Energie-Klima icon

Energie & Klima

Standpunkte Energiewende ohne Energie: Deutschland steigt aus, aber nirgendwo ein

Till Mansmann, entwicklungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion
Till Mansmann, entwicklungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Foto: FDP

Die Stimmung im internationalen Klimaschutz ist aus Sicht von Till Mansmann am Boden, die deutsche Energiewende von der Realität eingeholt. In einem globalen Markt für klimaneutralen Wasserstoff kann die letzte Hoffnung auf eine rechtzeitige Defossilisierung der Weltwirtschaft liegen, schreibt der entwicklungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion – sofern die deutsche Politik nicht den Glauben daran verliert.

von Till Mansmann

veröffentlicht am 11.03.2025

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Der Versuch, Klimaschutz auf internationalen regulatorischen Abkommen und nationalen Alleingängen aufzubauen, ist gescheitert. Die global erforderlichen Emissionsreduktionen sind auch nach unzähligen Verhandlungsrunden nicht eingeleitet und die nationalen Reduktionsziele lassen sich durch die Zukunftsutopie einer vollständigen Elektrifizierung der Bundesrepublik, die mehr Ideologie als physikalische Realität ist, nicht erreichen.

Warum? Weil wir nicht aussteigen können, ohne in etwas Neues einzusteigen. Ein CO2-Handel allein, der fossile Energie teurer macht, lässt nicht automatisch auch einen Markt für klimaneutrale Energie entstehen. Ökonomische Anreizstrukturen ändern sich – zumindest global – nur, wenn wir die Fossilen durch eine ökonomisch erfolgreichere Alternative ersetzen („outcompeting fossil fuels“).

Doch während weder der volkswirtschaftliche Schaden dieser Politik noch Klimaschutz überhaupt im Wahlkampf eine große Rolle spielten, wurde das Potenzial der Wasserstofftechnologie als beste verfügbare Alternative zu den fossilen Energien vom künftigen Kanzler Friedrich Merz zerredet.

Dabei wird die Dekarbonisierung zentraler Industrien, ja die erneuerbare Energiewelt insgesamt, ohne Wasserstoff nicht funktionieren. Nur Wasserstoff und seine Derivate ermöglichen die Speicherung und den Transport erneuerbarer Energien über weite Strecken. Damit bildet er den Grundstoff für den klimaneutralen Energiemarkt der Zukunft. Ob wir die internationalen Klimaschutzziele überhaupt noch erreichen, wird auch davon abhängen, ob und wann dieser Markt erfolgreich hochläuft.

Man kann sogar noch weitergehen: Auch unsere nationale Energiesicherheit wird hiervon abhängen. Da Wasserstoff nahezu überall auf der Welt produziert werden kann und nicht auf natürliche Bodenvorkommen beschränkt ist, verändert dieser Energiemarkt die geopolitische und geoökonomische Weltkarte grundlegend – mit Potenzial für neue Akteure, für mehr Wettbewerb und für größere Entwicklungsschübe als während des fossilen Zeitalters. Gerade viele unserer Partnerländer im Globalen Süden verfügen mit viel Sonne und Wind über beste klimatische Voraussetzungen, um Netto-Exporteure von klimaneutralem Wasserstoff zu werden. Allein in Westafrika ist das Potenzial mit bis zu 165.000 Terawattstunden jährlich 110-mal so groß wie der voraussichtliche Importbedarf Deutschlands im Jahr 2050.

Nicht Afrika braucht uns, sondern wir brauchen Afrika

Zusammen mit der rasch wachsenden Bevölkerung Afrikas wächst auch der CO2-Ausstoß des Kontinents. Werden Schwellen- und Entwicklungsländer in Zukunft nicht Teil dieser globalen Energiewende, wäre das nicht nur schlecht für deren Entwicklungschancen und für unsere eigenen energieintensiven Wirtschaftszweige. Es wäre auch eine schlechte Nachricht für den Klimaschutz. Wenn die globale Transformation kein europäisches Wolkenkuckucksheim bleiben soll, bedeutet das: Nicht Afrika braucht uns, sondern wir brauchen Afrika.

