Die globale Energiewirtschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung und der Energiewende. Vor diesem Hintergrund gewinnt Ammoniak als potenzieller Energiespeicher und Kraftstoff stark an Bedeutung. Erst kürzlich haben die Staats- und Regierungschefs der G7 in ihrem Kommuniqué betont, „dass CO2-armer und erneuerbarer Wasserstoff und seine Derivate wie Ammoniak da entwickelt und eingesetzt werden sollten, wo sie als Instrumente für eine effektive Emissionsminderung Wirkung zeigen“.
Weltweit werden derzeit jährlich etwa 150 bis 180 Millionen Tonnen Ammoniak hergestellt, wobei China, Indien und Russland zu den größten Produzenten gehörten. Die Herstellung von Ammoniak ist noch energieintensiv und basiert auf dem Einsatz fossiler Brennstoffe, wodurch er teurer ist als andere Brennstoffe. Es wird jedoch erwartet, dass die Kosten für die Produktion von Ammoniak bis 2030 um etwa 32 Prozent sinken werden, da die Energiequellen immer wirtschaftlicher und verfügbarer werden. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie und in der Folge grünem Wasserstoff kann auch das H2-Derivat Ammoniak zur Dekarbonisierung beitragen. Die größten Vorteile sind die höhere Energiedichte sowie die höheren Temperaturen und der niedrigere Druck beim Transport und der Speicherung.
Bisherige Regulierung ist restriktivFür die Integration von Ammoniak als alternativem Energieträger in Deutschland sind die regulatorischen Rahmenbedingungen und die politische Unterstützung entscheidend. Die Herstellung und Nutzung von Ammoniak sind derzeit mit zahlreichen regulatorischen Herausforderungen verbunden.
Die EU-Emissionshandelsrichtlinie (EU ETS, Richtlinie 2003/87/EG) verlangt beispielsweise die Einhaltung strenger CO2-Emissionsgrenzwerte. Diese Vorschrift kann erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen haben, die Ammoniak herstellen, da sie die Integration von Technologien zur CO2-Reduktion in die Produktionsprozesse erfordert. Darüber hinaus stellt die EU-ETS-Richtlinie strenge Anforderungen an die Produktion, die Lagerung und den Transport von Ammoniak.
Ein Schritt, der die Bedeutung der regulatorischen Rahmenbedingungen unterstreicht, ist die jüngste Entscheidung Deutschlands, grüne Importterminals für Ammoniak zu errichten. Diese Projekte befinden sich sowohl in Hamburg als auch im nahegelegenen Brunsbüttel. Zum einen plant das Energieunternehmen Mabanaft in Zusammenarbeit mit Air Products ein Terminal im Hamburger Hafen, das grünes Ammoniak aus Saudi-Arabien importieren soll. Dieses Terminal bietet strategischen Zugang zu grünem Ammoniak aus groß angelegten grünen Wasserstoffproduktionsanlagen. Auf der anderen Seite plant RWE ein grünes Importterminal für Ammoniak in Brunsbüttel. Dort sollen ab 2026 pro Jahr rund 300.000 Tonnen grünes Ammoniak angelandet werden. Darüber hinaus arbeitet RWE mit VTG, Europas führendem privatem Schienenlogistikunternehmen, zusammen, um das Ammoniak per Bahn an Kunden in Deutschland und Nachbarländern zu liefern. Die Zusammenarbeit mit solch erfahrenen Partnern unterstreicht das Engagement für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland.
Ebenso wichtig ist die europäische REACH-Verordnung (EG Nr. 1907/2006). Sie legt Anforderungen für den Umgang mit Chemikalien, einschließlich Ammoniak, fest und kann daher die Praktiken der Unternehmen im Umgang mit diesen Substanzen grundlegend beeinflussen. Die REACH-Verordnung verlangt unter anderem, dass Unternehmen, die mit den von ihnen verwendeten Chemikalien verbundenen Risiken identifizieren und beherrschen.
Eine Herausforderung stellt die sich wandelnde Regulierungslandschaft dar, da sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für alternative Energieträger wie Ammoniak noch in der Entwicklung befinden. Neue oder geänderte Gesetze und Verordnungen können erhebliche Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Unternehmen haben.
Finanzielle Unterstützung durch Subventionen und Anreizsysteme ist von entscheidender Bedeutung. Ein Beispiel hierfür ist das deutsche „Innovationsprogramm für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie 2021 - 2026“, das Projekte zur Herstellung von grünem Ammoniak fördert. Solche Programme können den Unternehmen erhebliche finanzielle Unterstützung bieten, um die hohen Kosten der Ammoniakproduktion zu bewältigen. Schließlich können die Genehmigungsverfahren, die für die Einführung neuer Produktionsmethoden oder Infrastrukturänderungen in der EU erforderlich sind, langwierig und kostspielig sein, was sich ebenfalls auf die in diesem Bereich tätigen Unternehmen auswirkt.
Private Initiativen allein werden nicht ausreichenEine weitere Herausforderung stellt die Integration von Ammoniak in die bestehende und geplante Energieinfrastruktur dar. Obwohl Ammoniak in den aktuellen Plänen für das H2-Startnetz noch keine große Rolle spielt, könnte eine Einbindung in die Pipeline-Planungen in Deutschland und Europa von Vorteil sein. Ammoniak lässt sich wie bereits erwähnt leichter und zudem sicherer als Wasserstoff speichern und transportieren, was ihn zu einer potenziellen Lösung für einige der Herausforderungen im Zusammenhang mit der Wasserstoffinfrastruktur machen könnte.
Doch die Frage bleibt, wie diese Einbindung am besten umgesetzt werden kann. Private Initiativen wie die von RWE und Mabanaft sind wichtig und zeigen, dass die Industrie bereit ist, in diese Richtung zu investieren. Sie allein werden jedoch wahrscheinlich nicht ausreichen. Um Ammoniak in großem Maßstab als grünen Energieträger zu etablieren, bedarf es einer koordinierten Anstrengung von Industrie, Regulierungsbehörden und politischen Entscheidungsträgern.
So könnte beispielsweise eine Regulierung, die den Einsatz von Ammoniak in der Energiewirtschaft fördert, den Aufbau der notwendigen Infrastruktur unterstützen. Dies könnte durch finanzielle Anreize, Regulierungsstandards oder sogar durch die Einbeziehung von Ammoniak in die nationalen und europäischen Wasserstoffstrategien erreicht werden. Es sollte auch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren in der Energie- und Chemieindustrie geben, um Synergien zu nutzen und eine effiziente und nachhaltige Nutzung von Ammoniak als Energieträger zu gewährleisten.
Für den Ausbau und die Einbindung von grünem Ammoniak in die Energiewirtschaft könnten mehrere konkrete regulatorische Maßnahmen und Gesetzgebungen hilfreich sein:
- Anpassung der Gasnetzzugangsverordnung (GasNZV): In Deutschland regelt die GasNZV den Zugang zu den Gasnetzen. Eine spezifische Anpassung dieser Verordnung könnte den Weg für die Integration von Ammoniak in das geplante H2-Startnetz ebnen.
- Förderung der Ammoniak-Elektrolyse: Derzeit werden in der EU verschiedene Technologien zur Wasserstoffproduktion unterstützt. Eine Ausweitung dieser Förderungen auf die Ammoniak-Elektrolyse könnte die Produktion von grünem Ammoniak ankurbeln.
- Anpassung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG): In Deutschland könnte eine Überarbeitung dazu beitragen, die Nutzung von grünem Ammoniak als Energieträger zu fördern. Beispiele sind klare Netzzugang- und Speicherregelungen.
- Einbeziehung von grünem Ammoniak in die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II): Auf EU-Ebene könnte eine Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die derzeit vor allem Biokraftstoffe und erneuerbare Elektrizität fördert, dazu beitragen, grünen Ammoniak als neue erneuerbare Energiequelle anzuerkennen (zum Beispiel durch Normen, Standards und Nachhaltigkeitskriterien).
Insgesamt stellt die Integration von Ammoniak in die Energieinfrastruktur eine große, aber lösbare Herausforderung dar. Mit den richtigen Investitionen, regulatorischen Anreizen und einer starken Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren könnte Ammoniak eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielen.
Dr. Adam Spalek ist Senior Director Strategy & Business Consulting beim Beratungshaus Publicis Sapient.