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Energie & Klima

Standpunkte Nach der Strategie ist vor der Umsetzung

Kirsten Westphal, Mitglied der Hauptgeschäftsführung, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft
Kirsten Westphal, Mitglied der Hauptgeschäftsführung, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft Foto: BDEW

Die Importstrategie für Wasserstoff und seine Derivate hat das Bundeskabinett passiert. Das ist ein wichtiges Signal für den Hochlauf in Deutschland, aber auch für die europäischen Nachbarn sowie potenzielle Exportländer, kommentiert Kirsten Westphal vom BDEW.

von Kirsten Westphal

veröffentlicht am 25.07.2024

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Das Zielbild ist klar: Klimaneutralität bis 2045. Wir können den Schalter aber leider nicht einfach umlegen. Heute basiert unser Primärenergieverbrauch noch zu mehr als 75 Prozent auf Molekülen, also auf den fossilen Energiequellen Kohle, Öl und Erdgas. Deren Anteil wird während der Transformation signifikant sinken, aber wo, wie schnell, wie stark und mit welchen Sprüngen, ist ungewiss. Vielmehr ist der Umbau ein Prozess, den entlang der Liefer-, Logistik- und Wertschöpfungskette viele Akteure synchron und parallel mitgestalten müssen, im Vertrauen darauf, dass alle auf ein Ziel hinwirken. Dass der Schalter nicht einfach umgelegt werden kann, bedeutet dann eben auch, dass Versorgungssicherheit gewährleistet werden muss, ohne die konventionelle Energieversorgung zu verlängern und gleichzeitig zu transformieren.

Der Weg muss das Ziel sein

Wir sind beim Wasserstoff mit viel Idealismus gestartet und das ist auch richtig. Er ist kein Selbstzweck, sondern ein wichtiges Instrument, um die Energieversorgung und unser Wirtschaftssystem auf Klimaneutralität hin umzubauen. Die Herausforderungen sind aber in den letzten Monaten sehr deutlich geworden: Eine lange, komplexe Wertschöpfungskette muss aufgebaut werden – bei Importen über Landesgrenzen hinweg. Anspruchsvolle technische Anlagen müssen errichtet und skaliert werden. Und zudem ist das Produkt teurer als konventionelle Alternativen. Langfristig gilt: Die Kosten müssen runter, eine dauerhaft subventionierte Kette birgt keine nachhaltigen Geschäftsmodelle. Für den Start aber braucht es staatlichen Anschub - und mehr Realismus.

Mehr Realismus heißt, sich die Ausgangssituation zu vergegenwärtigen. Die Herausforderungen beim Aufbau der Liefer- und Wertschöpfungskette sind, was Chancen- und Risikoverteilung, aber auch die Koordination und Synchronizität angeht, enorm. Deswegen ist der Fokus auf die Midstreamer und Importeure so wichtig. Sie sind es, die Langfristverträge schließen, Importe realisieren und die die Bedarfe der Abnehmer in der Menge, der Form und dem Zeitverlauf decken müssen. Ihre Rolle beim Aufbau und für das Funktionieren des Marktes muss über Risikoabsicherung und Garantien unterstützt werden.

Die Importstrategie stellt zu Recht heraus, dass es sich bei Wasserstoffpartnerschaften nicht schlicht um reine Lieferbeziehungen, sondern komplexe Technologie- und Energiepartnerschaften handelt. Vor allem aber sind sie Neuland – oder anders gesagt, niemandes Kerngeschäft. Das heißt, es braucht ein neues Maß an Inklusivität, Konsortialfähigkeit und Teamgeist: Importeure, aber auch Entwickler, Projektierer, Erneuerbaren Anlagenbauer, ebenso wie Finanz- und Kapitalgeber müssen neues Terrain betreten. In der neuen Welt der Molekülimporte braucht es Konsortialfähigkeit über Branchen hinweg und einen integrierten Angang, um die Versorgung mit Molekülen zu sichern und gleichzeitig zu transformieren; mit bewährten und neuen Partnerländern.

Wasserstoffhochlauf in der Zeitenwende

Die Energiewende in der Zeitenwende vorantreiben – das ist die Aufgabe für die verbleibende, aber auch die kommenden Legislaturperioden. Die Klimakrise mit der neuen Weltunordung“ politisch und wirtschaftlich zu verknüpfen und zu adressieren, bedeutet vor allem eines: Ein Zurück in die alten Zeiten kann und wird es nicht geben. Der Weg nach vorne muss die geopolitische Situation ebenso berücksichtigen wie die harte internationale Konkurrenz um Wertschöpfung und die Auswirkungen des Klimawandels. Es ist die richtige Leitidee, dass Wasserstoff uns helfen kann, resilienter zu werden, neue Wertschöpfung aufzubauen sowie Schlüsselbranchen und den industriellen Mittelstand zu halten.

Der Realismus gebietet aber auch, dass wir uns dann für den Start nicht zu viel aufladen. Primäres Ziel muss es im Rahmen der Importstrategie sein, Importe zu realisieren. Eine Überfrachtung mit Nebenzielen erschwert das. Es hilft zudem, wenn unsere Transformationspfade, unsere Kriterien für die neuen Energieträger und die Zertifizierungssysteme international anschlussfähig sind. Mehr noch, wenn es uns gelingt, diese als Leitnormen und -standards international zu setzen, leistet das dem Mengenhochlauf und der Technologieführerschaft Vorschub.

Indes sind die heutigen Regeln für grünen Wasserstoff und seine Derivate international de facto kaum umsetzbar oder sehr exklusiv. Einmal geförderter Wasserstoff (wie etwa in den USA) kann nicht mehr als „flüssiger oder gasförmiger erneuerbarer Kraftstoff nicht biogenen Ursprungs“ (RFNBO) gehandelt werden. Die Auflage, dass ein effektives Emissionshandelssystem in dem Land funktionieren muss, um CO2 Quellen nutzen zu können oder die Existenz einer Stromgebotszone, um Grünstrom aus dem Netz zu beziehen, schließen viele Partnerländer bereits von vornherein aus. All das macht es für Deutschland und die EU nicht nur teurer, sondern es erschwert gemeinsame Transformationsstrategien.

Nachhaltige Importpartnerschaften

Die Definitionen für den kohlenstoffarmen Wasserstoff und seine Derivate werden gerade erarbeitet. Kohlenstoffarmer Wasserstoff muss 70 Prozent weniger Emissionen als die fossile Alternative aufweisen. Das an sich ist schon eine hohe Hürde, die sauberste und beste Technologien voraussetzt. Dass aber noch strenge Anforderungen wie die Einbeziehung aller Vorkettenemissionen einbezogen werden sollen, schafft nicht nur hohe Aufwände für Zertifizierungssysteme, sondern könnte zügige Importe fast verunmöglichen. Es braucht Übergangszeiträume und für den Start dürfen die Kriterien nicht so hochgezogen werden, dass wichtige Lieferländer von vorneherein ausgeschlossen werden.

Apropos Lieferländer. Das erklärte Ziel ist Diversifizierung der Lieferanten. Aber die Bundesregierung wird nicht umhinkommen, zu Beginn zu priorisieren. Es braucht Kriterien wie politische und geographische Nähe, Stärkung des Binnenmarktes und eines gesamteuropäischen Energieraums, aber auch den Blick auf Skalierung und schlicht die Füllung von Korridoren und Terminals mit Molekülen aus erneuerbarer und kohlenstoffarmer Produktion. „Staatskunst“ und politische Führungskraft sind notwendig, um nachhaltige Partnerschaften für die Importe von Molekülen weiterzuführen, um- oder neue aufzubauen. Um Konsortien und Partnerschaften zu schmieden, braucht es ein Miteinander von Wirtschaft und Politik.

Es ist ja richtig, dass die neuen Energiepartnerschaften den klima- und energiepolitischen Zielen verpflichtet sind, dass die Energiearmut vor Ort und soziale Akzeptanz entlang der Kette sowie die nachhaltigen Entwicklungsziele der UN adressiert sind. Diese Ziele können jedoch nur im Rahmen politischer Flankierung mit den jeweiligen Regierungen erfolgen. Das kann nicht auf der Ebene konkreter Projekte angesiedelt und realisiert werden. Individuelle Joint Ventures und Projekte werden damit überlastet.

Viele Puzzlesteine und auch ein Rahmen

Schließlich braucht es für die Umsetzung auch einen kohärenten Gesetzesrahmen. Zahlreiche Regulierungen, Beschleunigungen und Förderungen wurden in den letzten Monaten beschlossen. Die Summe aller Maßnahmen ergibt aber noch nicht einen „schlagkräftigen und zukunftsweisenden“ Gesetzesrahmen. Um Vertrauen in den Hochlauf zu unterlegen, wäre es an der Zeit, über ein Wasserstoff-(Import)-Gesetz (H2G) nachzudenken.

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