Doch damit der Kontinent diese Schlüsselrolle rechtzeitig einnehmen kann und die ersten großen Wasserstoffprojekte erfolgreiche Leuchttürme werden, müssen diese Projekte entwicklungspolitisch flankiert werden. Besonders der fortwährende Widerstand gegen wirtschaftlich orientierte Ansätze in Entwicklungsministerium und NGO-Landschaft erweist sich dabei nicht nur als unproduktiv, sondern als potenziell schädlich für nachhaltigen Fortschritt.

Dass Entwicklungspolitik auch die Funktion einer Risikominimierung für Investitionen in exportorientierte(!) Wasserstoffprojekte übernehmen muss, ist für viele offenbar undenkbar. Mit immer mehr kleinteiligen Projekten der letzten Jahre liegt auf der wirtschaftlichen Zusammenarbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kein Fokus mehr. So kommt es, dass afrikanische Staaten ein Megaprojekt nach dem nächsten bei China bestellen, während sich deutsche Entwicklungspolitik mit der Förderung dezentraler Mini-Grid-Solarzellen und dem Festhalten am Prinzip der vollständigen Lieferaufbindung selbst verzwergt.

Vertrauen schaffen durch Standards und Zertifizierung

Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, werden die künftige geopolitische Weltkarte wesentlich prägen. Als Nettoenergieimporteur auf absehbare Zeit reicht es nicht, nur Pionierland in der Wasserstofftechnologie zu sein. Die Bundesregierung muss auch den künftigen Markt für klimaneutralen Wasserstoff mitgestalten und sicherstellen, dass in einem liquiden Markt, der Kartellbildungen verhindert und mehr Akteuren Chancen eröffnet als der fossile Energiemarkt, von Beginn an auch unsere Partnerländer der Entwicklungszusammenarbeit profitieren. Dass gerade die ersten Wasserstoffpartnerschaften mit Schwellen- und Entwicklungsländern Erfolgsgeschichten schreiben, ist von herausragender Bedeutung für den Erfolg der globalen Energiewende.

Essenziell für den globalen Wasserstoffhochlauf sind jetzt auch Standards sowie eine transparente und robuste Zertifizierung des Kohlenstoffgehalts des produzierten Wasserstoffs entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Nach dem Betrugsskandal um THG-Zertifikate darf an dieser Stelle kein weiteres Vertrauen verspielt werden. Ansonsten sollte für den Markthochlauf der Wasserstofftechnologie gelten: so viel wie möglich, so schnell wie möglich, so günstig wie möglich – und dabei so CO2-arm wie möglich. Mit den „Farben“ des Wasserstoffs sollten wir pragmatisch umgehen. Entscheidend ist der gesamte CO2-Footprint.

Die Ampel-Regierung hat mit dem Start des Wasserstoffkernnetzes, der Überarbeitung der Nationalen Wasserstoffstrategie und der Veröffentlichung der Wasserstoffimportstrategie in den drei Jahren für den Wasserstoffhochlauf zumindest wichtige Grundsteine gelegt. Man muss hier sicherlich ausbauen, anpassen und runder machen, doch entscheidend ist, dass die kommende Bundesregierung diesen Kurs fortsetzt und die global gedachte, vernunftbasierte Energiewende mit Tempo und den nötigen Investitionen vorantreibt. Und zwar nicht nur, um dem Klimaschutz neue Hoffnung zu geben, sondern auch, um nach Solar, Batterie und E-Mobilität nicht noch den Wettbewerb um die nächste Zukunftstechnologie zu verlieren.

Till Mansmann ist entwicklungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Bis zum Ende der Ampel-Koalition war er Innovationsbeauftragter „Grüner Wasserstoff“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Mit dem Ende der 20. Wahlperiode scheidet er nach sieben Jahren aus dem Deutschen Bundestag aus.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen