wir auf den Zeitplan der Union zu
sprechen. Bis Herbst soll es ein Klimaschutz-Konzept geben, inklusive
Energiesteuerreform und CO2-Bepreisung. Kann man denn in nur ein paar Monaten
alles nachholen, was die vergangenen Jahre versäumt wurde? Haben Sie dafür auch
die personelle Kapazität in der Union?
LENZ: Der Klimaschutz war der Union schon immer wichtig. Natürlich hatte er nicht die Aufmerksamkeit wie gerade jetzt, auch nicht in der Öffentlichkeit. Was wir aus meiner Sicht jetzt benötigen, ist eine neue Stufe beim Klimaschutz und bei der Energiewende, um jetzt auch den Sektor Wärme und Verkehr stärker zu adressieren. Deshalb brauchen wir zunächst eine Reform des bestehenden Energiesteuersystems – der Abgaben und Umlagen, diese müssen stärker auf CO2-Gesichtspunkte abzielen. Wir müssen das in einer Art und Weise machen, dass wir ökonomische und soziale Belange nicht aus dem Blick verlieren. Wichtig ist, dass es am Ende ein schlüssiges Gesamtkonzept gibt. Ich warne auch davor, zu denken, es brauche nur eine CO2-Steuer, wo viele gar nicht wissen was damit gemeint ist, und dann sind alle Probleme gelöst. Das ist nicht der Fall.
Frau Verlinden, da würden Sie doch jetzt sicher zustimmen.
VERLINDEN: Klar, der CO2-Preis ist nur ein Baustein für den Klimaschutz, wir brauchen aber sehr viele, um den Turbogang einzulegen. Und natürlich ist es jetzt viel schwieriger die Klimaziele zu erreichen, weil Union und SPD sich die vergangenen Jahre nur erfolglos durchgewurschelt haben. Deshalb müssen die Treibhausgasemissionen jetzt viel schneller gesenkt werden. Was mich sehr ärgert ist, dass wir in den vergangenen Jahren die Chance verpasst haben, mit Investitionen in den Klimaschutz auch die Wirtschaft und die Gesellschaft zu stärken. Dann wären wir jetzt besser gerüstet für die Herausforderungen, die auf uns zukommen. Deswegen bin ich jetzt auch so ungeduldig. Jetzt sagt die Union andauernd, dass man niemanden überfordern dürfe. Hätten wir viel früher begonnen, wäre mehr Zeit geblieben, die Leute vorzubereiten. Ich bin im Übrigen auch sehr misstrauisch, wenn ich höre, dass bis Herbst der Super-Duper-Klima-Wurf der Union kommen soll.
LENZ: Die Dekarbonisierung der Gesellschaft ist doch ein Mammutprojekt! Wir brauchen dazu viele Instrumente. Diese müssen dann gesetzlich verankert werden. Eingriffe wie ein CO2-Preis haben Auswirkungen, das muss gut überlegt sein. Vor allem brauchen wir langfristige Ansätze, die die Investitionsanreize richtig setzen. Ich könnte mir, neben der langfristigen Preissteigerung bei CO2, auch vorstellen, dass man Förderinstrumente einführt, die am Anfang großzügig ausfallen und dann abschmelzen. Das würde Vorzieheffekte bei der Emissionsreduktion bewirken. Und man muss dann die Instrumente regelmäßig auf deren Wirksamkeit hin überprüfen, mit der Möglichkeit, nachjustieren zu können.
Frau Verlinden, die Union schielt wohl auch auf die Landtagswahlen im Osten. Kein Klimaschutzkonzept, bevor im Oktober die Wahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen durch sind. Ist das nachvollziehbar?
VERLINDEN: Nein, überhaupt nicht. Es gab eine Umfrage, in der die Teilnehmer befragt wurden, ob sie mit der Klimaschutzpolitik der Bundesregierung zufrieden sind. Zufrieden waren nur drei Prozent, also fast niemand. Ich sehe es nicht, dass man davor Angst haben muss, eine ambitionierte Klimapolitik zu machen. Viele Menschen machen sich Gedanken über Klimaschutz. Viele Leute wollen auch Klarheit darüber, was genau ansteht.
