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Energie & Klima

Standpunkte Energiesicherheit durch Transformation statt fossile Pfadabhängigkeiten

Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimapolitik, Deutsche Umwelthilfe
Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimapolitik, Deutsche Umwelthilfe Foto: Deutsche Umwelthilfe

Wohin führt der Ausbau der LNG-Infrastruktur, den die Bundesregierung vorantreibt? Constantin Zerger meint: in neue energiepolitische Abhängigkeiten und in die Klimakrise. Der Bereichsleiter Energie und Klimaschutz der Deutschen Umwelthilfe fordert ein Moratorium für den weiteren Bau von LNG-Importanlagen.

von Constantin Zerger

veröffentlicht am 08.11.2024

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Bereits in den 1970er-Jahren zeigte eine Energiekrise die energiepolitische Verwundbarkeit Europas auf: Führende Ölstaaten drosselten ihre Produktion aus Protest gegen den Jom-Kippur-Krieg, woraufhin die Rohölpreise explodierten und europäische Staaten ihren Ölverbrauch rationierten. Um unabhängiger von arabischen Ölimporten zu werden, schlugen sie unterschiedliche Entwicklungspfade ein: Großbritannien erschloss eigene fossile Ressourcen, Frankreich setzte auf Kernkraft, während Deutschland und Italien auf eine Energiepartnerschaft mit der Sowjetunion und Erdgas setzten.

Das günstige Gas aus der Sowjetunion, später Russland, wurde zur energiewirtschaftlichen Grundlage der deutschen Volkswirtschaft. Doch mit dem brutalen Krieg Russlands gegen die Ukraine seit Februar 2022 endete auch dieser Entwicklungspfad abrupt. Über die Hälfte der deutschen Gasimporte musste innerhalb kürzester Zeit ersetzt werden, während Haushalte und energieintensive Industrie unter horrenden Preissteigerungen litten.

Um in der Krise Abhilfe zu schaffen, legte die Bundesregierung im Mai 2022 das LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG) vor, auf dessen Grundlage bis 2030 bis zu neun LNG-Terminals mit einer Gesamtimportkapazität von 64 Milliarden Kubikmetern Erdgas errichtet werden sollen. „Eine Absicherung mit Augenmaß“, wie BMWK-Abteilungsleiter Philipp Steinberg es kürzlich in einem Standpunkt für den Tagesspiegel Background nannte.

Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Weder wurde der LNG-Ausbau mit Augenmaß vorangetrieben, noch lässt sich sagen, dass dieser besonders geglückt sei. Der überdimensionierte Ausbau von LNG-Infrastruktur wurde nur unter massiven gesellschaftlichen und ökologischen Kosten realisiert – und könnte uns daran hindern, einen klimaneutralen und resilienten Zukunftspfad einzuschlagen.

LNG-Ausbau: Pi mal Daumen statt Augenmaß

Zunächst das Offensichtliche: Niemand bezweifelt, dass die Situation im Jahr 2022 schwierig war und die Bundesregierung kurzfristig die ausfallenden Gaslieferungen ersetzen musste. Den Mitarbeitenden im BMWK gebührt Dank und Respekt dafür, dass dies gelungen ist. Doch die Bundesregierung schoss weit über das Ziel hinaus: Selbst eine Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI), die durch das BMWK beauftragt wurde, hielt die geplanten LNG-Kapazitäten für übertrieben, um die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik und ihrer Partner zu gewährleisten. Auch Olaf Scholz sprach in seiner bekannten Rede zur Zeitenwende von lediglich zwei LNG-Standorten.

Betrachtet man die konkreten Zahlen des Erdgasbedarfs, wird die Unverhältnismäßigkeit des LNG-Ausbaus deutlich: Berücksichtigt man Erdgasimporte via Pipeline, würde sich die gesamte deutsche Importkapazität im Jahr 2030 mit den geplanten Terminals auf knapp 130 Milliarden Kubikmeter belaufen. Demgegenüber steht die Annahme des BMWK, dass auf Grundlage aktueller Maßnahmen im selben Jahr lediglich ein Erdgasverbrauch von 74 Milliarden Kubikmetern anfallen wird; verschiedene klimapolitisch ambitioniertere Szenarien gehen gemäß einer Meta-Studie des Öko-Instituts sogar von deutlich unter 70 Milliarden aus, wobei auch eine Studie der BMWK-eigenen deutschen Energieagentur (dena) Gegenstand der Meta-Studie war.

Es ist sicherlich richtig, mit Sicherheitspuffern zu kalkulieren und für verschiedene Szenarien gewappnet zu sein. Doch – um bei dem von Philipp Steinberg in seinem Standpunkt bemühten Beispiel der Heizung zu bleiben – eine Importkapazität zu schaffen, die fast das Doppelte des erwarteten Gasbedarfs beträgt, ist eher so, als würde man sich aus Angst vor einem Heizungsausfall eine zweite Heizung ins Haus bauen: unnötig, teuer und klimaschädlich.

Europaweit erreichen Erdgasspeicher hohe Füllstände, während die Auslastung europäischer LNG-Terminals bestenfalls mittelmäßig ist. Eine Gasmangellage bestand weder im vergangenen Winter noch ist sie in diesem Winter absehbar – obwohl bisher nur zwei der schwimmenden Terminals überhaupt nennenswerte Gasmengen einspeisen. Sicher ist jedoch, dass der Erdgasverbrauch in ganz Europa mittelfristig weiter sinken wird. Der Bau landseitiger Terminals, die auf Jahrzehnte fossiles Gas importieren sollen, ist daher weder politisch noch energiewirtschaftlich zu rechtfertigen.

Hohe Kosten für Gesellschaft und Umwelt

Der gesellschaftliche und ökologische Preis für den Regelbetrieb der neuen LNG-Terminals ist hoch, denn das LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG) hebt die Notwendigkeit verpflichtender Umweltverträglichkeitsprüfungen für die schwimmenden Terminalschiffe (FSRUs) auf. Für einige Terminals gab es zwar FFH-Voruntersuchungen, zu FFH-Verträglichkeitsprüfungen kam es dann aber nicht. Immissionsschutzrechtliche Prüfungen fanden zwar für alle Projekte statt, teils wurde dann allerdings ein Betrieb mit Überschreitung der geltenden Grenzwerte zum Beispiel für Luftschadstoffe zugelassen. Die Aussage, die Terminals seien „mit den nötigen umweltrechtlichen Prüfungen“ in Betrieb gegangen, ist also schlicht irreführend, da Umweltverträglichkeitsprüfung mit dem LNGG für die Terminalschiffe bewusst ausgesetzt wurden.

Am Standort Mukran zeigt sich besonders deutlich, wie der LNG-Ausbau sozio-ökologische Konflikte herbeiführt: Für den Bau der umstrittenen LNG-Anlage und der 50 Kilometer langen Pipeline nach Lubmin wurden wesentliche Umweltvorgaben ausgehebelt – dies stellt eine Industrialisierung der Ostsee dar, von der die Region kaum profitiert, da sie abseits industrieller Cluster liegt und der naturnahe Tourismus die Haupteinnahmequelle darstellt.

Ähnlich problematisch ist die Lage an anderen Standorten: Der Betrieb des Wilhelmshaven-Terminals erfordert dauerhaften Biozideinsatz; das eingesetzte Schiff fiel in Australien durch eine Umweltprüfung, ist für Deutschland aber offenbar gut genug. Das Terminal in Brunsbüttel arbeitet nur mit einer Ausnahmegenehmigung, die erhöhte Luftschadstoffemissionen bis Ende 2026 erlaubt. Will Deutschland sich wirklich durch zweitklassige Umweltstandards profilieren?

Die Auswirkungen des LNG-Booms sind auch am anderen Ende der Lieferkette spürbar: In den USA, dem Hauptexporteur von LNG nach Europa, werden immer wieder Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette dokumentiert, oft im Zusammenhang mit der dort angewendeten Fracking-Technologie, die zur Kontamination des Grundwassers und Häufung von Krebserkrankungen führt. Zudem wird durch Fracking besonders viel Methan freigesetzt, was zu massiven Klimaschäden führt.

