Mit der Gründung eines Joint Ventures zwischen der Neptun-Werft als Teil der deutschen Meyer-Gruppe und dem belgischen Unternehmen Smulders am heutigen Mittwoch in Rostock sowie der vorangegangenen Vereinbarung mit dem Marinearsenal der Bundeswehr und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zur Ko-Nutzung des Standortes Rostock-Warnemünde (‚Warnow-Werft‘) sind nun die Bedingungen für die Rückkehr des seriellen Offshore-Konverterbaus nach Deutschland geschaffen worden.
Nachdem durch den langen, fast zweijährigen Verständigungsprozess bereits wirtschaftliche Chancen in Milliardenhöhe verpasst worden sind, stellt der heutige Tag dennoch einen Meilenstein für die Erreichung der deutschen Offshore-Windausbauziele dar. Von der Verständigung sollte damit eine Signalwirkung für den Nutzen einer integriert-gedachten und pragmatischen Energie-, Sicherheits- und Industriepolitik ausgehen.
Der heutige Tag stellt das Ende einer Odyssee dar, die allen Beteiligten viel Überzeugungskraft, Nerven und Energie abverlangt hat. Sie reichte von der Insolvenz der MV-Werften (Rostock, Wismar & Stralsund) im Frühjahr 2022 über die zunächst erfolglosen Versuche einer Sicherung des Rostocker Standortes für die Offshore-Windenergie und die Verpachtung des Geländes an das Marinearsenal der Bundeswehr im Sommer desselben Jahres bis hin zur Einigung auf eine Ko-Nutzung auf höchster Ministerialebene.
Zu viele Zeitenwenden auf einmal erschweren das Priorisieren
Dabei sah die Sachlage aus Sicht der Offshore-Windenergie im Frühjahr 2022 zunächst eindeutig aus. Nur wenige Wochen zuvor hatten sich die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag auf eine massive Erhöhung der Ausbauziele für die Windenergie auf See verständigt: Von weniger als acht Gigawatt installierter Leistung sollte diese bis 2030 auf 30 GW erhöht und mit 70 GW im Jahre 2045 für nahezu ein Drittel der deutschen Bruttostromerzeugung verantwortlich sein. Mit ähnlich ambitionierten Zielen bei den anderen Erneuerbaren Energien schien ein Primat des Klimaschutzes gesetzt.
Und das war dringend nötig nach Jahren der politischen Fehlsteuerung, die den Ausbau der Windenergie auf See 2021 gänzlich zum Erliegen gebracht hatte. Während jedoch Gesetzesnovellen und Ausschreibungsdesign im Mittelpunkt standen, richtete sich der Expertenblick bereits auf die nicht minder komplexen Nadelöhre, ohne die der anvisierte Ausbau scheitern würde: die industriellen Kapazitäten – von Windturbinen, Fundamenten, über Schiffe, Kabel bis Konverterstationen –, die notwendigen Infrastrukturen wie Häfen und Hinterlandanbindungen, bis hin zum sich abzeichnenden Fachkräftebedarf. Nicht alle Themen sind gleichermaßen sexy, aber von immenser Bedeutung.
Die Konverterplattformen nannte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei einem Besuch der insolventen Rostocker Werft bereits Anfang Februar 2022 ‚neuralgische Punkte der Energiewende‘. Die rund 20.000 Tonnen schweren Stahlgiganten sollen in der kommenden Zwei-Gigawatt-Generation ab Ende des Jahrzehnts große Mengen Offshore-Strom über hunderte Kilometer an Land bringen. Als sogenannte ‚Multi-Terminal-Hubs‘ bilden sie zudem die Schnittstellen eines geplanten vermaschten europäischen Offshore-Netzes. In Europa können diese aktuell nur in Spanien gebaut werden. Die meisten Aufträge für diese milliardenteuren, (sicherheits-)technisch hochsensiblen Stationen müssen aktuell nach Fernost vergeben werden. Ohne die Schaffung neuer Produktionsstandorte wird der zeitgerechte Ausbau nicht gelingen. Der Zeitpunkt schien optimal.
Dann kam der 24. Februar: Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine rückten Fragen der Nationalen Sicherheit und Verteidigung in den Mittelpunkt. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer Zeitenwende. Es folgten Sondervermögen und Deutschland-Geschwindigkeit beim LNG-Terminal-Bau – und ein (scheinbar) konfliktionäres Interesse am Rostocker-Standort. Zur Wahrheit gehört, dass nicht alle Anliegen stets in Gänze berücksichtigt werden können. Schwierig wird es, wenn prioritäre Gesellschaftsanliegen für sich genommen berechtigte Interessen haben, deren gleichzeitige Realisierung sich aber ausschließt. Problematisch wird es, wenn sie es nicht tun und sich dennoch blockieren.
Einen solchen Fall stellte lange Zeit die Diskussion um die Ko-Nutzung des Rostocker Standortes dar. Das Verständigungspotenzial lag auf der Hand. Der verfügbare Platz reichte sowohl für die Anliegen der Marine wie den seriellen Bau von Plattformen aus. Die Nationale Sicherheitsrelevanz eines Bundeswehrstandortes lässt sich unschwer erschließen und gewichten. Für die sicherheitspolitische Dimension eines vordergründigen Wirtschaftsanliegens galt das nicht.
Integrierte Betrachtung des Sicherheitsbegriffes muss Handlungsmaxime sein
Dass es schlussendlich zu einer Übereinkunft gekommen ist, ist ein gutes Signal für die Verständigungsfähigkeit in Deutschland. Die Einigung zeigt, wie entscheidend der gemeinsame Wille zur intersektoralen, abteilungsübergreifenden und integrierten Betrachtung durch die handelnden Personen und beteiligten Institutionen ist. Der Umschwung kam im Laufe dieses Jahres. Neue Entscheidungsträger im Bundesverteidigungsministerium, ein kontinuierliches Engagement in den Wirtschaftsministerien auf Bundes- und Landesebene in Mecklenburg-Vorpommern sowie insbesondere das beharrliche und intensive Engagement des Maritimen Koordinators Dieter Janecek und seines Büros haben hier den Weg geebnet.
Der lange Prozess zeigt aber, dass sich die großen politischen Narrative – von Zeitenwende bis Deutschland-Geschwindigkeit – in der Vielzahl der komplexen und wichtigen Themen nicht automatisch niederschlagen, sondern dass es – neben der Bedeutung persönlichen Engagements – eine noch stärkere Entwicklung eines intersektoralen, abteilungsübergreifenden Denkens und eine pragmatische Lösungsorientiertheit braucht.
In diesem Fall bedeutete das, dass die sicherheitspolitische Dimension eines vordergründigen wirtschafts-, energie- und industriepolitischen Anliegens erkannt und gewichtet wird. Der Konverterbau hat diese Dimension nicht nur beim späteren Betrieb, sondern bereits der Bau der kritischen Infrastruktur ist entsprechend einzustufen. Dadurch ergeben sich beispielsweise bereits bei der Absicherung und dem Zugang zum Gelände, beim Schutz der medialen Infrastruktur und beim Gefährdungsdenken Schnittpunkte mit neuen Synergien, die in der Vergangenheit nicht bestanden.
Schutz der Offshore-Infrastruktur durch staatlich-zivile Kooperation
Für die Offshore-Energieerzeugung ist das auch darüber hinaus von zentraler Bedeutung. Der Bau von tausenden Windenergieanlagen auf See schafft in Ausmaßen und Komplexität eine nie dagewesene maritime Infrastruktur. Neben dem offensichtlichen Nutzen für die Energieversorgung entsteht so eine neue Art der gegenseitigen Bedeutung für den (zivilen) Energie- und den (staatlichen) Sicherheitssektor. Die Offshore-Infrastruktur bedarf eines besonderen und komplexen Schutzes in schwierigem Terrain durch innovative Formen der staatlich-zivilen Kooperation.
Auch bedeutet er eine Herausforderung und Überprüfung der Zuständigkeitsregelungen zwischen den Sicherheitsbehörden und zuständigen Ministerien mit spannenden und wichtigen Fragen: Wo verläuft die Grenze zwischen privater und staatlicher Verantwortung zum Schutz der kritischen Infrastruktur? Welche Rolle kann die Bundespolizei auf See ausfüllen, welche Rolle könnte die Marine übernehmen? Wäre es an der Zeit für die Schaffung einer kompetenzenübergreifenden Küstenwache und eines Seesicherheitsgesetzes?
Neben dem Schutzbedarf bieten die Offshore-Strukturen jedoch auch einmalige und neuartige Synergiepotenziale zur Stärkung der maritimen Verteidigungsfähigkeit, zur Lagebilderstellung über und unter Wasser und zur Seeraumüberwachung. Als Stiftung widmen wir uns diesem komplexen Thema bereits in besonderem Maße.