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Energie & Klima

Standpunkte Klimaschutz in der Corona-Krise verlangsamen?

Nils Meyer-Ohlendorf, Leiter des International and European Governance Program des Ecologic Instituts
Nils Meyer-Ohlendorf, Leiter des International and European Governance Program des Ecologic Instituts

Zur Bekämpfung der Coronakrise gehen Staaten an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Soweit sollte es in der Klimapolitik nicht kommen, argumentiert Nils Meyer-Ohlendorf vom Thinktank Ecologic Institut. Denn eine „Whatever-it-takes-Antwort“ für die Bekämpfung der Klimakrise im fortgeschrittenen Stadium sei keine Option. Stattdessen muss jetzt konsequent gehandelt werden, schreibt er.

von Nils Meyer-Ohlendorf

veröffentlicht am 09.04.2020

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Formiert sich im Angesicht der Corona-Krise eine Bewegung gegen Klimaschutz? Es gibt erste Anzeichen. Janusz Kowalski, Polens Klimaminister, will eine Aussetzung des europäischen Emissionshandels, zumindest für Polen. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babiš wendet sich grundsätzlich gegen den europäischen Green Deal. Die rechtskonservative EKR-Fraktion im Europäischen Parlament fordert ebenfalls, den Green Deal aufzuschieben. Der BDI spricht sich in allgemeiner Form gegen weitere Belastungen wie etwa Verschärfungen von Grenzwerten aus.

Bisher ist dies keine breite Front. Teilweise sind die Äußerungen auch widersprüchlich. Während Kowalski und Babiš grundsätzliche klimapolitische Kursänderungen ins Spiel bringen, haben ihre Länder vorletzte Woche den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats zugestimmt. In diesen Schlussfolgerungen hat der Europäische Rat die Bedeutung des „Übergangs zu einer grünen Wirtschaft“ für die Normalisierung der europäischen Wirtschaft hervorgehoben. Außerdem sind viele Akteure aus Politik und Wirtschaft für die Umsetzung des Green Deals – auch und gerade wegen der Corona-Krise. Klimaschutz ist für viele Unternehmen längst ein zentraler Teil ihres Geschäftsmodells, der unabhängig von der Coronakrise fortbestehen wird.

Drei Gründe, warum Klimaschutz nicht verschoben werden kann

Noch ist es unklar, wie die Diskussion sich weiterentwickelt. Trotz dieser Unsicherheiten spricht aber viel dafür, dass sich weitere Akteure für eine Verlangsamung von Klimaschutz aussprechen werden. Klimaschutzziele könnten unter Druck geraten, insbesondere die Anhebung des EU-Zieles für 2030.

Aber kann Klimaschutz verschoben werden? Sollte er wegen der Coronakrise verlangsamt werden? Aus drei Gründen ist dies nicht möglich:

Der erste Grund ist Zeit. Der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur kann nur dann deutlich unter zwei Grad gehalten werden, wenn die globalen Emissionen sofort und drastisch sinken. In ihrem jüngsten Bericht zur globalen Emissionsreduktionslücke schätzte die UN-Organisation UNEP, dass jährliche globale Emissionsreduktionen von 2,7 Prozent in der nächsten Dekade erforderlich sein werden, um den Temperaturanstieg unter zwei Grad halten zu können. Hätte die Welt 2010 begonnen, deutlicher Emissionen zu reduzieren, wären jährliche Reduktionen von nur 0,7 Prozent erforderlich gewesen. Verspätungen machen also drastischere Senkungen später erforderlich.

Der zweite Grund ist das Ausmaß der Klimakrise. Ungebremst wird sie zu einer Krise, die unsere Lebensbedingungen dramatisch verschlechtern kann. Diese Krise wird viele Gesichter haben. Im Angesicht der Coronakrise darf aber nicht vergessen werden, dass die Klimakrise auch eine Gesundheitskrise ist. Infektionskrankheiten wie etwa West-Nil-, Dengue- und Chikungunya-Fieber könnten sich ausbreiten. Die Ausbreitung von Hantaviren wird durch höhere Temperaturen begünstigt. In der Hitzewelle 2003 kamen allein in Europa geschätzt 70.000 Menschen zu Tode. Wegen hoher Luftverschmutzung – vor allem verursacht durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas – starben 2015 weltweit 8,8 Millionen Menschen vorzeitig. In Europa waren es geschätzt 790.000 Menschen.