Erließ die Biden-Administration Anfang des Jahres zumindest ein temporäres Moratorium für neue LNG-Projekte, so ist davon auszugehen, dass die neue Trump-Regierung fossile Projekte nicht nur ausweiten, sondern auch massiv deregulieren wird – und die Folgen für betroffene Gemeinschaften weiter zunehmen. Transatlantische Verantwortung zu übernehmen, würde daher bedeuten, eine solche Politik nicht durch langfristige Abnahmeverträge zu stützen.

Neben diesen indirekten Kosten gibt es auch direkte Kosten, die durch den LNG-Ausbau entstehen. Angesichts knapper Haushaltskassen stellt sich die Frage, ob milliardenschwere Subventionen für fossile Infrastrukturen politisch geboten sind – oder ob das Geld nicht anderweitig sinnvoller verwendet werden sollte. Zudem ist ungewiss, ob der Bund sich, wie das BMWK angibt, aus allen Standorten vor 2043 zurückzieht: Am Standort Brunsbüttel, der bis 2043 für den Betrieb mit fossilem Gas beantragt ist und über den anschließend Wasserstoffderivate importiert werden sollen, ist die bundeseigene KfW zu 50 Prozent beteiligt. Der Staat könnte hier also dauerhaft involviert bleiben.

Hinzu kommen die langen Lieferverträge, über die die Terminal-Anlagen ebenfalls finanziert werden. Die Laufzeiten reichen teilweise bis weit in die 2040er-Jahre und drohen, das deutsche Ziel der Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 zu gefährden. Einem klimapolitisch eigentlich notwendigen Ausstieg aus fossilem Gas widerspricht dies. Selbst wenn die Verträge abnahmeseitig nicht erfüllt werden, drohen Investitionsruinen, für die im Zweifelsfall die Bundesrepublik aufkommen muss.

Keine fossilen Pfadabhängigkeiten schaffen

Mehr als 50 Jahre nach der OPEC-Krise stehen Deutschland und Europa wieder an einer Weggabelung, an der sich unterschiedliche energiepolitische Entwicklungspfade zeigen: Wollen wir auf die Krise mit alten fossilen Rezepten reagieren oder neue Wege gehen? Wir haben jetzt die Möglichkeit, verstärkt auf erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Speichertechnologien zu setzen. Es gilt, fossilen Lock-in zu verhindern – und energiepolitische Abhängigkeiten nachhaltig zu reduzieren. Dies umso mehr, als mit Donald Trump ein autoritärer und wenig berechenbarer Präsident an der Spitze jenes Landes steht, aus dem der Großteil der LNG-Lieferungen bezogen wird. Es ist zynisch, dass das vielbeschworene „Deutschlandtempo“ ausgerechnet beim Ausbau fossiler Infrastrukturen zum Tragen kommt, während der Hochlauf tatsächlicher Zukunftstechnologien unter der nun gescheiterten Ampel-Regierung lahmte.

Vor diesem Hintergrund sollte die Bundesregierung ein Moratorium für den weiteren LNG-Ausbau verhängen und nicht für die Versorgungssicherheit benötigte Terminals rückabwickeln. Es ist noch nicht zu spät, die Fehleinschätzungen bei der Planung des LNG-Ausbaus zu korrigieren. Zweitens gilt es, den Import des klimaschädlichen und menschenrechtsgefährdenden Fracking-LNG zu verbieten. Um die Erderhitzung zu bekämpfen und gleichzeitig das Energiesystem krisenfest zu machen, braucht es einen klaren Fokus auf den Ausbau von erneuerbaren Energien, die Dekarbonisierung der Industrie und die Steigerung der Energieeffizienz. Nur so haben wir die Möglichkeit, dass sich die Geschichte gefährlicher fossiler Abhängigkeiten nicht ein weiteres Mal wiederholt.

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