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Energie & Klima

Standpunkte Klimaschutz ist Teilhabe- und Freiheitsschutz

Baro Vicenta Ra Gabbert, Vorstandssprecherin für sozial-ökologische Gerechtigkeit, Greenpeace Deutschland
Baro Vicenta Ra Gabbert, Vorstandssprecherin für sozial-ökologische Gerechtigkeit, Greenpeace Deutschland Foto: Lucas Wahl/Greenpeace

Heute reichen Greenpeace und Germanwatch eine von mehr als 50.000 Menschen mitgetragene „Zukunftsklage“ in Karlsruhe ein. Unter den Klimaklagen der vergangenen Jahre ist sie die erste Verfassungsbeschwerde, die soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zusammenbringt, schreibt Baro Gabbert von Greenpeace. Juristisch sei das Neuland – gesellschaftlich höchste Zeit.

von Baro Ra Vincenta Gabbert

veröffentlicht am 16.09.2024

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Steht man dieser Tage nach Einbruch der Dunkelheit vor dem hellen, schlichten Gebäude, in dem sich das Bundesverfassungsgericht befindet, kann man ein rotes LED-Band beobachten, das die Fassade neben dem Eingang ziert. Auf der Fassade leuchten wichtige, wegweisende Urteile des obersten deutschen Gerichts auf. „2021: Klimaschutz zwingend für Freiheitschancen in der Zukunft“, ist dort etwa zu lesen.

In einer Zeit, in der die Politik die Bedeutung von Klimaschutz für die Zukunft unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens gerne zu vergessen scheint, wirkt diese Erinnerung fast wie ein Mahnmal. Noch immer ist die Bundesregierung nicht auf Kurs, um ihre eigenen Klimaziele zu erreichen, bescheinigte der Expertenrat für Klimafragen erst im Juni in einem Sondergutachten.

Statt darauf mit Nachbesserungen und klugen Konzepten zu reagieren, wurde das Klimaschutzgesetz im Rahmen seiner jüngsten Überarbeitung noch geschwächt: Einzelne Sektoren müssen bei einer Verfehlung ihrer CO2-Ziele nicht mehr gleich nachsteuern, die Bundesregierung darf stattdessen jetzt zwei Mal hintereinander die anvisierten Ziele verpassen, bevor sie insgesamt nachbessern muss. Wie das konkret umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Die Novelle wirkt wie ein Blankoscheck für säumige Sektoren und Minister:innen, Klimaziele auch künftig zu ignorieren.

Wer darf das CO2-Budget ausschöpfen und wofür?

Hinter Klimazielen stehen dabei nicht allein Reduktionspfade, Prozentsätze und Megatonnen CO2. Sondern der Schutz unserer Lebensgrundlagen und die Frage, wie wir künftig leben werden. Kurzum: Klimakrise und Klimaschutzpolitik sind untrennbar verbunden mit den größten Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit.

Entsprechend adressiert auch unsere Zukunftsklage Kernfragen der Gerechtigkeit: Wenn Deutschland nur noch eine begrenzte Menge CO2 bleibt – und das Klimaurteil von 2021 hat diesen Budgetansatz bestätigt – wer darf die verbleibende Menge an Treibhausgasen dann wofür ausstoßen? Wie lässt sich sicherstellen, dass die Folgen von Klimaschutzmaßnahmen nicht manche Gruppen ungleich härter treffen als andere?

Gerade im Bereich Mobilität liegen hinter den Antworten auf diese Fragen Sollbruchstellen des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Mobilität ermöglicht die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sozialen Austausch und berufliche Chancen. Im aktuellen Verkehrssystem ist sie gleichwohl immer noch mit der Nutzung fossiler Brennstoffe verbunden.

Menschen auf dem Land trifft schlechte Klimapolitik härter

Wenn man etwa nun aus einer verkürzten Vorstellung von Freiheit heraus ein Tempolimit ablehnt, wird ein wertvoller Teil des ohnehin schon knappen CO2-Budgets verschwendet. Das schmälert nicht nur politische Handlungsspielräume in der Zukunft, sondern auch die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe unterschiedlich stark.

Denn gerade Menschen, die schon heute von der Politik viel zu oft vergessen werden, werden von schlechter Klimapolitik in Zukunft ungleich härter getroffen: Menschen auf dem Land, die wenig bis kaum auf einen gut ausgebauten ÖPNV ausweichen können, werden gegenüber Menschen in großen Städten deutlich stärker in ihren Optionen eingeschränkt. Menschen mit niedrigen Einkommen können einen dann notwendigerweise steiler ansteigenden CO2-Preis schlechter abfedern. Und auch für Menschen mit Behinderungen würden sich die Möglichkeiten, mobil zu bleiben, stark verengen, wenn die Nutzung des ÖPNV an mangelnder Barrierefreiheit scheitert.

Unser Grundgesetz beinhaltet auch Teilhaberechte und den Grundsatz der Lastengleichheit. Es gebietet also, dass Klimaschutz auch sozial gerecht sein muss. Mit dieser Argumentation betritt die Zukunftsklage juristisches Neuland. Folgt das Verfassungsgericht ihrem Ansatz, würde das potenziell auch über Deutschland hinaus Wirkung entfalten und den Weg für weitere Klagen ebnen.

Chance für gesellschaftliche Akzeptanz

Ein besonderer Fokus auf (Un-)gerechtigkeit in der Klimapolitik ist aber nicht nur aus juristischer Sicht relevant, sondern auch entscheidend für die gesellschaftliche Akzeptanz von klimapolitischen Maßnahmen. Ist ihre Umsetzung ungerecht oder wird so wahrgenommen, kann das zu deren Ablehnung führen. Zudem bergen ungerechte Maßnahmen die Gefahr, dass die heute schon spürbare Skepsis gegenüber politischen Entscheidungen wächst. Das können sich weder Gesellschaft noch Klima leisten. Die Chance, Menschen tatsächlich mitzunehmen, liegt in einer Klimapolitik, die unsere Lebensgrundlagen schützt und gleichzeitig sozial gerecht ist.

Innerhalb weniger Wochen haben mehr als 50.000 Menschen entschieden, sich der Zukunftsklage anzuschließen. Sie treten im Sinne der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung von 2021 für ihr Recht auf angemessenen Klimaschutz ein. Dafür, die Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich zu senken und Freiheiten für die Zukunft zu erhalten. Und dafür, dass die Klimapolitik endlich auch als Politik für mehr Gerechtigkeit begriffen wird. Im Grunde wollen all diese Menschen künftig vor der Fassade des Bundesverfassungsgerichts stehen, auf der in roten Lettern zu lesen sein wird: „2025: Klimaschutz heißt auch Schutz vor sozialer Ungerechtigkeit“.

Baro Vicenta Ra Gabbert ist Juristin und Vorstandssprecherin für sozial-ökologische Gerechtigkeit bei Greenpeace Deutschland.

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