„Whatever it takes“ ist kein Lösungsansatz für die Klimakrise

Der dritte Grund: „Whatever it takes“ ist das Mantra der Bekämpfung des Coronavirus und seiner wirtschaftlichen Folgen. Geld scheint keine Rolle zu spielen. Deutschland hat seit letzter Woche einen Nachtragshaushalt in der kaum fassbaren Höhe von 156 Milliarden Euro, die USA stellen zwei Billionen Dollar zur Verfügung, Europa insgesamt 2,6 Billionen Euro. Weltweit gibt es nie da gewesene Beschränkungen des öffentlichen Lebens – mit gravierenden Folgen für Menschen und Wirtschaft. Dies sind beispiellose Kraftanstrengungen.

Könnte eine solche „Whatever-it-takes-Antwort“ auch die Klimakrise lösen, wenn sie in einem fortgeschrittenen Stadium ist, also quasi „ausgebrochen“ ist? Dies ist keine Option. Viele der durch höhere Temperaturen in Gang gesetzten Prozesse können mit keinem Whatever-it-takes-Notprogramm gestoppt werden. Einmal in Gang gesetzt sind sie irreversibel. An diesem Punkt befindet sich die Klimakrise noch nicht, aber um es nicht so weit kommen zu lassen, müssen Emissionen jetzt zunächst drastisch und über die nächsten Jahrzehnte auf null gebracht werden. Anders formuliert: Im Gegensatz zu Corona gibt es für die Klimakrise kein Notfallprogramm, sondern nur konsequentes und kontinuierliches Handeln. Es wird auch keine Medizin und kein Impfstoff zur Verfügung stehen.

Scheinbar steht die Welt also vor einem Dilemma – Klimaschutz darf nicht verlangsamt, sondern muss beschleunigt werden, aber in einer tiefen Wirtschaftskrise sind Investitionen oft nicht möglich. Dieses Dilemma kann indes aufgelöst werden. Zum einen ist Klimaschutz eine Chance für viele Unternehmen, zum anderen mangelt es nicht an Ideen für eine klimafreundliche Erholung. Konjunkturprogramme können Investitionen in Klimaschutz Vorrang geben. Subventionen für fossile Energieträger können bei niedrigen Energiepreisen einfacher beendet werden.

Eine klimafreundliche Erholung ist eine schwierige Aufgabe. Die Erfahrungen mit den Konjunkturprogrammen 2009 sind oft ernüchternd. Auch damals war eine klimafreundliche Erholung in aller Munde, aber gelungen ist sie nicht. Anders als 2009 kann die Erholung 2021 aber auf neue Einsichten bauen: Bisher war die Klimakrise für die meisten Menschen abstrakt und fern in der Zukunft liegend, aber die Coronakrise führt jedem drastisch vor Augen, dass essentielle Krisen Wirklichkeit werden können.

Zudem: Viele Menschen tragen massive Änderungen mit, wenn sie von ihrer Notwendigkeit überzeugt sind. Manche Formen klimaschädlichen Handelns – etwa im Bereich Mobilität – erschienen bis vor wenigen Wochen unverzichtbare Teile unseres Lebens zu sein, haben sich aber als ersetzbar erwiesen. Diese Einsichten können am Ende der Motor für eine klimafreundliche Erholung und für eine Bewegung für mehr Klimaschutz sein. Denn dieses Mal muss die klimafreundliche Erholung gelingen – ansonsten würde die Bekämpfung der einen Krise vielleicht unumkehrbar die Beschleunigung der anderen zur Folge haben.

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