Die Welt retten durch individuellen Verzicht – so läuft in letzter Zeit oft die Diskussion über das große Menschheitsthema Erderwärmung. Verzicht aufs Fliegen, aufs Autofahren, aufs Fleisch essen. In den moralischen Appell, den Lebensstil zu ändern, stimmen Viele mit ein, auch Politiker und Wissenschaftler. Doch die Forderung nach Verzicht ist unpolitisch. Denn was es wirklich braucht, um Menschheitsprobleme zu lösen, sind politische Rahmenbedingungen: Weichenstellungen der Regierung, die es dem Einzelnen erleichtern, sich angemessen, also klimafreundlich zu verhalten. Und die der Wirtschaft helfen, klimafreundlich zu investieren und Innovationen voranzutreiben.
Einfach nur den Verzicht predigen, heißt ein fundamentales gesellschaftliches Problem auf die Individuen überwälzen und die Politik aus ihrer Verantwortung entlassen. Es ist die Aufgabe von Regierungen, Rahmenbedingungen festzulegen. Wie die Regeln für den Straßenverkehr gehören dazu auch Regeln für die Märkte. Schließlich können unregulierte Märkte große Schäden anrichten, wie vor gut einem Jahrzehnt eindrücklich am Beispiel der Finanzkrise zu sehen war. Keine Frage: Freiwillige Selbstverpflichtungen, eingegangen von der Wirtschaft oder von Individuen, sind hilfreich, um die Debatte anzustoßen. Aber dauerhaft können sie nicht die gesellschaftliche Strategie ersetzen. Es braucht eine kollektive – und demokratisch ausgehandelte – Antwort auf die Herausforderung des Klimawandels.
Das altmodische, asketische Wort „Verzicht“ kommt nun oftmals in einer modernen Verpackung daher: als Genügsamkeit oder Konsumverweigerung. Eine solche Verzichts-Strategie spricht einige wenige an – aber schafft keine Rahmenbedingungen, die es der breiten Masse der Bevölkerung ermöglicht, Klimaschutz im Alltag zu leben. Wo zum Beispiel stecken denn mehr CO2-Emissionen drin, im Schnitzel vom Biobauern um die Ecke oder im Veggie-Burger, der aber aus den USA eingeflogen ist? So etwas permanent selbst beurteilen zu müssen, ist eine Zumutung.
Nicht auf Kosten der Bevölkerung
Mit der Forderung nach Verzicht geht oftmals auch der Ruf nach weniger Wachstum einher. Anschauungsmaterial für diese „Postwachstumsgesellschaft“ wird das wirkliche Leben vielleicht schon bald liefern, und zwar schmerzhaft: Die möglicherweise drohende Rezession wird zweifellos zu vorübergehend sinkenden Emissionen führen. Aber dass unzählige Menschen den Job verlieren und vielleicht in Armut stürzen, kann nicht die Lösung sein. Was eine solche Rückwärts-Entwicklung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeutet, lässt sich in den USA besichtigen, die sich von den ökonomischen und sozialen Flurschäden der Finanzkrise noch immer nicht vollständig erholt haben.
Der Befund ist offensichtlich: Klimaschutz darf nicht auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung organisiert werden. Es muss vielmehr so laufen wie zum Beispiel in Schweden. Dort ist die Wirtschaft in den letzten 15 Jahren kräftig weiter gewachsen, doch die Treibhausgas-Emissionen sind signifikant und schneller gesunken als in Deutschland. Und zwar dank einer konsequenten CO2-Bepreisung mit inzwischen mehr als 100 Euro je Tonne.
Der Ansatz des individuellen Verzichts verkennt zudem, dass die privaten Haushalte auf direktem Wege nur etwa 20 Prozent der deutschen Treibhausgas Emissionen beeinflussen können. Auch deshalb ist es viel wichtiger, den Blick auf die politischen Rahmenbedingungen zu richten. So wird das Verfeuern fossiler Energieträger immer noch mit jährlich über 50 Milliarden Euro Subventionen gefördert, vor allem im Verkehrssektor mit Steuervergünstigungen für Diesel und Kerosin. Schon deshalb greift die Forderung nach dem Verzicht von Individuen viel zu kurz: Es ist oftmals der Staat, der in gigantischem Ausmaß falsch investiert und Fehlanreize setzt. Dabei müsste es genau anders herum sein. Es gilt jetzt, den Verbrauch von Kohle, Öl und Gas in allen Sektoren der Volkswirtschaft mit einem Preis zu belegen. Dieser Preis muss den Schaden durch die dabei entstehenden CO2-Emissionen beziffern. Genau darüber ringen gerade die Parteien im Klimakabinett, wie das am besten umgesetzt wird.
Ärmere Haushalte würden profitieren
Ein solcher CO2-Preis wirkt als Anreiz für klimafreundliches Verhalten der Verbraucher – und regt zugleich in der Wirtschaft entsprechende Investitionen und Innovationen an. Ganz wichtig: Anders als die bisherige, vor allem über Verbote, Gebote und Förderprogramme laufende Klimapolitik generiert der CO2-Preis Einnahmen. Bei einer aufkommensneutralen Rückerstattung dieser Einnahmen durch eine Pro-Kopf-Pauschale oder alternativ durch Entlastungen beim Strompreis etwa durch die Finanzierung der EEG-Umlage, würden die ärmeren Haushalte unterm Strich sogar profitieren. Das konnten wir in unserem Gutachten für das Klimakabinett deutlich zeigen.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Es ist gut, über den eigenen ökologischen „Fußabdruck“ nachzudenken, ihn nach Möglichkeit zu senken und damit die gesellschaftliche Debatte zu bereichern. Solche Debatten bereiten oftmals erst den Boden, damit anschließend wirkungsvolle Maßnahmen und Politiken eingeführt werden können. Aber es macht einen Unterschied, ob jemand als Privatperson oder Konsumentin über den ökologischen Fußabdruck nachdenkt, oder diesen Ansatz als politische Strategie zur Bekämpfung des Klimawandels vertritt. Den Verzichts-Ansatz als gesellschaftliche Lösung zu verkaufen, ist unpolitisch. Mehr noch: Es gefährdet letztlich den Erfolg von Klimaschutz. Denn statt eines individuellen Ansatzes brauchen wir mehrheitsfähige Lösungen.
Klimaschutz war schon viel zu lange in der grünen Ecke. Klimaschutz aus der Nische herauszuholen und mehrheitsfähig zu machen – darum geht es jetzt. Deutschland hat jetzt die Chance, das Klimaproblem mit einer schlüssigen, sozialverträglich machbaren, marktwirtschaftlichen Strategie anzugehen. Die Klimaschützer sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und das ist gut so. Das Klimaproblem ist zu existenziell und zu drängend, als dass man es politischen Utopisten überlassen darf.
*Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change