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Energie & Klima

Standpunkte Plädoyer für eine Entbürokratisierung im Wasserstoffbereich

Dirk Güsewell ist Vorstandsmitglied und Chief Operating Officer Systemkritische Infrastruktur und Kunden beim Energieversorger EnBW
Dirk Güsewell ist Vorstandsmitglied und Chief Operating Officer Systemkritische Infrastruktur und Kunden beim Energieversorger EnBW Foto: EnBW/Fotografin Catrin Moritz

Der Wasserstoffhochlauf in Europa lahmt, die Kosten sind weiterhin zu hoch. Statt auf Vereinfachungen, setze die EU aber auf detaillierte und strenge Vorgaben für erneuerbaren und kohlenstoffarmen H2, bemängelt EnBW-Vorstandsmitglied Dirk Güsewell. Er fordert von der EU mehr Pragmatismus – auch zur Stärkung der globalen Wettbewerbsposition auf der Nachfrageseite.

von Dirk Güsewell

veröffentlicht am 14.02.2025

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Seit letztem Jahr wird zunehmend deutlich, dass die Produktion von Wasserstoff (H2) in der EU nicht in die gewünschte und politisch beabsichtigte Hochlaufphase kommt. Von den Zielwerten für 2030 sind Abweichungen von mehr als 90 Prozent festzustellen.

Derzeit ist deutlich unter ein Gigawatt (GW) Elektrolyseurkapazität in den EU-Mitgliedsländern installiert. Die EU-Ambition ist es aber bis 2030 – in nur fünf Jahren also – eine installierte Leistung von 62 GW zu erreichen. Doch das wird kaum machbar sein, auch, weil die Realisierung vieler Vorhaben noch ungewiss ist. Lediglich 1,5 Prozent der Elektrolyseprojekte hatten im November 2024 den Reifegrad einer finalen Investitionsentscheidung.

Im Bereich der H2-Volumina und des Verbrauchs liegt die Zielmarke von 20 Millionen Tonnen erneuerbarer H2 für 2030 mittlerweile so weit entfernt vom Anspruch, dass sich die EU-Kommission selbst von dem Wert distanziert. Ihre Begründung: Sie bezeichnete das Ziel als eine politische Ambition, die aus der Gaskrise 2022 geboren wurde. Die in 2024 verbrauchten H2-Volumina innerhalb der EU sind heute immer noch zu 99,7 Prozent fossilen Ursprungs.

Als Konsequenz des lahmenden Hochlaufs von erneuerbarem und kohlenstoffarmem H2 findet auch keine Kostendegression statt, weshalb die Preise für klimafreundlichen Wasserstoff weiterhin um ein Vielfaches höher liegen als für die fossile Variante. Diese Entwicklung ist Gift für die Investitionssicherheit für Wasserstofferzeugung, -transport und -anwendungen, sei es aus Sicht der Industrie oder der Energiewirtschaft.

EU-Regeln für Wasserstoff als Bremsklotz für den Hochlauf

Für den schleppenden Wasserstoffhochlauf gibt es mehrere Gründe. Zum einen der erhöhte Leitzins in der Eurozone und die entsprechend schwierigere Finanzierung. Ebenfalls sind die im Vergleich zur Situation vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine höheren Strompreise anzuführen. Beides makroökonomische Bedingungen, die aus Sicht von Elektrolyse-Projektierern nur beschränkt beeinflussbar sind. Anders gestaltet sich die Situation hinsichtlich des gesetzlichen Rahmens für erneuerbaren und kohlenstoffarmen Wasserstoff.

Die Vorgaben, die für erneuerbaren Wasserstoff vor circa drei Jahren auf EU-Ebene verabschiedet wurden, stellen sich in der Praxis als einer der größten Hemmschuhe für den Hochlauf heraus. Genannt sei hier beispielhaft die Additionalitätsvorgabe, welche die Produktion nur aus solchen erneuerbaren Stromquellen erlaubt, die für diesen Zweck zusätzlich errichtet wurden. Bereits existierende und unter Umständen bereits teilamortisierte erneuerbare Stromerzeugungsanlagen dürfen nicht verwendet werden.

Dass damit für die Herstellung von erneuerbarem H2 nur die teuersten Erzeugungsanlagen verwendet werden dürfen, trägt nicht zur Wirtschaftlichkeit bei. Zahlreiche Vorgaben führen zu einer Angebotsverknappung und verteuern erneuerbaren H2 zusätzlich.

Während die Definition und Kriterien für erneuerbaren H2 bereits feststehen und den Hochlauf effektiv abbremsen, arbeitet die EU-Kommission aktuell an Kriterien für kohlenstoffarmen H2. In einem ersten Entwurf des sogenannten delegierten Rechtsaktes für kohlenstoffarmen H2 vom September scheint die EU-Kommission ihren regulatorischen Ansatz duplizieren zu wollen. Konkret bedeutet das kleinteilige und restriktive Vorgaben, als gälte es nicht einen neuen Markt zu erschließen, sondern einen vollends ausgereiften Markt abschließend zu regulieren.

Während die Kommissionspräsidentin in ihrem Wettbewerbskompass die Entfesslung des europäischen Industriepotenzials durch Entbürokratisierung beschwört, wird beim H2 versucht, den Markthochlauf durch möglichst große Detailsteuerung zu erschließen. Einer der Gründe der Kommission ist dabei, dass bei der Herstellung auf Systemebene verhindert werden soll, dass mehr Emissionen generiert als eingespart werden. Das ist zu begrüßen, wurde aber im konkreten Fall auf die Spitze getrieben. Operation gelungen, Patient tot.

Die regulatorische Berücksichtigung aller Worst-Case-Szenarien führt jedoch dazu, dass selbst motivierte Projektierer mit Risikobudgets warten und Projekte vertagen, da sich kein Business Case kalkulieren lässt. Effektiv ist daher der Hochlauf zum Erliegen gekommen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Hürden bei der Erzeugung auch für H2-Importe (von Drittstaaten) gelten – wo sie aufgrund gänzlich anders geregelter Energiemärkte ohnehin schwieriger umzusetzen sind. Damit würde die EU auch für internationale Anbieter von klimafreundlichem H2 unattraktiv und im globalen Nachfragewettbewerb chancenlos.

Eine Kettenreaktion

Der schwache Ausbau der Erzeugungskapazität und der reduzierte Umfang von Importmengen haben weitreichende Konsequenzen für die nachgelagerte Wertschöpfungskette, namentlich die Transportinfrastrukturbetreiber und die potenziellen Abnehmer.

Ersteren droht durch die mögliche Unterauslastung ihrer Infrastruktur ein gesteigertes betriebswirtschaftliches Risiko, welches die Investitionen von Beginn an in Frage stellt. Für potenzielle Verbraucher führt die Unsicherheit dazu, dass etwaige Investitionen in Industrieanlagen entweder überhaupt nicht oder nicht in der EU getätigt werden oder insgesamt andere Emissionsvermeidungsoptionen wie Kohlenstoffabscheidung und -Speicherung (CCS) oder die Verwendung von biologischen Alternativprodukten ins Auge gefasst werden.

Ähnlich dramatisch ist die Lage auch für potenzielle Betreiber von wasserstofffähigen Gaskraftwerken, die im Rahmen der Kraftwerksstrategie gebaut werden und im Laufe der 2030er Jahre komplett klimaneutral mit H2 betrieben werden sollen. Unter den gegebenen Umständen ist es fraglich, ob bis in die 2030er Jahr ausreichend kostengünstiger Wasserstoff zur Verfügung stünde.

Politisch notwendige Schritte in Brüssel

Mit den regulatorischen Vorgaben steht einiges auf dem Spiel, insbesondere für den Industriestandort Deutschland.

Ein ernst gemeinter EU-Clean-Industrial-Deal im Zeichen von Pragmatismus und wettbewerbsfähigen Preisen sollte nun unbedingt bei den Festlegungen zu kohlenstoffarmem H2 ansetzen. Der Prozess bei der EU-Kommission läuft aktuell und ist die Möglichkeit zu zeigen, dass Pragmatismus vor Perfektion steht.

Konkret sollte sichergestellt werden, dass projektspezifische Berechnungen von Vorkettenemissionen, beispielsweise aus US-Erdgas, möglich sind. Darüber hinaus sollte, besonders aus deutscher Sicht, der Einsatz von erneuerbarem Strom vereinfacht werden. Nach derzeitiger Planung würde Wasserstoff – produziert aus Bestandsanlagen erneuerbarer Energien – die gleiche Wertigkeit wie fossil erzeugtem Wasserstoff zugeschrieben werden. Attribute wie „Zusätzlichkeit“ und „zeitliche Korrelation“ wirken im Hochlauf hemmend.

Im zweiten Schritt sollte dann auch der bereits verabschiedete Rechtsrahmen für erneuerbaren H2 überarbeitet werden. Perspektivisch soll der erneuerbare Wasserstoff kohlenstoffarmen Wasserstoff zuerst ergänzen und dann weitestgehend ersetzen.

In der Hochlauf-Phase wird H2 ein knappes Gut sein. Erneuerbarer Wasserstoff ist ganz klar das Ziel, aber Flexibilität ist entscheidend. Daher ist die Bedeutung von kohlenstoffarmem Wasserstoff für einen erfolgreichen Markthochlauf und die erforderliche Marktdurchdringung enorm.

Den Grundstein sollte die EU jetzt legen, nicht nur weil sich mit der anstehenden Verabschiedung des Rechtsrahmens für kohlenstoffarmen H2 eine günstige Gelegenheit bietet, sondern auch weil der Wettbewerbsvorteil Europas im Wasserstoffbereich global zunehmend kleiner wird.

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