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Standpunkte Ein fauler Kompromiss zum EU-Klimaziel für 2040 gefährdet den Wasserstoff-Hochlauf

Michael Bloss
Michael Bloss ist industrie- und klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament Foto: Büro Bloss / Patrick Haermeyer

Die EU-Kommission plant, internationale CO2-Gutschriften auf das europäische Klimaziel anzurechnen. Doch damit würde die Büchse der Pandora geöffnet, warnt der Grüne-Europaabgeordnete Michael Bloss: Die Qualität der Zertifikate ist nicht sichergestellt und zugleich droht der Wasserstoffhochlauf in Europa weiter ausgebremst zu werden.

von Michael Bloss

veröffentlicht am 15.05.2025

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Fast unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit laufen auf EU-Ebene derzeit Diskussionen um das EU-Klimaziel für 2040. Dieses wird den europäischen Klimakurs für die nächsten 15 Jahre entscheidend prägen, denn sämtliche Maßnahmen und Sektoren – vom Emissionshandel (ETS) bis hin zur Landwirtschaft – müssen sich danach ausrichten. Zwar hat sich die Kommission mehrfach zum Ziel einer Emissionsreduktion von minus 90 Prozent gegenüber 1990 bekannt – und wurde auch deshalb von uns Grünen gewählt. Inzwischen hat sie die Veröffentlichung des Vorschlags aber mehrfach verschoben und der zuständige Kommissar Hoekstra lotet verschiedene „Flexibilitäten” mit den Mitgliedstaaten aus.

Die gefährlichste dieser sogenannten Flexibilitäten ist eine, die auch Eingang in den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD gefunden hat: die Anrechnung internationaler CO2-Gutschriften auf das europäische Klimaziel. Auch bekannt als Artikel 6-Credits, benannt nach Art. 6 des Pariser Klimaabkommens, der es Staaten ermöglicht, ihre Klimaziele auch mittels „freiwilliger Kooperation” zu erfüllen. Die Idee dahinter ist nicht neu und tauchte bereits als „Clean Development Mechanism”(CDM) im Rahmen des Kyoto Protokolls auf. Zuletzt wurden nach jahrelangen Verhandlungen bei der letzten Klimakonferenz in Baku Regelungen zur Konkretisierung und Operationalisierung von Artikel 6 als Nachfolgemechanismus des CDM beschlossen.

Minus 90 Prozent innerhalb der EU sind machbar – einen internationalen Beitrag braucht es zusätzlich

Um es klar zu sagen: Art. 6 (und auch die anderen „Flexibilitäten”) braucht es nicht, um bis 2040 innerhalb der EU eine Emissionsreduktion um 90 Prozent zu erreichen. Dies hat der wissenschaftliche Klima-Beirat der EU umfassend untersucht – und kam zu dem Schluss, dass ein 90 Prozent-Ziel technologisch sowie nachhaltig machbar sei. Emissionsminderungen im Ausland kommen darin nur als zusätzlicher Beitrag zu einem innereuropäischen 90 Prozent-Ziel vor, um einen annähernd fairen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen zu leisten. Darum geht es im Koalitionsvertrag wohl nicht.

Dass eine 90 Prozent-Reduktion ambitionierter klingt als sie tatsächlich ist, zeigt die Tatsache, dass ein europäisches 90 Prozent-Ziel etwa um fünf Prozentpunkte schwächer als das deutsche Klimaschutzgesetz-Ziel von 88 Prozent ist. Denn das deutsche Ziel ist ein Brutto-Ziel; das europäische ist ein Netto-Ziel, bei dem natürliche und technische Senken angerechnet werden. Übrigens, nach dem Klimaneutralitätsszenario der Agora Thinktanks könnte Deutschland sogar 93 Prozent Emissionsreduktion (ohne Anrechnung von Senken) bis 2040 erreichen.

Art. 6-Gutschriften als Risiko für den Wasserstoffhochlauf in Europa

Die Details, wie Art. 6 in das Klimaziel für 2040 einbezogen werden könnten, sind noch unklar. Wenn diese Gutschriften direkt in den Emissionshandel integriert werden, zerstört dies den Business Case für Wasserstoff in Europa. Dafür gibt es ein historisches Negativbeispiel: Internationale Zertifikate aus dem CDM überschwemmten in den 2010er-Jahren den ETS und sorgten so für dauerhaft niedrige CO2-Preise.

Eine Integration von Art. 6 in das Klimaziel birgt ähnliche Risiken. So entstehen zum Beispiel Anreize, ein Kraftwerk nicht von fossilem Gas auf grünen Wasserstoff umzustellen, denn dies ist mit CO2-Vermeidungskosten von etwa 200 Euro/t CO2 im Jahr 2035 verbunden. Stattdessen würden die Kraftwerke dann weiterhin mit fossilem Gas laufen und diese Emissionen durch Art. 6-Gutschriften kompensiert. Das bestehende Problem würde sich somit verschärfen: Mangels Nachfrage gibt es kein ausreichendes Angebot an grünem Wasserstoff.

Das gilt übrigens auch für den Einsatz von noch teureren Technologien wie synthetische Kraftstoffe oder CCS. Das Kapital würde in fragwürdige Kompensationsprojekte im Ausland fließen, statt den Umbau der Industrie in Europa zu finanzieren. Mit Art. 6 wird Europa also an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verlieren und letztlich den Anspruch aufgeben, der erste klimaneutrale Kontinent zu werden.

„High Quality“-Credits sind eine Illusion

Es wird argumentiert, dass dieses Risiko durch „hohe Qualitätsstandards" vermieden werden könnte. Dieses Argument ist genauso alt wie die Geschichte der Skandale mit internationalen Gutschriften. Eine kürzlich veröffentlichte Metastudie des Öko-Instituts kam zu dem Ergebnis, dass die Reduktionswirkung der untersuchten Klimaprojekte im Durchschnitt um das Sechsfache überschätzt wurde.

In einem globalen Markt, wie ihn der Art. 6.4. vorsieht, ist es kaum möglich, hohe Qualitätsstandards, die eine Zusätzlichkeit und Dauerhaftigkeit der Emissionsreduktion sicherstellen, zu kontrollieren und durchzusetzen. Abgesehen davon, dass die entsprechenden Art. 6.4-Standards bisher nicht etabliert sind. Klar ist jedoch bereits, dass Art. 6.4 die Kompensation dauerhafter Emissionen durch nicht-dauerhafte CO2- Entnahmeprojekte (zum Beispiel Aufforstung von Wäldern) ermöglicht. Auch ist die Übertragung von bis zu 900 Millionen CDM-Zertifikaten zulässig, die auf veralteten und fehlerhaften Methoden beruhen. Eine Studie von Carbon Market Watch, die das erste Projekt untersuchte, zeigt, dass dessen Minderungseffekt um das 27-fache überschätzt wurde. Art. 6.4. ist also alles andere als wasserdicht.

Unter Art. 6.2 können Staaten in bilateralen Abkommen eigene Standards etablieren. Die Schweiz hat dies bereits in mehreren Abkommen getan – und ist bereits über beide Ohren in Skandale über mangelnde Zusätzlichkeit der Emissionsminderung, Intransparenz und Arbeitsrechtsverletzungen verstrickt. Wenn es selbst der Schweiz nicht gelingt – warum sollte es bei der EU so viel besser laufen?

Nur ein Wort, um die Büchse der Pandora zu öffnen

Das europäische Klimagesetz bildet den Rahmen für die EU-Klimagesetzgebung. Es ist daher unwahrscheinlich, dass im Fall einer Integration von Art. 6-Zertifikaten die konkreten Einsatzzwecke und Standards bereits im Klimagesetz festgelegt würden. Es würde ausreichen, das Wort „domestic”, das bislang sicherstellt, dass die Emissionsreduktion innerhalb der EU stattfindet, aus Art. 4 des Europäischen Klimagesetzes zu streichen.

Dann würden wir in den nächsten Jahren bei jeder Gesetzgebung über Art. 6 Zertifikate diskutieren. Klimaschutz mit europäischer Verantwortung wäre passé. Daher ist es entscheidend, diese Büchse der Pandora geschlossen zu halten und sich stattdessen auf die dringend notwendigen Maßnahmen zu konzentrieren, die Emissionen in Europa zu reduzieren.

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