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Energie & Klima

Standpunkte Solarkrise trotz Zubaurekord

Peter Knuth, Mitgründer und Geschäftsführer von Enerix
Peter Knuth, Mitgründer und Geschäftsführer von Enerix Foto: Enerix

Der Solarboom ist erst einmal vorbei, meint Peter Knuth von Enerix in seinem Standpunkt. Der Nachfrageüberhang aus der Energiekrise sei abgebaut, 2024 werde deshalb weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. Die Bundesregierung müsse die Branche stützen, um ihre Ziele zu erreichen, unter anderem durch Schutz vor Dumping und einen Resilienzbonus.

von Peter Knuth

veröffentlicht am 13.02.2024

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Anfang des Jahres hat der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) in einer euphorischen Pressemitteilung verkündet: Eine Million neu installierter Photovoltaikanlagen allein im Jahr 2023! Die Energiewende schreitet ungehindert voran!

2023 wurden demnach über 14 Gigawatt Solaranlagenleistung installiert. Für 2024 sieht der Bundesverband einen anhaltenden Boom voraus. Hört man sich aber aktuell unter den Akteuren in der Solarbranche um und verfolgt die Entwicklung der Modulhersteller, stellt sich die Situation ganz anders dar. Hier spricht man eher von einer zweiten Solarkrise. Noch liegen keine summarischen Zahlen vor, aber alles deutet auf eine deutlich schlechtere Entwicklung hin. Was hat den Markt in den letzten zwei Jahren boomen lassen und warum steht er jetzt wieder vor einem Einbruch?

Verunsicherung war Treiber für den Solarboom in 2023 

Zum Jahresbeginn 2022 erhöhten die Energiekonzerne ihre Strompreise zum Teil drastisch, was die Nachfrage nach einer solaren Eigenversorgung stark ansteigen ließ. Das Thema Energieversorgung gewann zusätzlich mit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine an Bedeutung. Große Angst ging in der Bevölkerung um, wie es um eine sichere und bezahlbare Energieversorgung bestellt ist. Wer ein eigenes Haus und damit über ein eigenes Dach verfügte, kam schnell auf den Gedanken, sich mit einer Solaranlage selbst zu versorgen.

Die Folge war ein regelrechter Nachfrageboom, den die Solarbranche selbst in den besten Jahren mit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht erlebt hatte. Anbieter von Solaranlagen wurden mit Kundenanfragen überschwemmt und viele Interessenten mussten aufgrund von Kapazitätsengpässen bei Material und Personal abgewiesen werden. Die Situation wurde zusätzlich durch Lieferengpässe von Elektronikbauteilen aus Fernost erschwert, die für die Herstellung von Speicher und Wechselrichter nötig sind. Kunden mussten sich auf Wartezeiten bis zu einem Jahr einlassen. 

Wie in der ersten Boomphase der Solarbranche in den Jahren 2003 bis 2010 war das Interesse nicht nur bei den Endkunden groß. Zahlreiche Newcomer stiegen aufgrund der großen Nachfrage und dem vermeintlich einfachen Geschäft in die Solarbranche ein.

Der deutsche Solarboom blieb auch chinesischen Herstellern nicht verborgen. Das Angebot chinesischer Produkte – Module, Wechselrichter und Speicher – schnellte in die Höhe und durch die allgemeine Materialknappheit konnte nahezu jedes Material verkauft werden, egal wo es mit welcher Qualität hergestellt wurde.  

Die Solarbranche startete 2023 mit vollen Auftragsbüchern und nahezu das gesamte Jahr waren die Akteure mit den Altaufträgen beschäftigt, was letztlich zu dem Rekordzubau geführt hat. Die hohen Zubauzahlen, die der Bundesverband veröffentlicht hat, rühren somit aus einem Auftragsüberhang aus 2022 und nicht aus einem anhaltend hohen Interesse in der Bevölkerung. 

Nach der Energiekrise ist vor der Solarkrise

Weil jeder Marktteilnehmer auf Wachstum und auf einen anhaltenden Boom eingestellt war, wurde weiterhin Material bestellt und Personal rekrutiert. Aufgrund der verbesserten Liefersituation füllten sich die Lager in Rotterdam mit chinesischen Modulen, aber auch bei den Solargroßhändlern und Installationsbetrieben. Ab der Jahresmitte ging die Nachfrage und damit die Anzahl der Neuaufträge merklich zurück. Hauptursache war, dass die Energiepreise sich wieder auf ein normales Niveau eingependelt hatten und die Angst in der Bevölkerung schwand. Hinzu kam, dass die Finanzierungszinsen von unter einem auf über vier Prozent anstiegen, was zusätzlich die Wirtschaftlichkeit einer Photovoltaikanlage schwinden ließ. 

Wenn aktuell von einer Krise gesprochen wird, dann hat es primär damit zu tun, dass die Nachfrage sich wieder auf das Niveau vor dem Kriegsbeginn und der vermeintlichen Energiekrise eingestellt hat. Jedoch hat sich die Anzahl der Akteure sowohl bei den Anbietern von Komponenten vielmehr noch bei den Installateuren erhöht. Neben den mit Wachstumskapital vollgepumpten Startups sind in den vergangenen 24 Monaten auch viele neue Installationsbetriebe aus dem Boden geschossen, die nun alle um die zurückgehende Anzahl von Kunden kämpfen. 

Bei den deutschen Modulherstellern wirkt sich der Nachfragerückgang noch drastischer aus. Hatten sie bisher einen sicheren Marktanteil, so ist dieser in den vergangenen Jahren immer kleiner geworden. Zwischenzeitig kommt fast 90 Prozent der Komponenten aus Fernost. In der jetzigen Situation mit massiven Überkapazitäten und schwindenden Preisen können sie gegen die chinesische Übermacht und das Preisdumping nichts ausrichten.

Man stellt sich die Frage, warum chinesische Module aber so viel günstiger angeboten werden können. Das liegt vorrangig daran, dass die Rahmenbedingungen chinesischer Hersteller ganz andere sind als für Hersteller, die in Europa produzieren. Während deutsche Hersteller nach europäischen Auflagen produzieren, sind chinesische Hersteller davon nicht belastet und können trotzdem ohne Einfuhrzölle ihre Module in die EU importieren und verkaufen.

Um die europäische Energiewende voranzutreiben, wurden Zollgesetze von der EU ins Leben gerufen, die für eine erleichterte Einfuhr außereuropäischer Solarkomponenten sorgen sollten – zum Nachteil deutscher Hersteller. Dabei bezieht sich die Zollregelung aber nicht auf Halbzeuge, die deutsche Hersteller im Nicht-EU-Ausland einkaufen, diese unterliegen einem Einfuhrzoll. Ein Problem, das die EU-Kommission seit Jahren kennt, aber nichts dagegen unternimmt.

Der Markt fällt wohl unter zehn Gigawatt

Seitens der Bundesregierung ist ein Zubau für 2024 von 13 GW geplant. Vor den Rekordzahlen aus dem Vorjahr könnte man optimistisch in die Zukunft blicken. Mit den derzeitigen Rahmenbedingungen sollte man aber eher davon ausgehen, dass der Markt wieder unter die  Zehn-GW-Marke fällt. Denn anders als im vergangenen Jahr startet die Solarbranche nicht mit üppig gefüllten Auftragsbüchern. Es fehlen die Impulse für den Hausbesitzer, jetzt auf Solar und Eigenversorgung umzustellen. Ein günstiger Solarkredit wie der „100.000 Dächer KfW-Kredit“, den es Anfang der 2000er gab oder eine Erhöhung der Einspeisevergütung, könnten Abhilfe schaffen.

Die Bundesregierung täte zudem gut daran, bei der Energiewende nicht nur die Ausbauzahlen als Ziel zu haben, sondern auch den Anteil europäischer Produkte. Die deutsche Energiewende ausschließlich mit Nicht-EU-Produkten umzusetzen, führt Deutschland in die nächste Abhängigkeit.

Was europäische Hersteller brauchen, ist ein Schutz vor Preisdumping und Impulse für die Wiederansiedlung von Forschung und Produktion. Hier könnte der von Habeck diskutierte Resilienz-Bonus für deutsche Produkte entscheidend sein, bei dem die Betreiber eine höhere Einspeisevergütung erhalten oder die Wiedereinführung günstiger Solarkredite zur Finanzierung der Projekte.

Peter Knuth ist Geschäftsführer und Mitgründer von Enerix, einem Komplettanbieter von Photovoltaikanlagen. Er ist seit 2002 in der Branche tätig.

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