Solarenergie wird zum Rückgrat der europäischen Energieversorgung. Während Solaranlagen aktuell nur einen Anteil von fünf Prozent an der europäischen Stromerzeugung ausmachen, dürfte dieser Wert bis zum Jahr 2050 auf 36 Prozent steigen. Die finnische LUT-Universität prognostiziert sogar einen Anteil von bis zu 63 Prozent. Die jüngste Ausgabe des World Energy Outlooks der Internationalen Energie-Agentur bezeichnet die Solarenergie als „König der Stromerzeugung“ und sagt eine „massive Expansion“ voraus. Bei keiner anderen Technologie würden die Erzeugungskapazitäten in den kommenden Jahrzehnten so stark steigen werden wie bei der Solarenergie.
Aktuell werden die meisten Photovoltaikmodule in China hergestellt. Die Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie mit ihren verheerenden wirtschaftlichen Folgen lehren uns jedoch, dass sich Europa bei der Gewährleistung grundlegender Infrastruktur nicht blind auf Importe aus anderen Ländern verlassen sollte. Der Ausbau der europäischen Solarindustrie würde den Kontinent resilienter machen und zudem mehr als 500.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze allein bis zum Jahr 2030 schaffen. Zugleich wäre dies eine Riesenchance für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen.
Schon ein jährlicher Ausbau von 25 bis 30 Gigawatt würde Solarenergie zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in Europa machen und den Ausbau der europäischen Solarindustrie befördern. Obwohl Europa schon heute weltweit führend im Bereich Forschung und Entwicklung von Solartechnik ist, muss noch einiges getan werden, um den Markthochlauf zu beschleunigen und eine Modulherstellung im großindustriellen Maßstab aufzubauen.
Doch auch die anderen Teile der Wertschöpfungskette sollten nicht aus dem Blick geraten. Glas und Aluminium sind zwei der wichtigsten Rohstoffe für die Modulherstellung. Deren Import ist äußerst kosten- und CO2-intensiv. Eine Stärkung lokaler Lieferketten würde entsprechend jede Menge Geld sparen und zudem den CO2-Fußabdruck der Module deutlich verringern.
Umweltverträglichkeit könnte Alleinstellungsmerkmal werden
Der Aufbau einer großangelegten Solarindustrie mitten in Europa mag auf den ersten Blick eine Herausforderung darstellen. Auf der anderen Seite lässt das sich abzeichnende Ausmaß der Klimakrise selbst die ambitioniertesten Pläne winzig erscheinen. Deshalb müssen wir unsere Anstrengungen gegenüber früheren Planungen sogar noch verstärken – so, wie es Ursula von der Leyen kürzlich in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union gefordert hat. Dafür ist eine enge Kooperation zwischen Industrie, Regierungen und Regionen erforderlich. Aber wenn wir erfolgreich sind, tragen wir damit erheblich dazu bei, die Zukunft Europas und die unseres Planeten zu sichern.
Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal für Europa wäre die Einführung klarer Umweltverträglichkeitsstandards. Damit könnte der Kontinent seine führende Position beim Übergang in eine klimaneutrale Zukunft ausbauen. Was es dafür braucht, sind transparente Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien bei der öffentlichen Beschaffung, hohe Einstiegshürden sowie neue Regelungen zum Ökodesign und zur Energieverbrauchskennzeichnung.
Nur so kann sichergestellt werden, dass der in Europas Solaranlagen erzeugte Strom auch tatsächlich so kohlenstoffarm ist, wie es das Ziel der Klimaneutralität erfordert. Zugleich gewährleisten Qualitätskriterien eine hohe Lebensdauer der Anlagen – Betreiber erwarten heute zurecht Laufzeiten von 30 bis 40 Jahren – sowie geringe Betriebskosten. Zwar gibt es bereits eine Vielzahl an Qualitätstests und Zertifikaten im Markt; diese sind jedoch nicht immer zuverlässig. Für in Europa zu installierende Module sollten daher glaubhafte europäische Zertifikate vorgelegt werden müssen, die neben der Qualität auch den CO2-Fußabdruck sämtlicher Komponenten in den Blick nehmen.
Begrenzte Anlagengröße ist ein unnötiger Hemmschuh
Daneben muss auch der Ausbau der Solaranlagen selbst deutlich beschleunigt werden. Neben der Erhöhung der Ausschreibungsmengen spielt dabei auch die Ausweitung der zulässigen Anlagengröße eine wichtige Rolle. Für Deutschland sieht das überarbeitete Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eine Verdopplung dieser Größe von 10 auf 20 Megawatt vor.
Wenngleich dieser Schritt zu begrüßen ist, handelt es sich nach wie vor um eine willkürlich festgelegte Grenze. Erfahrungen aus anderen Ländern und außerhalb des EEG-Regimes zeigen, dass große Solarparks deutlich effizienter und kostengünstiger sind. Statt auf pauschale bundesweite Größenbeschränkungen zu setzen, sollte daher auf die Situation vor Ort Rücksicht genommen und auf das Urteilsvermögen der lokalen Genehmigungsbehörden vertraut werden.
Weitere Investitionsbarrieren für die Erneuerbaren-Industrie wie der erschwerte Zugang zu erschwinglichen Bauflächen oder günstigem Strom, müssen zeitnah beseitigt, regionale Lieferketten müssen aufgebaut und die finanzielle Unterstützung durch die Europäische Investitionsbank und andere öffentliche Geldgeber für die Herstellung von Solarmodulen und für den Ausbau sauberen Stromerzeugung müssen ausgebaut werden. All diese Punkte stehen im Green Deal der Europäischen Kommission. Er ist damit Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Transformation.
Mit einer gemeinsamen
Anstrengung von politischen Entscheidungsträgern, Regulierern und der
Industrie können wir eine gerechte Energiewende gestalten – mit Hilfe bewährter
Fördermechanismen und vorhandener industrieller Kapazitäten, die allerdings
stark ausgeweitet werden müssen, aber auch mit zahlreichen neuen Initiativen. Europa und auch die europäische Solarindustrie können
aus der aktuellen Krise stärker und widerstandsfähiger als je zuvor hervorgehen.