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Energie & Klima

Standpunkte Gute Aussicht für grünen Wasserstoff – doch die Politik verliert den Fokus

Luc Graré, Lhyfe-Geschäftsführer Zentral- und Osteuropa
Luc Graré, Lhyfe-Geschäftsführer Zentral- und Osteuropa Foto: Lhyfe

Derzeit werden Weichen in der deutschen Energiepolitik gestellt – nicht jedoch für die Wasserstoffwirtschaft, meint Luc Graré vom französischen H2-Unternehmen Lhyfe. Er fordert eine Wasserstoffstrategie 2.0, die sich vor allem auf den Ausbau dezentraler Wasserstoffzentren konzentrieren müsse.

von Luc Graré

veröffentlicht am 15.11.2022

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Die deutsche Politik und die Bundesregierung sind aufgrund der Krise bereit, weitreichende Entscheidungen zu treffen. Von den Kernkraft-Laufzeitverlängerungen über die Rückkehr von Kohlekraft ans Netz bis hin zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Warum an anderer Stelle noch nicht konsequent? Denn jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um den vielfach gepriesenen, doch bisher nur in brüchigen Ansätzen umgesetzten Hochlauf der grünen Wasserstoffwirtschaft voranzutreiben.

Klar ist: Die langfristig effizienteste und ökologischste Weise grünen Wasserstoff zu produzieren ist die Kopplung der Elektrolyseure an Erneuerbare-Energien-Kraftwerke, und zwar direkt vor Ort. Kurze Lieferwege verringern den Bedarf an teurer – meist neuer – Infrastruktur, steigern die Akzeptanz in der Bevölkerung und eliminieren etwaige Transportverluste und -emissionen. Die Pläne des Wirtschaftsministeriums sehen stattdessen riesige schwimmende LNG-Terminals im Norden und Wasserstoffproduktion im Süden vor mit entsprechend langen Pipelines. Dies gefährdet nicht nur lokale Ökosysteme, sondern erfordert, allein um rentabel zu sein, den jahrzehntelangen Betrieb der dazugehörigen Infrastruktur. Mittel- bis langfristig ist es paradox, auf Entflechtung neue Abhängigkeit folgen zu lassen.

Grünes H2 als Triebfeder eines zukunftssicheren Wirtschaftsstandorts

Grüner Wasserstoff darf nicht als isolierte Technologie verstanden werden, deren Entwicklung zentral geplant und gefördert werden muss. Grüner Wasserstoff besitzt Querschnittscharakter. Insbesondere dann, wenn er in regionalen Clustern mit Partnern und Zulieferern entsteht, entfalten sich positive Effekte für die Industrie. Werden über den europäischen Kontinent verteilt mehrere dezentrale Wasserstoffzentren geschaffen, dann profitieren ebenfalls die Kommunen durch neu entstandene Standortvorteile, Attraktivität und zusätzlich geschaffene Arbeitsplätze.

Für zahlreiche Industrien ist grüner Wasserstoff der einzige Weg, ihre Produktionsprozesse klimafreundlich umzugestalten. Die Möglichkeit, Elektrolyseure direkt an Erneuerbare und die Produktion des Unternehmens anzubinden, stellt zukünftig einen substanziellen Wettbewerbsvorteil dar. Die Förderung dezentraler Wasserstoffzentren ist dementsprechend als Vorteil für die gesamte Region und als nachhaltig aktivierende Struktur-, Industrie- und Energiepolitik zu begreifen. Als Standorte für derartige Wasserstoffzentren sind aufgrund bislang ungehobener Offshore-Wind-Potentiale Küstenregionen besonders prädestiniert. Gleichzeitig können in den ehemaligen Kohleregionen sowie historischen Industrie- und Chemiestandorten neue Perspektiven für den europäischen Binnenmarkt entstehen.

Zweifelsohne spielt eine intensive Kooperation mit Partnern der EU eine herausragende Rolle, aber die Technologieführerschaft zu bewahren und die Bedingungen, Infrastruktur sowie EE-Kapazitäten für den Hochlauf zunächst innerhalb der EU zu schaffen, ist aktuell nur konsequent.

Die Strategie zu Ende denken

Der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien ist endlich weitgehender Konsens und die Unternehmen zeigen eine hohe Investitionsbereitschaft für innovative Technologien. Die Bundesregierung kann nun proaktiv Rahmenbedingungen schaffen, damit die Transformation gelingt. Das schließt insbesondere grünen Wasserstoff und eine aktualisierte, den neuen Gegebenheiten entsprechende Wasserstoffstrategie 2.0 ein. Zu begrüßen sind Vorstöße wie das Wind-an-Land-Gesetz, das die Länder verpflichtet, jetzt schnell den Ausbau der Windkraft voranzubringen.

Andererseits drohen Vorhaben auf europäischer Ebene das Wachstum der H2-Industrie zu bremsen. Der fast zeitgleich mit der REPowerEU-Strategie erschienene Entwurf des delegierten Rechtsakts zur EU-Erneuerbarenrichtlinie steht in der Wasserstoffwirtschaft heftig in der Kritik. Ursprünglich gedacht, um den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben, reguliert der Rechtsakt den Strombezug für die grüne Wasserstoffproduktion. Demnach dürfen ab 2026 nur noch neugebaute erneuerbare Energieanlagen (EEA) an Elektrolyseure angeschlossen werden, die nur laufen dürfen, wenn tatsächlich Strom in den angeschlossenen Anlagen produziert wird.

Das ist mindestens aus zwei Gründen problematisch: Erstens ist der Preis von grünem Wasserstoff eng mit dem Kapazitätsfaktor, also dem Auslastungsgrad verzahnt, und dieser sinkt zwangsläufig, wenn die Volllaststunden gezwungenermaßen reduziert werden müssen. Zweitens: Angesichts stagnierender Ausbauzahlen bremst die geplante Regelung schlimmstenfalls hiesige Innovation und erstickt Unternehmertum im Bereich des grünen Wasserstoffs, denn auch die Nutzung von Bestandsanlagen, gerade jenen, die bereits aus dem EEG gefallen sind, stellt ein vielversprechendes Geschäftsmodell dar.

Zielsetzung des Entwurfs ist es folgerichtigerweise, die Emissionen der Wasserstoffproduktion zu senken, indem der Ausbau von EE-Anlagen angeregt werden soll, während die Nutzungskonkurrenz aufgelöst wird. Was der Entwurf nicht bedenkt, ist, dass diese Gestaltungspraxis dem gerade jetzt so dringenden Wachstum der Branche zuwiderläuft. Langfristig bedeutet das vielleicht sogar eine langsamere Dekarbonisierung von Schwerlastverkehr und Industrie und so schlussendlich mehr Emissionen.

Die Nutzungskonkurrenz ist nicht durch das pauschale Verbot, sondern durch die Zündung des Turbos beim Ausbau der Erneuerbaren aufzulösen. Ein adäquates Instrument könnte auch hier eine Quotenregelung darstellen, die eine verbindliche Untergrenze neuer EE-Anlagen für die grüne Wasserstoffproduktion zieht und bereits laufende und geplante Projekte mit Bestandsanlagen gesondert berücksichtigt.

Eine Wasserstoffstrategie 2.0

Die Bundesregierung plant, bis 2030 eine Elektrolyse-Kapazität von mindestens zehn Gigawatt erreichen zu wollen. Dafür reichen aber die alten Regelungen und Ziele nicht mehr aus. Jetzt braucht es ein drastisches und ambitioniertes Update der nationalen und perspektivisch auch europäischen Wasserstoffpolitik. Das sollte nicht bedeuten, die Fördermilliarden verstärkt in internationale Partnerländer zu lenken und damit auch die Verantwortung für den zur Herstellung des grünen Wasserstoffs notwendigen Ausbau der Erneuerbaren abzuwälzen.

Stattdessen muss eine neue, umfangreiche Wasserstoffstrategie her, die den Fokus klar auf die europäische Produktion legt, die erforderlichen Strommengen zur Verfügung stellt und sie bei den Ausbauzielen mit berücksichtigt und fördert.

Dafür müssen alle Teile der Produktionskette und noch ganzheitlicher, des Wertschöpfungsverbunds, beachtet werden und breit Eingang in die Vorgaben des Klima- und Wirtschaftsministeriums (BMWK) finden: Vom Ausbau der erneuerbaren Energien über die Forschungsförderung und dem Aufbau von wettbewerbsfähigen großindustriellen Elektrolyseuren bis hin zur optimierten und verbindlichen Anwendung in Industrie und Verkehr. Eine Wasserstoffstrategie 2.0 kann dies gezielt adressieren und bedeutet weniger Fokus auf Importe und mehr Unterstützung für die europäische Energiewende und den Strukturwandel.

Luc Graré führt für Lhyfe, einen französischen Anbieter von grünem Wasserstoff, die Geschäfte in Zentral- und Osteuropa.

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