Die Industrie klagt schon lange über zu hohe Strompreise, mindestens für die energieintensiven Betriebe wird das Problem zunehmend zur Existenzfrage. Wenn aber über Entlastungen gesprochen wird, geht es meist darum, Kosten anders auf die Verbrauchergruppen zu verteilen. Ein Beispiel dafür sind Netzentgelte, wo stromintensive Betriebe hohe Nachlässe zu Lasten anderer Stromkunden bekommen. Oder es werden Forderungen gestellt, Industriestrompreise aus Haushaltsmitteln zu finanzieren.
Viel zu wenig wird aber darüber gesprochen, mit welchen Maßnahmen die Kosten selbst gesenkt werden können. Statt auf Subventionen zu setzen, sollte das Stromsystem effizienter ausgelegt und gesteuert werden. Dazu müssen Fehlanreize beseitigt werden – sowohl bei den Stromerzeugungskosten als auch auf Ebene der Netze und Netzentgelte. Anderenfalls droht die Energiewende zu scheitern.
Onshore-Wind-Ausschreibungsdesign neu aufsetzen
Ein großes Problem besteht im Bereich Wind an Land: Das praktizierte Ausschreibungsmodell für Wind ist falsch. Es täuscht einen Wettbewerb nur vor, wenn das Ausschreibungsvolumen höher ist als die Menge der angebotenen Projekte. Die Anbieter liegen immer dicht an der veröffentlichten Preisobergrenze von zurzeit 7,35 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Diese Grenze ist zu hoch. Zudem muss es einen Anreiz geben, Angebote günstig zu kalkulieren. In jeder Ausschreibungsrunde sollten die teuersten 20 Prozent keinen Zuschlag erhalten. Sie können sich dann später wieder bewerben.
Verbesserungsbedarf besteht auch bei der Vergütung von Windkraftflächen. In Deutschland zahlen Windkraftbetreiber an Landeigentümer von Windstandorte Pachten von bis zu 30 Prozent vom Umsatz, einzelne Grundeigentümer erhalten Jahrespachten von mehreren 100.000 Euro pro Jahr. Diese Pachten sind ein direkter Indikator für zu hohe Erlöse in Folge des nicht funktionierenden Wettbewerbs. Die Pachthöhe sollte auf maximal fünf Prozent vom Umsatz beschränkt werden. Das ist dann immer noch ein Vielfaches einer Landwirtschaftspacht. Das ist einfach zu regeln im EEG: Wer mehr zahlt, erhält keine Vergütung aus dem EEG.
Fehlanreize schafft zudem das Referenzertragsmodell im EEG. Dieses soll die Vergütung pro kWh nach der Windhöffigkeit des jeweiligen Standortes staffeln und so überall einen ausreichend wirtschaftlichen Betrieb ermöglichen. Heute wird das Modell „missbraucht“: Die Flächen werden extrem dicht bebaut. Die Verluste durch gegenseitige Windwegnahme gleicht das EEG dann durch eine höhere Vergütung aus. Die Rechnung sieht so aus: Preis aus Zuschlag x 1,4. Dann liegt die reale Vergütung für Windstrom über 10 ct/kWh. Dadurch wird der Strom noch teurer gemacht. Das kann durch eine kleine Änderung im EEG korrigiert werden.
EEG-Förderung richtig reformieren
Nachholbedarf gibt es auch bei der Förderung von Erneuerbaren. Das EEG sichert heute eine Mindestvergütung. Wenn wie in 2022 die Preise enorm stark steigen, geht auch der Erlös aus Erneuerbaren-Anlagen steil mit nach oben, obwohl die Betreiber keine Energierohstoffe einkaufen müssen. Das ist falsch. Markterlöse, die deutlich über die Mindestvergütung hinausgehen, sollten zur Entlastung der Stromkosten zurückgeführt werden.
Die Kosten für Windstrom können durch die Korrekturen um mindestens 3,5 ct/kWh gesenkt werden. Bezogen auf die Ausbauziele bis 2035 wäre das allein für Wind an Land eine Kostensenkung um 43 Milliarden Euro. Der Kostenblock Marktprämie für Wind an Land könnte auf ein Drittel sinken.
Die von der Bundesregierung geplante Reform der Erneuerbaren-Förderung geht dabei in die falsche Richtung. Die Finanzierung von Erneuerbaren-Anlagen durch Banken bleibt günstig, wenn der Ertrag durch eine gesetzliche Mindestvergütung (EEG) abgesichert ist (analog zu Hermesbürgschaften). Eine Umstellung auf Investitionskostenförderung, wie jetzt geplant, macht eine Finanzierung durch regionale Banken faktisch unmöglich, weil keine wirtschaftliche Sicherheit für den Betrieb über 20 Jahre gegeben ist.
Optimierte Netznutzung vor Ausbau
Kosten können auch durch eine intelligentere Nutzung von Netzen eingespart werden. Denn viele Netze werden immer noch blind gefahren. Die Auslastung wird so beschränkt, dass im worst case die technischen Grenzen nicht erreicht werden. Es fehlen einfache Temperaturüberwachungen an Ortsnetztrafos und Freileitungen. Durch eine falsche n – 1 Auslegung werden Hochspannungsleitungen nur zu 50 bis 70 Prozent ausgelastet. Ein Monitoring wäre viel kostengünstiger als neue Netze zu bauen und auch kosteneffizienter, als Windenergieanlagen abzuschalten und die Kosten der Abschaltung auf alle Stromkunden umzulegen (ca. 6 Milliarden Euro jährlich).
Natürlich brauchen wir auch den Netzausbau. Die Bundesnetzagentur muss die Netzbetreiber verpflichten, ihre bestehenden Netze so zu betreiben, dass sie innerhalb der technischen Grenzen ausgelastet werden. Netzbetreiber, die das verweigern, sollten keine Redispatch-Kosten auf die Netzentgelte umlegen dürfen.
Dynamische Netzentgelte auf allen Spannungsebenen
Starre Netzentgelte verhindern zudem, den Strom dann zu nutzen, wenn das Angebot hoch und die Börsenpreise niedrig sind. Die Folge ist, dass mehr Redispatsch nötig wird: Allein 2023 wurden rund 14,5 Milliarden kWh Strom aus Solar und Windkraftanlagen abgeregelt. Wenn die Netzentgelte pro Kilowattstunde höher sind als der Gaspreis, kann der Strom selbst dann nicht wirtschaftlich in Power to Heat Anlagen (PtH) fließen, wenn er verschenkt wird. Dieser Widerspruch wird seit Jahren vom Gesetzgeber und der BNetzA ignoriert. Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat schon lange vorgeschlagen, die Netzentgelte zeitlich und regional flexibel zu gestalten. Viele Anwendungen wie PtH oder das Laden von E-Autos können regional ohne Umweg über Übertragungsnetze stattfinden.
Ineffizient ist momentan auch noch die Nutzung von Verteilnetzen. Örtliche Verteilnetze sind heute im Schnitt nur zu 20 Prozent ausgelastet. Wenn der zusätzliche Strom über die 24 Tagesstunden richtig verteilt wird, braucht es viel weniger Ausbau der Verteilnetze. Dafür braucht es flexible Tarife. Mehr Kilowattstunden über ein vorhandenes Netz zu schicken, müsste für diese Netze sogar eine Senkung der Entgelte ermöglichen.
Netzentlastend wäre auch ein Umdenken bei der EEG-Vergütung. Die gesetzliche Vergütung wird heute nur gewährt, wenn der Windstrom in öffentliche Netze eingespeist wird. In vielen Fällen bietet es sich aber an, den Windstrom über Direktleitungen unmittelbar an Industriebetriebe zu liefern. Es gibt keinen sachlichen Grund, für diese Fälle die Zahlung von Marktprämien zu versagen. Ungestört von starren gesetzlichen Netzentgeltvorgaben könnte Windstrom zu sehr wettbewerbsfähigen Preisen an die Industrie geliefert werden und gleichzeitig die allgemeinen Netze entlasten.
Neue Akteure im Netzbetrieb
Preissenkungen ließen sich auch durch weniger Monopol und mehr Wettbewerb erreichen. Die Aufhebung des Fernmeldemonopols 1998 hat zu mehr Wettbewerb und sehr viel günstigeren Preisen geführt. Wir sollten den gleichen Schritt für die Stromnetze gehen.
Zuletzt müssen wir auch an die künftigen Kosten denken: Der Investitionsbedarf für den Ausbau der Übertragungsnetze insbesondere für die Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) werden aktuell auf 320 Milliarden Euro geschätzt. Die Umlage dieser Kosten auf die Netzentgelte wird diese nochmals um mehrere Cent pro Kilowattstunde verteuern. Der größte Kostentreiber dabei ist die Erdverkabelung anstelle von Freileitungen. Netzbetreiber schätzen, dass Errichtung und Betrieb von Erdkabeln um das Siebenfache teurer sind als Freileitungen. Die Vorschrift, HGÜ nur als Erdkabel zu verlegen, muss abgeschafft werden.
Johannes Lackmann ist Inhaber und Co-Geschäftsführer des Windenergieprojektentwicklers Lackmann Phymetric. Zwischen 1999 und 2008 war Lackmann Präsident des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE).