Neben einer grundsätzlichen Ablehnung der Pauschalabstände geht es in der Diskussion um viele Details, wie die Frage nach der Anzahl der Wohnhäuser, die erforderlich sein sollen, um aus einem Dorfgebiet die politisch vereinbarte „dörfliche Struktur mit signifikanter Wohnbebauung“ zu machen. Dabei verliert die Diskussion aber die Frage nach der Sinnhaftigkeit der grundsätzlichen Konzeption der Pauschalabstände und der damit verbundenen Anwendungsprobleme aus dem Auge.
Abstände zwischen Windenergieanlagen und Wohnbebauung sind dem heutigen Recht nicht fremd. Sie verhindern, dass Windenergie zu dicht an die Bevölkerung heranrückt. Es gibt Abstände zum Schutz vor gefährlichen Umweltauswirkungen, etwa vor Lärm. Je lauter eine Anlage und je schützenswerter der betroffene Bereich, desto größer der Abstand. Oder der Schutz vor sogenannten optisch bedrängenden Wirkungen. Der daraus resultierende Abstand ist „dynamisch“, beträgt regelmäßig das Zwei- bis Dreifache der Anlagenhöhe und wächst daher mit zunehmender Anlagenhöhe mit.
Neben den Schutzabständen gibt es raumplanerische Vorsorgeabstände, etwa um Akzeptanz zu schaffen oder für zukünftige Bebauung. Sie werden durch Flächennutzungspläne oder Regionalpläne festgesetzt und regelmäßig ebenfalls als größere Abstände definiert, die zum Teil auch 1000 Meter und mehr betragen können. Sie sind aber regelmäßig viel differenzierter als die in Paragraph 35a Baugesetzbuch (BauGB) geplante holzschnittartige Lösung und berücksichtigen die planerisch relevanten Umstände vor Ort. So werden zum Beispiel unterschiedliche Anknüpfungspunkte gewählt oder geringere Abstände für das Repowering normiert.
Pauschale Abstände sind große Fehlerquellen für Planer
Die nun vorgeschlagenen Pauschalabstände sind in die zweite Kategorie der Vorsorgeabstände einzuordnen. Es geht nicht um den Schutz der Bevölkerung vor schädlichen Umweltauswirkungen. Doch trotz der gleichen Motivlage lassen sich Pauschalabstände und planerische Festlegungen nicht friktionsfrei zusammenfügen, so dass eine ganze Reihe von Rechtsfragen und Anwendungsproblemen entsteht. Diese wären aber mit einem anderen Regelungsansatz vermeidbar und die angestrebten Ziele trotzdem erreichbar.
Die Probleme beginnen mit den unklaren Folgen einer solchen Neuregelung. Das Bundeswirtschaftsministerium geht davon aus, dass „nur“ rund 15 Prozent der heute für Windenergie bestehenden und geplanten Flächen betroffen sind (und natürlich alle weiteren Flächen innerhalb des 1000-Meter-Abstandes). Die Kritiker befürchten unter Verweis auf eine entsprechende Analyse des Umweltbundesamtes erheblich schwerwiegendere Auswirkungen, die die Erreichung der Ausbauziele Wind und der Klimaschutzziele unmöglich machen könnten.
Die Probleme werden durch den Hinweis auf die Abweichungsmöglichkeiten der Länder und Gemeinden nur begrenzt kleiner. Damit können zwar zusätzliche Flächen zur Verfügung gestellt werden. Für die Länder ist diese Möglichkeit aber nur 18 Monate verfügbar. Zudem bietet die Abweichungsmöglichkeit im Vergleich zum heutigen Planungsrecht weniger Flexibilität und erschwert so ein in sich stimmiges Gesamtkonzept.
Aus rechtlicher Perspektive entstehen aber noch vielfältig weitere Probleme: So führt eine zu großzügige Auslegung der „dörflichen Strukturen mit signifikanter Wohnbebauung“ zu Ungleichbehandlung mit vergleichbaren Mischgebieten und Kerngebieten. Daneben ist die rechtliche Würdigung der verbleibenden „Rumpfpläne“ außerhalb der 1000 Meter und die daraus folgende Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der Grundstückseigentümer nicht unproblematisch.
Am schwersten würden vermutlich aber die Folgeprobleme wiegen, die für die Planungsträger entstünden. Diese müssten zukünftig die gesperrten Flächen bei ihrer Planung korrekt erfassen und einbeziehen. Wenn sie fälschlicherweise eine Fläche als vom 1000-Meter-Abstand erfasst ansehen und nicht in die Abwägung einbeziehen oder andersherum irrigerweise eine erfasste Fläche als nicht gesperrt betrachten würden und in die Abwägung einbeziehen, leidet der Plan an einem Fehler, der zu seiner Aufhebung führen kann.
Dieses Problem spitzt sich zu, weil nicht nur ausgewiesene Flächen zu berücksichtigen sind, sondern auch faktische Dorfgebiete mit der entsprechenden Mindestgebäudezahl. Weitere Probleme entstehen durch den Bezug auf die Gebietskategorie des Dorfgebietes der Baunutzungsverordnung. Für solche Gebiete sind land- oder forstwirtschaftliche Betriebsstätten konstitutiv, die aufgrund des Strukturwandels im ländlichen Raum aber nicht mehr überall vorhanden sind, ohne dass dies für Planungsträger ohne weiteres erkennbar ist.
Pauschale Abstände sollten nur gelten, wenn keine andere Planung greift
Die beabsichtigten Ziele ließen sich auf andere Weise viel problemfreier erreichen. Das von der Bundesregierung vorgeschlagene Konzept zielt letztlich darauf ab, dass der bundesrechtliche Mindestabstand immer nur dann zur Anwendung kommt, wenn Bundesländer oder Gemeinden keine geringeren Abstände festgelegt haben. Zudem spielt er auch dann keine Rolle, wenn der Planungsträger zulässigerweise einen größeren Abstand bestimmt hat. Der Neuigkeitswert der vorgeschlagenen Regelung beschränkt sich damit auf eine bloße Ergänzungsfunktion. Der Pauschalabstand kommt nur zum Tragen, wenn es keine Pläne gibt. Doch dazu bräuchte es nicht das vorgeschlagene komplexe System, das in Konkurrenz zu den bestehenden Plänen tritt und dadurch Probleme hervorruft. Warum erst bestehende Pläne partiell außer Kraft setzen, um anschließend wieder Pläne zuzulassen?
Statt eines Konkurrenzverhältnisses zwischen bundesgesetzlichen und planerischen Abständen wäre eine ergänzende Koexistenz vorzugswürdig. Der Paragraph 35a BauGB müsste dazu so ausgestaltet werden, dass er immer dann – und nur dann – seine Wirkung entfaltet, wenn es keine Planung gibt, weil beispielweise ein Plan aufgrund von Fehlern im Planungsverfahren gerichtlich aufgehoben worden ist. Sobald ein Flächennutzungs- oder Regionalplan aber in Kraft tritt, tritt der bundesrechtliche Abstand wieder zurück. Der Paragraph 35a BauGB wäre eine das bestehende Planungsrecht ergänzende, subsidiäre Auffangregelung und würde trotzdem das angestrebte Ziel erreichen, einen Mindestabstand zu garantieren und gleichzeitig individuelle Abstände vor Ort zuzulassen.
Auch dieser Ansatz muss festlegen, zu welchen Flächen die Pauschalabstände gelten sollen. Aber er würde alle problematischen Aspekte zum Verhältnis der bundesgesetzlich vorgegebenen Abstände zu Plänen aussparen und dadurch Fehlerquellen beseitigen. Planungsmöglichkeiten und die Gestaltungsfreiheit der Gemeinden und regionalen Planungsträger wären bestmöglich gewährleistet und trotzdem gäbe es stets einen Mindestabstand – im Regelfall durch den jeweiligen Planungsträger, subsidiär durch Paragraph 35a BauGB. Der besten Lösung vor Ort würden keine Steine in den Weg gelegt, bestehende Planungskonzepte nicht durchkreuzt und die problematische Wirkung verbleibender „Rumpfpläne“ vermieden.
Vorsorgeabstände bleiben gesichert
Ein solches Modell würde eine bestehende Lücke im derzeitigen Planungskonzept schließen. Diese tut sich immer auf, wenn ein Plan gerichtlich aufgehoben wird. Dann kommen nur noch die engeren Schutzabstände zur Anwendung, einen darüber hinausgehenden Vorsorgeabstand gibt es vorübergehend nicht. Diese Situation bereitet aber vor Ort Ärger und dürfte die zentrale Motivation für den geplanten 1000-Meter-Abtand sein. Durch die hier vorgeschlagene subsidiäre Ergänzungsregelung würden aber immer Vorsorgeabstände gelten und ein Rückfall nur auf die Schutzabstände wäre nicht mehr zu befürchten.
Auch bei der Ausgestaltung dieses Ansatzes sind Fehler möglich. Die Regelung darf nicht dazu führen, dass das Interesse an Planung entfällt, weil eine umfassende und dauerhafte Sperrwirkung für die Windenergie eintritt. Dies scheint bei den geplanten 1000 Metern zu reinen, allgemeinen Wohngebieten und „dörflichen Strukturen mit signifikanter Wohnbebauung“ aber erfüllbar zu sein. Bei Letzteren dürfte die entscheidende Stellschraube eine Definition der dörflichen Strukturen jenseits der Dorfgebiete der Baunutzungsverordnung einschließlich der Mindestanzahl an Wohngebäuden sowie die Frage sein, ob dabei auch zukünftige Gebäude berücksichtigt werden sollten.