LENZ: Ich habe die These noch nie gehört, dass wir auf die Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern warten würden. Das würde ja auch gar nichts bringen. Nach der Wahl ist vor der Wahl.
Soziale Fairness bei der CO2-Bepreisung wird immer wieder eingefordert, nicht nur von der Union. Aber für die Union scheint es ein Knackpunkt zu sein. Richtig, Herr Lenz?
LENZ Ich bin immer total verwundert, wenn sich die Grünen hinstellen und sagen, mit einer CO2-Steuer würde sich für den Einzelnen gar nichts ändern. Es ist doch gerade das Ziel, dass sich was ändern soll. Deswegen würde es auch Auswirkungen auf jeden Einzelnen geben. Deswegen ist das Ganze auch so komplex. Wir müssen schauen, dass wir Menschen in ländlichen Räumen nicht vernachlässigen. Wir dürfen den Industriestandort nicht gefährden. Wenn unsere energieintensive Industrie abwandert, dann macht uns sicher keiner auf der Welt ein Konzept einer CO2-Steuer nach. Man muss das Richtige auch richtig machen.
VERLINDEN: Wenn Herr Lenz sagt, uns würde das keiner nachmachen, schauen wir uns doch mal um: Es gibt viele Länder, die bereits eine CO2-Steuer erheben. Von denen können wir lernen, Gutes nachmachen und Schlechtes vermeiden. Es gibt viele Modelle, wie eine CO2-Steuer auch zurückerstattet werden kann. Die Schweiz ist ja derzeit ein häufig genanntes Beispiel. Aber nochmal: Der CO2-Preis kann wirklich nur ein Baustein sein. Es braucht ja auch Alternativen, damit Menschen sich überhaupt klimafreundlicher verhalten können. Es geht schließlich nicht darum, dass die einen mehr zahlen und die anderen weniger, sondern dass die Emissionen gesenkt werden. Ein Beispiel: In Deutschland wohnen sehr viele Menschen zur Miete, mehr als in jedem anderen europäischen Land. Diejenigen haben keinen Einfluss, ob sie eine Wärmepumpe im Haus haben oder eine Ölheizung. Nur der Vermieter kann die Investitionsentscheidung treffen. Damit ist er verantwortlich für den CO2-Fußabdruck dieses Gebäudes und seiner Bewohner. Deshalb muss der Anreiz, das Gebäude fit zu machen für die Zukunft, eben auch beim Besitzer wirken, nicht beim Nutzer, der darauf gar keinen Einfluss hat.
Ein Baustein des Klimaschutzes ist das 65-Prozent-Erneuerbaren-Ziel. Herr Lenz, in der AG Akzeptanz sollen die Hürden für den Ausbau der Erneuerbaren beseitigt werden. Tatsächlich ist die Arbeit so gut wie zum Erliegen gekommen, Union und SPD streiten vor allem um den Mindestabstand von Windanlagen. Scheitert der Erneuerbaren-Ausbau?
LENZ: Die Arbeit ist keineswegs zum Erliegen gekommen. Akzeptanz hat viele Aspekte, einer davon ist sicher die unmittelbare Betroffenheit, deshalb wird es am Ende auch beispielsweise um Abstandsregelungen bei Wind an Land gehen. Aber ich bin mir trotzdem sicher, dass wir das 65-Prozent-Ziel im Strombereich bis 2030 einhalten können. Wir haben etwa Potenziale durch Repowering. Die neuen Anlagen leisten wesentlich mehr als die alten. Wir haben Potenzial bei Offshore-Wind. Und wir haben auch Potenzial bei der Photovoltaik. Sämtliche Bereiche werden dazu beitragen, das Ziel zu erreichen. Was uns wichtig ist: Betroffene Kommunen sollen auch einen finanziellen Vorteil davon haben, wenn solche Anlagen bei Ihnen stehen.
VERLINDEN: Ich kann das wirklich nur begrenzt nachvollziehen, dass man eine solche Debatte über Mindestabstände führt. Die jüngsten Zustimmungswerte für Erneuerbare-Energien-Anlagen in der Umgebung des eigenen Wohnortes, eine Analyse von der Agentur für Erneuerbare Energien aus dem Herbst 2018, zeigen: 69 Prozent der Befragten, die schon Windräder in der Nähe haben, finden das eher gut oder sogar richtig gut. Die AG Akzeptanz sollte sich mal mit diesen guten Zustimmungswerten beschäftigen. Wichtig für das Gelingen ist, dass die Menschen beteiligt werden an der Energiewende, die regionalen Bürgerenergie-Genossenschaften sind zum Beispiel ein großer Erfolg.
LENZ: Energiewende als Chance vor Ort: Das puschen wir auch in der AG Akzeptanz und wir wollen die lokalen Beteiligungsformen an Erneuerbare-Anlagen stärken. Mit diesen ganzen Umfragen wäre ich aber vorsichtig. Es hieß doch gerade noch, nur drei Prozent der Deutschen fänden die Klimaschutzpolitik der Regierung gut. Bei der CO2-Steuer gibt es Umfragen, die sagen, zwei Drittel der Deutschen sei dagegen. Auf unterschiedliche Fragen bekommt man unterschiedliche Antworten, das Bild ist keinesfalls so klar, wie es die Grünen gerne darstellen und die eigenen Betroffenheit spielt immer eine Rolle.
Kommen wir zum Kohlekompromiss. Da saßen Sie, Herr Lenz, mit in der Kommission, wenngleich ohne Stimmrecht. Frau Verlinden, wie fanden Sie den Beschluss der Bundesregierung, die Interessensgruppe fast ohne Vorgaben den Kohleausstieg Deutschlands aushandeln zu lassen?
VERLINDEN: Also das Mandat der Kohlekommission, das vorgibt, die Energiewirtschaft müsse ihre CO2-Emissionen um 61 bis 62 Prozent bis 2030 verringern, hat sich explizit nicht am Pariser Klimaabkommen orientiert. Das war schon ein erster Fehler.
LENZ: Das war auch immer wieder ein großes Thema in der Kohlekommission. Dazu haben wir auch wissenschaftliche Gutachten in Auftrag gegeben. Aus unserer Sicht orientiert sich das Mandat der Kommission klar am Pariser Klimaabkommen. Die Kommission hat festgelegt, dass bis 2022 rund 30 Prozent der Kohlekapazität vom Netz geht, es gibt einen klaren Ausstiegspfad. Das ist mehr als das, was bei den Verhandlungen zur Jamaika-Koalition auf dem Tisch lag. Der Kohlekompromiss stellt sicher, dass die Energiewirtschaft ihren Beitrag zu den Klimazielen 2030 leistet.
VERLINDEN: Es ist nicht mehr als bei Jamaika! Wir Grüne haben in den Sondierungen gefordert, die 20 klimaschädlichsten Kohlekraftwerke sofort abzuschalten. Nach dem Kohlekompromiss sollen erste Stilllegungen zudem erst bis 2022 erfolgen. Das ist also keine Glanzleistung. Schon die Sektorziele für 2030 sind nicht am Pariser Klimaabkommen orientiert, hier müsste die Bundesregierung auch dringend nachschärfen. Der Fahrplan der Kohlekommission geht also, was die Reduktion der CO2-Emissionen betrifft, nicht steil genug nach unten. Der Beitrag der Kohlewirtschaft ist zu wenig für diese ganz zentrale Frage Klimaschutz.
Herr Lenz, haben die wochenlangen Gespräche der verschiedenen Interessensgruppen eigentlich dazu beitragen können, dass sich der sehr aufgeladene Konflikt Kohle versus Klima in Deutschland entspannt?
LENZ: Naja – die Interessenslagen der Beteiligten waren ja klar – mir ist es wichtig, dass der Kompromiss am Ende nicht zu teuer wird und letztlich das Parlament entscheidet. Ich denke, die Findung eines gesellschaftlichen Konsens bei der Frage der Kohle ist schon ein Wert. Und ja, es war zu beobachten, dass das Verständnis füreinander über die Zeit stieg. Die Kaffeepausen dienten auch dazu, dass man sich kennenlernt und austauscht.
VERLINDEN: Ich sehe das anders. Der Konflikt wurde nicht befriedet. Es ist im Parlament noch nichts beschlossen von diesem Kompromiss der Kommission. Es gab jüngst sogar wieder einige Unionspolitiker, die sich ganz bewusst distanziert haben von dem Kompromiss. Union und SPD haben sich schlicht nicht darauf einigen können, in welche Richtung es beim Kohleausstieg geht. Deswegen wurde die Entscheidung an die Kohlekommission ausgelagert. Der richtige Ort der Entscheidung wäre aber das Parlament gewesen, dafür sind wir ja schließlich gewählt worden. Im Übrigen sind auch die Umweltgruppen nicht glücklich mit dem Kompromiss. 2038 ist als Ausstiegsjahr viel zu spät.
Ob die Groko hält, ist nach derzeitigem Stand vollkommen offen. Herr Lenz, die Grünen reiten gerade eine Erfolgswelle, Schwarz-Grün erscheint derzeit als wahrscheinlichste Option nach den nächsten Wahlen. Wie weit wird die Union den Grünen entgegenkommen?
LENZ: Wir sind gerade in einer Koalition. Wir haben so viel über Herausforderungen gesprochen und sollten mehr darüber sprechen, wie wir hier mit der bestehenden Bundesregierung Lösungen umsetzen können. Wenn wir das alles umsetzen, braucht es die Grünen ja nicht mehr.
Und Sie Frau Verlinden, wo ist die rote Linie in der Klimapolitik in schwarz-grünen Regierungsverhandlungen?
VERLINDEN: Ich teile den Punkt von Herrn Lenz, dass die jetzige Regierung ihre Hausaufgaben machen muss. Sie muss sich jetzt beweisen. Für den Fall, dass die große Koalition nicht hält, gibt es außerdem mehr Optionen als Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz (lacht). Beispielsweise Rot-Rot-Grün. Was die Union in Gesprächen beweisen müsste, ist, dass sie das Pariser Klimaabkommen wirklich ernst nimmt. Und sie muss die Haltung haben, generationengerecht zu wirtschaften. Das jetzt alles verprasst wird, nach dem Motto, nach mir die Sintflut, das akzeptieren die jungen Menschen nicht mehr.
LENZ: Die Nachhaltigkeit haben wir sehr fest im Blick. Nachhaltigkeit im Sinne der Generationengerechtigkeit ist die DNA der Union. Wenn es da also Schnittmengen mit den Grünen gibt, herzlich gerne. Aber Julia Verlinden spricht ja schon die Option von Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot an, welche viele in ihrer Partei präferieren.
Sie beide persönlich müssten jetzt sofort federführend das Klimakapitel im schwarz-grünen Koalitionsvertrag aushandeln. Auf einer Skala 1 (schwach) bis 10 (stark), welchen Chancen bestehen, dass Sie sich einigen?
LENZ: Auf eine sechs oder sieben würde ich schon setzen, das beinhaltet aber auch die Option des Scheiterns.
VERLINDEN: Ich setze auf eine fünf. Andreas Lenz ist sicherlich weiter als einige andere seiner Unionskollegen. Er müsste die anderen aber natürlich hinter sich bringen. Und das wird schwierig.
Das Gespräch führte Nora Marie Zaremba.