Die Signale sind nicht zu übersehen: Vor den Toren Berlins wächst mit der Fabrik von Tesla eine der größten Industrieansiedlungen der letzten Jahre in einem rasanten Tempo. VW investiert ebenfalls Milliarden in den Umbau der europäischen Standorte, um sie für die Elektromobilität fit zu machen. Die Transformation der Automobilindustrie ist in vollem Gange. Doch nicht nur die Automobilbranche rüstet sich fürs Zeitalter der E-Mobilität. Die deutsche Industrie insgesamt ist im Wandel begriffen – und diese ökologische Strukturentwicklung ist auch unerlässlich.
Alle deutschen Automobilhersteller und auch ausländische Firmen investieren in große Batteriezellfabriken bei uns. Die Windbranche ist nach den deutlichen Einbrüchen zwischen 2017 und 2019 wieder auf einem leichten Erholungskurs. Die Photovoltaik-Industrie erlebt ein zartes Comeback, sichtbares Zeichen sind die Investitionen von Meyer Burger in neue Fertigungskapazitäten. Medizin- und Biotech boomen ebenfalls, so produziert auch beispielsweise das Unternehmen Biontech in Deutschland und Europa. Der klimafreundliche und hochautomatisierte Holzbau steht vor einem Boom und verlässt die Einfamilienhaus-Nische.
Den Strukturwandel zu gestalten, bleibt weiterhin eine große Herausforderung im Automobilbereich – vor allem für die Zuliefererindustrie. Aber so wie das analoge Telefon von der digitalen Welt verdrängt wurde, wird sich der Verbrenner auch nur noch eine beschränkte Zeit am Markt halten können. Deswegen ist es so wichtig, dass, anders als in der Vergangenheit, der industrielle Strukturwandel bei uns stattfindet, neue Produktionsstätten entstehen und alte umgebaut werden.
Keine Industrie kann sich dem Megatrend Klimaschutz entziehen
Es gilt für alle Branchen: Fast allen Investoren und Unternehmen ist klar, dass sie nur dann eine Zukunft haben, wenn Produktion und Konsum nicht länger das Klima schädigen. Diesem Megatrend kann sich niemand entziehen. Die industrielle Produktion in Deutschland wird sich also nur dann halten können, wenn sie klimafreundlich erfolgt.
Wir haben in den letzten zehn Jahren große Fortschritte bei Wind- und Photovoltaik gesehen. Die Kosten sind deutlich gesunken und die Effektivität gestiegen – und noch ist kein Ende dieser Entwicklung abzusehen. Während Deutschland mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) Pionier dieser Entwicklung war, wurden wir bei der Energiespeicherung, dem notwendigen Zwilling des Ausbaues der Erneuerbaren, von vielen anderen Ländern überholt und kämpfen uns jetzt an die Weltspitze zurück. Beim Wasserstoff gibt es allerdings noch eine Chance, derartige Umwege zu vermeiden.
Eines ist klar, die energieintensive Grundstoff- und Chemieindustrie wird sich in Europa und Deutschland nur halten können, wenn wir Photovoltaik sowie Wind onshore und offshore massiv ausbauen. Damit verbunden wird eine sehr stark steigende Elektrifizierung sein – was auch die Ansiedelungsentscheidung von Tesla zeigt. Das Unternehmen hat sich unter anderem deshalb für Brandenburg entschieden, weil das Land viel erneuerbaren Strom erzeugt. Das heißt aber auch ganz klar: Wir brauchen deutlich mehr Strom und dieser muss zwingend aus erneuerbaren Energien kommen. Das bedeutet, die erneuerbaren Energien sind weiter auszubauen.
Um die Elektrifizierung zu steigern, brauchen wir neben der besseren Nutzung der Stromnetze durch Digitalisierung und Netzmonitoring dringend den Netzausbau und physikalisch zwingend auch Speicher und Wasserstoff als Langzeitspeicher. Schneller Netzausbau würde helfen, die hohen Summen an Entschädigungen vor allem für Windkraftanlagenbetreiber zu reduzieren, die die Einspeisung des Stroms aufgrund von Netzengpässen abregeln müssen, was die Kosten für den EE-Strom unnötig ansteigen lässt.
Das EEG muss reformiert werden – aber die Union mitspielen
Das System der Steuern, Abgaben und Umlagen muss zudem dringend reformiert werden. Alle reden über CO2-Preise, aber wenige haben verstanden, dass die EEG-Umlage das größte Hemmnis für die klimafreundliche Sektorenkopplung ist.
Die SPD hat dies erkannt. Die SPD hat auch erkannt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien sehr viel stärker vorangetrieben und dafür die Akzeptanz gesteigert werden muss. Dabei gilt, was auch bei Tagesspiegel Background bereits vergangenes Jahr veröffentlicht und dazu berichtet wurde.
Einige Teile der SPD-Positionen konnten bereits in der EEG-Novelle im Dezember umgesetzt werden. Parallel wurde seinerzeit ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen beschlossen, der weiter anstehende Fragen thematisiert. Jetzt steht im Bundestag die Umsetzung des Entschließungsantrages an und es ist völlig offen, ob CDU/CSU es inhaltlich ernst meinen und nach dem Abgang Georg Nüßleins und den Berichterstattungen über Nebentätigkeiten Joachim Pfeiffers ihr Verhandlungsteam neu aufstellen oder das Thema bis auf nach der Bundestagswahl verschieben wollen.
Eigentlich bleibt keine Zeit zu verlieren. Sind die Hemmnisse beseitigt, besteht die Möglichkeit, Investitionen in den ökologischen Strukturwandel zu generieren, so dass der notwendige Klimaschutz gelingen kann. Durch den beschriebenen technischen Fortschritt wird vieles besser und kostengünstiger. Die Unternehmen in der Region Berlin-Brandenburg, ja in ganz Deutschland, warten dringend auf dieses Signal. Sie werden wenig Verständnis dafür haben, wenn die notwendigen Entscheidungen auf die Zeit nach der Wahl vertagt werden. An der SPD wird es nicht liegen, sie hat die Signale gehört.
Jörg Steinbach (SPD) ist seit 2018 Minister für Wirtschaft und Energie in Brandenburg, seit 2019 verantwortet er zudem das Arbeitsressort. Zuvor war er unter anderem Präsident der TU Berlin und der BTU Cottbus-Senftenberg.
Klaus Mindrup ist seit 2013 Abgeordneter für Berlin-Pankow und Umweltexperte der SPD-Bundestagsfraktion.