Es gibt Erinnerungen, die sind genauso schön wie schmerzlich. Das wäre zum Beispiel die Einführung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Oder das Pariser Klimaabkommen. Der Beschluss zum Atomausstieg, das Kohleausstiegsgesetz. Denn obwohl die Momente selbst teils Anlass gaben, die Korken knallen zu lassen – sie manifestierten sich über die Zeit leider nicht immer so, wie es die Hoffnung wollte. Und verantwortlich dafür waren und sind zum größten Teil Bremser in der Politik. Von ihnen darf sich die neue Bundesregierung keinen einzigen mehr leisten. Stattdessen müssen wir diese feierlichen Momente in den kommenden vier Jahren zu Konstanten machen. Zu andauernden Erfolgsgeschichten.
Aber der Reihe nach. Woher kommen die Schmerzen?
Das EEG half den Erneuerbaren auf die Füße. Ein Erfolgskonzept, das in der Welt viele Nachahmer fand. Nur ließen die Regierungen im Geburtsland Deutschland die Erneuerbaren in der Zwischenzeit vor die Wand fahren. Ihr Ausbau stagnierte, brach zusammen. 2020 wurden gerade einmal etwas mehr als sechs Gigawatt an Wind- und Sonnenenergie zugebaut. Mindestens 15 bis 20 GW wären nötig, um die eigenen Klimaziele zu erreichen. Das Ausbremsen kostete viele Arbeitsplätze, mal ganz zu schweigen von den Klimakosten, von denen die Bewohner des Ahrtals in Deutschland ebenso zeugen können wie die Bewohner von Lytton, Kanada.
Warum ein so wichtiger Industriezweig mit seinen hunderttausenden Beschäftigten und seinem enormen Klimaschutzpotenzial vernachlässigt und sogar gezielt gegängelt wurde? Eine vernünftige Antwort darauf gibt es nicht. Fakt ist: Die neue Regierung, wie auch immer geartet, steht in der Verantwortung, schleunigst gegenzusteuern. Die Erneuerbaren sind das Rückgrat für den Erfolg der Klimaneutralität Deutschlands. Industrie, Verkehr, Wohnen: Alle Sektoren sind auf sie angewiesen. Die Freiheit der nächsten Generationen hängt von ihnen ab, das Bundesverfassungsgericht lässt grüßen.
80 Prozent erneuerbare Energien im Jahr 2030 notwendig
Noch in den ersten 100 Tagen der neuen Regierung, fordern wir als WWF, dass neue Ausbauzahlen festgelegt werden. Ambitionierte Ausbauzahlen versteht sich, bei Wind an Land zum Beispiel mindestens 5,5 GW pro Jahr, bei Photovoltaik mindestens zehn GW. Dass zwei Prozent der Landesfläche für den Windausbau ausgewiesen werden – nach einheitlichen, wissenschaftlich begründeten Kriterien und Methoden, die neben den Menschen selbstverständlich auch dem Naturschutz Raum lassen. Dass wir, angesichts des notwendigen Hochlaufs der Offshore-Windenergie, die Belastungen aus Schifffahrt, Rohstoffabbau und Fischerei an anderer Stelle reduzieren. Dazu muss auch eine ganzheitliche Strategie für Kompensationsmaßnahmen entwickelt werden und alles das natürlich in Kooperation mit weiteren Nord- und Ostseeanrainern. Planungsverfahren müssen beschleunigt werden und pauschale Abstandsregeln fallen. 2030 brauchen wir einen Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch von mindestens 80 Prozent.
Dabei ist jedes Bundesland gefragt. Auch der Freistaat im Süden, dessen Ministerpräsident sich zwar gerne als Klimaschützer darstellt, aber mit seiner Abstandsregel für Windräder den Zubau de facto unmöglich macht.
Und warum schmerzt das Pariser Abkommen, der große Moment für den weltweiten Klimaschutz? Weil seither nicht genug passiert ist, um es mit Leben zu füllen. Die Verantwortung für die Erfüllung des Ziels – oder besser des Limits – die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, liegt bei den einzelnen Staaten. Sie müssen mit ihren Beiträgen, den NDCs, in Summe das Ziel erreichen. Tun sie aber längst noch nicht, wie Analysen zeigen. Hier hinkt auch Deutschland hinterher. Die Zielerhöhung auf 65 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2030 ist zwar gut – 70 Prozent wären aber mindestens nötig, für ein Industrieland mit seinen extrem hohen Emissionen. Die Verantwortung für historische Emissionen ist da gar nicht mitgerechnet
Und dafür ist eben neben dem Ausbau der Erneuerbaren auch nötig, die Wende im Verkehrs- und Gebäudesektor zu vollziehen. Dafür braucht es ein viel deutlicheres Preissignal – der CO2-Preis ist zu niedrig, um Wandel und Innovationen anzutreiben. Für die Beschleunigung des Wechsels weg vom Verbrenner zum E-Auto braucht es neben dem Preissignal auch angemessene CO2-Grenzwerte, die das Auslaufen des Verbrenners zum Ende des Jahrzehnts voranbringen.
Der CO2-Preis ist außerdem noch nicht fair ausgestaltet: Dafür braucht es eine soziale Flankierung, eine Kompensation für Verbraucher:innen, und dafür müssen etwa auch Vermietende zur Verantwortung gezogen werden, immerhin obliegt ihnen, in welchem Zustand sich ihr Wohnobjekt befindet – saniert oder nicht, mit alter Ölheizung oder neuen Wärmepumpen.
Wasserstoff für die Industrie – aber keine Scheindebatten
Beim Wasserstoff müssen wir uns von Scheindebatten verabschieden. Deutschland wird Wasserstoff importieren. Hierfür müssen klare Nachhaltigkeitskriterien angelegt werden – ökologisch wie sozial. Da Wasserstoff somit auf absehbare Zeit ein knapper Rohstoff bleibt, muss er besonders bedacht eingesetzt werden. Das ist in erster Linie in der Industrie – und nicht etwa im Individualverkehr.
Der Gedanke ans Pariser Abkommen schmerzt aber auch deshalb, weil die ärmeren Länder, die nicht Haupttreiber der Klimakrise sind, aber am stärksten unter ihr leiden, keine ausreichende finanzielle Unterstützung erfahren. Wie eigentlich in Paris zugesagt. Bei der internationalen Klimafinanzierung klafft noch immer eine große Lücke, die die neue Bundesregierung schleunigst mithelfen muss zu schließen. Auch in Paris beschlossen wurde die Ausrichtung aller Finanzflüsse am Ziel: Hiermit ist insbesondere auch bei öffentlichen Finanzen noch gar nicht richtig begonnen worden.
Und die Beschlüsse zum Ausstieg aus Atom und Kohle, was tut hier weh? Einmal, dass auch Investitionen in Atomenergie – wenn sie in der europäischen Taxonomie tatsächlich als nachhaltig eingestuft werden sollten – auch für deutsche Investoren plötzlich als nachhaltig gelten, was sie aufgrund ihres extremen Risikos für Umwelt und Gesundheit sicher nicht sind.
Die Kohle soll trotz Ausstiegsbeschlusses noch weit über ein Jahrzehnt an uns kleben, was für das Klima eine Katastrophe ist. Die neue Regierung muss einen beschleunigten Ausstieg bis 2030 über einen entsprechend ausgestalteten Emissionshandel und begleitende Elemente wie einen Mindestpreis absichern, alles andere ergibt marktwirtschaftlich und klimapolitisch keinen Sinn.
Und auch hier gilt: Ein Ausstieg aus der Kohle muss auch das Ende von Investitionen in Kohle bedeuten. Und fossile Energie generell, wo wir schon dabei sind. Dazu zählen die Milliarden an Subventionen, die derzeit noch fossile Strukturen aufrechterhalten. Derzeit erreichen allein die zehn klimaschädlichsten Subventionen zusammen ein Finanzvolumen von über 45 Milliarden Euro. Es gilt, das gesamte Steuersystem am Klimaziel auszurichten und Lösungen für öffentliche und private Investitionen in die Infrastruktur für die Transformation zu finden.
Dazu kommt Europa: Deutschland muss sich hier konstruktiv in die Debatten zum Fit-for-55-Paket einbringen. Es darf kein „German vote“ mehr geben bei der Umsetzung des Green Deal. Welche Koalition sich nun auch zusammenfindet, die Liste ist lang und die Gleichzeitigkeit der Abarbeitung essenziell. Kein Punkt kann vertagt werden.