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Energie & Klima

Standpunkte Nach der 1,5-Grad-Schwelle: Warum die Klimatechnologie jetzt erst recht durchstartet

Jan Lozek, Managing Partner und Gründer, Future Energy Ventures
Jan Lozek, Managing Partner und Gründer, Future Energy Ventures Foto: Foto: Moritz Leisen

Das Überschreiten der 1,5-Grad-Marke Anfang 2025 markiert einen Wendepunkt für die Klimatechnologiebranche. Statt eines befürchteten Endes der Klimatechnologie könnte dieser Moment zum Katalysator für beschleunigte Innovation und Investitionen werden, argumentiert Jan Lozek von Future Energy Ventures.

von Jan Lozek

veröffentlicht am 04.02.2025

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Als die ersten Klimaforscher in den 1980er Jahren vor einer globalen Erwärmung warnten, erschien das Szenario einer Welt jenseits der 1,5-Grad-Marke noch wie eine ferne Dystopie. Vier Jahrzehnte später ist diese Dystopie Realität geworden. Anfang 2025 wurde die schmerzhafte Gewissheit offiziell: Die globale Durchschnittstemperatur hat die im Pariser Klimaabkommen festgelegte 1,5-Grad-Marke überschritten. Ein historischer Moment, der Climate Tech weltweit vor existenzielle Fragen stellt.

Die Klimakrise ist keine hypothetische Bedrohung mehr – sie ist Realität. Die Frage ist nicht mehr, ob wir ambitionierte Ziele erreichen können, sondern wie wir uns an die bereits irreversiblen Veränderungen anpassen müssen. Diese Erkenntnis markiert einen fundamentalen Perspektivwechsel in der Climate-Tech-Landschaft. Während die öffentliche Debatte zwischen Resignation und verzweifeltem Optimismus schwankt, zeichnet sich in der Branche ein pragmatischer Paradigmenwechsel ab.

Das Überschreiten der 1,5-Grad-Schwelle läutet das Zeitalter der Resilienz ein. Die Klimatechnologie steht vor der doppelten Aufgabe, einerseits Lösungen für die Anpassung an den Klimawandel zu entwickeln und andererseits die Transformation hin zur Klimaneutralität weiter voranzutreiben. Die Zahlen geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus: Erneuerbare Energien decken mittlerweile 59 Prozent der deutschen Stromerzeugung ab. Besonders beeindruckend: Die installierte Leistung erneuerbarer Energien ist 2024 um fast 20 Gigawatt auf knapp 190 Gigawatt gewachsen, was einem Zuwachs von 12 Prozent entspricht.

Emissionen senken, Anpassungsfähigkeit steigern

Für die Investment-Landschaft bedeutet dies eine strategische Neuausrichtung. Es geht nicht mehr nur darum, neue Technologien zu entwickeln. Vielmehr müssen bestehende Lösungen skaliert und für eine sich erwärmende Welt optimiert werden. Künstliche Intelligenz spielt dabei eine zunehmend wichtige Rolle als Beschleuniger der Energiewende: Sie ermöglicht die Integration und Optimierung dezentraler Energiequellen und macht Netze effizienter. Die Zukunft der Climate Tech liegt in der Verbindung von Emissionsreduktion und Anpassungsfähigkeit. Besonders gefragt sind Software-Lösungen, die Individuen und Unternehmen befähigen, ihren ökologischen Fußabdruck zu managen und sich gleichzeitig an veränderte Klimabedingungen anzupassen.

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für diese Transformation sind allerdings herausfordernd: Für 2025 wird nur ein moderates Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent erwartet – deutlich weniger als ursprünglich prognostiziert. Dies hat in der Öffentlichkeit zu Spekulationen über ein mögliches Ende des Climate-Tech-Booms geführt. Doch diese Sichtweise verkennt den fundamentalen Wandel der Branche: Statt eines „Todes“ der Klimatechnologie erleben wir ihre Evolution – weg von reiner Emissionsvermeidung, hin zu einem ganzheitlichen Ansatz aus Vermeidung, Anpassung und Resilienz.

Interessanterweise treibt die KI-Revolution diese Entwicklung zusätzlich voran: Der immense Energiebedarf von KI-Systemen katalysiert Investitionen in grüne Energietechnologien und beschleunigt Innovationen im Energiesektor. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung noch enger zu verzahnen.

Schritt über die 1,5-Grad-Schwelle als Katalysator

Das Überschreiten der 1,5-Grad-Schwelle könnte paradoxerweise genau der Katalysator sein, den die Branche braucht. Es verstärkt die Dringlichkeit für Investitionen in Klimatechnologien und schafft neue Märkte für Anpassungslösungen. Die Herausforderung liegt nun darin, diese Dynamik zu nutzen, um sowohl technologische Innovation als auch praktische Implementierung zu beschleunigen.

