Energie-Klima icon

Energie & Klima

Standpunkte Für Klimaneutralität sollte die Taktik der Strategie folgen

Carolin Friedemann, Geschäftsführerin der Initiative Klimaneutrales Deutschland (IKND)
Carolin Friedemann, Geschäftsführerin der Initiative Klimaneutrales Deutschland (IKND) Foto: IKND/vogelwild und andres

Natürlich müssen die kurzfristigen Probleme und die Gaskrise gelöst werden, meint Carolin Friedemann von der Initiative Klimaneutrales Deutschland (IKND) in ihrem Standpunkt. Aber der Ampelkoalition sei der Blick auf die langfristigen Ziele und den Weg dorthin verlorengegangen. Sie müsse endlich vom Krisenmodus in den Gestaltungsmodus Richtung Klimaneutralität schalten.

von Carolin Friedemann

veröffentlicht am 23.08.2022

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Bei ihrem Start im vergangenen Herbst hat die Ampelkoalition geschafft, was viele Regierungen zuvor nicht vermochten: die Vision eines klimafreundlichen, innovativen und sozial-gerechten Deutschlands glaubwürdig zu vermitteln. So stand die Ampel weitestgehend geschlossen hinter Maßnahmen für die Energiewende – zum Beispiel beschleunigte Genehmigungsverfahren, Flächenziele für Windkraft, Abschaffung der EEG-Umlage und Kompromisse zwischen Artenschutz und Ausbau von Erneuerbaren. 

Ein halbes Jahr nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine muss man leider konstatieren: Die „Zeitenwende“ (Bundeskanzler Olaf Scholz) hat auch das Koalitionsgefüge erfasst. Denn der Krieg hat die Regierungskoalition in eine Krise getrieben, vom anfänglichen Aufbruchsgeist ist wenig geblieben. Stattdessen sind alte ideologische Gräben, die längst zugeschüttet und überwachsen geglaubt waren, wieder aufgebrochen. Deshalb erscheinen Projekte, die zuvor kompromissbereit angegangen wurden, mittlerweile unmöglich, etwa strengere Energieeffizienzvorhaben für Neubauten. Auch die Debatten um Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger zeigen: Die Regierungsparteien blicken vor allem auf sich selbst statt auf die Bevölkerung und deren Probleme.

Krisen löst man jedoch nicht, indem man politische „sunk cost“ weiter erhöht. Sondern, indem man einen Schritt zurücktritt, die Lage analysiert und gemeinsam Lösungen findet. Die großen Erzählungen für den Weg nach vorne haben die drei Spitzenmänner von SPD, Grünen und FDP bereits angerissen. Neben „Zeitenwende“ lauten ihre Titel „Energiewechsel“ und „Freiheitsenergien“.

Das Spitzentrio löst die Probleme nicht

Die Auflösungen bleiben Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner allerdings vielfach schuldig. Dabei hätten die Probleme, die der Krieg in Europa machtvoll sichtbar gemacht hat, ohnehin im Zuge der Energiewende gelöst werden müssen. Beispielsweise mit der stärkeren Integration Süddeutschlands ins Stromübertragungsnetz, der Flexibilisierung des Energieverbrauchs in der Industrie, ehrgeizigen Maßnahmen für Energieeffizienz im Gebäudesektor, der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren durch Bürokratieabbau oder dem Wiederaufbau einer heimischen Solarindustrie.

Neu sind hingegen zwei Aspekte, die sich leider auch noch gegenseitig verstärken: Zum ersten der Zeitdruck, mit dem alles nun geschehen muss, weil Gas als Brückenenergie ausfällt. Zum zweiten die Störung von Lieferketten, weil Corona und seine Folgen immer noch nicht überwunden sind.

Diese neuen Probleme lassen sich nicht mit alten Maßnahmen lösen. Aus der Flucht in die Energieträger der Vergangenheit wird kein Fundament für Energieversorgung und Klimaschutz der Zukunft werden. Im Gegenteil, das Revival der Kohleverstromung – so richtig sie mit Blick auf kurzfristige Versorgungssicherheit ist – wird sich rächen, weil das Treibhausgasbudget umso schneller schmilzt. Und auch wenn uns LNG-Terminals allenthalben als Zukunftsinvestition dargestellt werden: Sie dienen dem Import von fossilem Gas, damit wird fossile Infrastruktur in Nord- und Ostsee zementiert. Denn für Wasserstoffimporte werden gänzlich andere Anlagen nötig sein.