Für die Energie- und Klimapolitik bedeutet dies, dass der regulatorische Rahmen beide Aspekte – Klimaschutz und Klimaanpassung – gleichermaßen berücksichtigen muss. Insbesondere die Integration von KI-Technologien in Energienetze und -systeme erfordert neue regulatorische Ansätze, die Innovation fördern und gleichzeitig Nachhaltigkeit sicherstellen. Die aktuellen Zahlen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zeigen, dass Deutschland auf einem guten Weg ist: Im ersten Quartal 2024 wurde bereits ein Rekordanteil von knapp 63 Prozent bei der öffentlichen Nettostromerzeugung aus erneuerbaren Energien erreicht.

Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von Momenten der Krise und der darauffolgenden Innovation. Die industrielle Revolution brachte Wohlstand, aber auch die Klimakrise. Nun steht die Gesellschaft vor der Aufgabe, die nächste große Transformation zu gestalten – eine, die Wohlstand und Nachhaltigkeit vereint. Die Überschreitung der 1,5-Grad-Schwelle ist dabei nicht das Ende des Weges, sondern der Beginn einer neuen Ära der Innovation.

Die Technologien, die heute entwickelt werden, die Investitionen, die heute getätigt werden, und die Entscheidungen, die heute getroffen werden, beeinflussen, wie resilient und nachhaltig die Welt von morgen sein wird. Das Überschreiten der 1,5-Grad-Marke ist ein Weckruf – aber auch eine Chance, gemeinsam eine neue Vision für unsere Zukunft zu entwickeln und zu verwirklichen.

Fünf vielversprechende Technologiefelder

Der Weg in diese Zukunft erfordert konkrete Handlungsschritte und neue Investitionsschwerpunkte. Während sich Climate-Tech-Investments bisher hauptsächlich auf Emissionsvermeidung konzentrierten, rücken nun Anpassungstechnologien in den Fokus. Fünf Technologiefelder sind dabei besonders vielversprechend:

· KI-gestütztes Klimarisikomanagement, das beispielsweise vulnerable Infrastrukturen identifiziert und Ressourcen bei Extremwetterereignissen vorausschauend allokiert

· Intelligente Wassermanagement-Systeme, die durch innovative Entsalzungs- und Aufbereitungsprozesse den Energieverbrauch um bis zu 80 Prozent reduzieren

· Klimaresiliente Landwirtschaftstechnologien wie trockenheitsresistente Nutzpflanzen und vertikale Farmen, die signifikant weniger Wasser verbrauchen

· Adaptive Infrastrukturtechnologien wie CO2-negativer Beton

· KI-gestützte Frühwarnsysteme, die die Vorhersagegenauigkeit von Extremwetterereignissen um 40 Prozent verbessern

Diese Anpassungstechnologien ergänzen die klassischen Klimaschutztechnologien wie intelligente Energiemanagementsysteme, innovative Speicherlösungen und digitale Plattformen für Ressourceneffizienz. KI-gestützte Systeme spielen in beiden Bereichen eine Schlüsselrolle: Sie optimieren Energieflüsse, prognostizieren Bedarfe präziser und ermöglichen eine effizientere Nutzung erneuerbarer Energien. Prognosen zeigen, dass KI-getriebene Lösungen bis 2030 etwa 65 Prozent aller neuen Climate-Tech-Ventures ausmachen werden. Gleichzeitig müssen regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die diese Investitionen absichern und beschleunigen. Die öffentliche Hand sollte dabei als Enabler auftreten, der durch gezielte Förderung und kluge Regulierung Innovationen den Weg ebnet.

Der Klimawandel kennt keine nationalen Grenzen – und auch die Lösungen müssen global gedacht werden. Deutschland hat mit seiner Branchenstärke in der Klimatechnologie und dem beeindruckenden Ausbau erneuerbarer Energien eine Vorreiterrolle inne. Diese Position bringt Verantwortung mit sich: Deutsche Unternehmen und Investoren müssen ihre Expertise und Technologien international verfügbar machen und gleichzeitig von globalen Innovationen lernen. Nur durch intensive internationale Zusammenarbeit und den gezielten Transfer von Technologie und Wissen können die gewaltigen Herausforderungen der Post-1,5-Grad-Welt bewältigt werden.

Jan Lozek ist Managing Partner und Gründer von Future Energy Ventures, einem deutschen Venture-Capital-Investor im Bereich Climate Tech.

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