Von den großflächigen Waldbränden im Osten des Landes, über den ausgetrockneten Rhein im Westen bis zu den Kernkraftwerken in Frankreich, denen das Kühlwasser fehlt – eines wird klar: Es geht uns und unseren europäischen Nachbarn bei Gesundheit, Klima und Wirtschaft an den Kragen. Es ist deshalb mehr als absurd, dass Regierung und Opposition den Ausweg genau bei den Energieträgern suchen, auf die dieser Höllensommer zurückzuführen ist. Mehr noch: Sie verwenden einen Großteil ihres politischen Kapitals aber auch des Geldes dafür.

Umfragen und gesellschaftliche Analysen zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger erkannt haben, dass der Klimawandel die größte Herausforderung unserer Zeit ist. Sie nehmen die Lücke zwischen Ankündigung von Freiheitsenergien einerseits und das Ausbleiben der Einlösung andererseits durchaus wahr. Der Deutschland-Trend der ARD zeigt seit April ungebrochen größte Unterstützung für den schnelleren Ausbau von erneuerbaren Energien – nicht für Kohlekraftwerke.

Wo also bleibt der politische Weitblick, wo bleibt eine konsequente, zukunftsgewandte Klima- und Energiepolitik? Das hieße, die nächsten Winter in den Blick zu nehmen und Maßnahmen einzuleiten, die mittel- und langfristig helfen. Dazu gehört das dauerhafte Sparen von Energie. Aber nicht nur durch „kürzer Duschen, kälter Duschen und die Heizung ein paar Grad herunterdrehen“. Das grundlegende Problem liegt tiefer: Es ist der schlechte Zustand der meisten Häuser in Deutschland, und dieser erfordert Antworten. Angefangen bei monatlichen Verbrauchsinformationen für Mieter sowie Eigenheimbesitzerinnen und noch nicht endend bei einer massiven Erhöhung der Sanierungsquote.

Auch taktische Manöver müssen langfristig einzahlen

Die Bevölkerung – wie auch die Wirtschaft – will Planungssicherheit, das haben nicht zuletzt die Versäumnisse beim Umgang mit Corona gezeigt. Und diese lässt sich am besten geben, indem die Bundesregierung ihr strategisches Ziel, das Land bis 2045 klimaneutral zu machen und die Abmachungen des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, mit Nachdruck anpackt. In Teilen steht sogar die Union als Wegbegleiterin zur Seite.

Die wirkliche Zeitenwende erfordert Mut und Innovationsgeist. Im Sinne des überragenden öffentlichen Interesses ist hier noch viel – auch kurzfristig – möglich. Warum nicht die Mehrwertsteuer auf Energieeffizienzprodukte senken, die Zertifizierungspflicht für PV-Anlagen aussetzen und eine Anschlusslösung für das 9-Euro-Ticket entwickeln? Da die Wirtschaft nach mehr Geschwindigkeit bei der Energiewende, und damit der zukunftsfähigen Sicherung unserer Energieversorgung, ruft, ist hier sicherlich mit großer Bereitschaft zum Mitmachen zu rechnen.

Die politische Sommerpause endet demnächst, der Winter nähert sich unaufhaltsam. Es werden wohl nicht die einzigen Monate bleiben, in denen wir bangend auf die Füllstände der Gasspeicher schauen. Worauf wartet die Bundesregierung also noch, um die Energieversorgung des Landes sicher und klimafreundlich aufzustellen? Es wird Zeit vom Krisenmodus in den Gestaltungsmodus zu schalten, damit die taktischen Manöver der Koalitionäre wieder auf das strategische Ziel der Klimaneutralität einzahlen.

Carolin Friedemann ist Gründerin und Geschäftsführerin der Initiative Klimaneutrales Deutschland (IKND). Die IKND ist eine gemeinnützige Organisation, die nach eigenen Angaben die faktenbasierte, parteiübergreifende Klimadebatte mit Mitteln der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit unterstützt.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen