Standpunkte SLAPP-Klagen: Die Angst der Konzerne

Die jüngste Einschüchterungsklage eines fossilen Konzerns gegen Greenpeace zeigt, wie hemmungslos die Industrie inzwischen gegen Gegner aus der Zivilgesellschaft vorgeht. Dahinter steckt aus Sicht von Regine Richter von Urgewald die Angst der Konzerne vor der Transformation. Politik und Finanzwirtschaft sollten die Rolle der Zivilgesellschaft als demokratisches Korrektiv viel stärker anerkennen.
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Jetzt kostenfrei testen660 Millionen US-Dollar. Das erstinstanzliche Urteil am 20. März im Klageprozess von Energy Transfer gegen Greenpeace löste in der Zivilgesellschaft Unglauben, Entsetzen und Wut aus. Auf der einen Seite steht ein traditioneller US-Fossil-Konzern, der Milliarden verdient mit dem Transport und der Verarbeitung von fossilem Gas und Öl. Börsenwert, Stand 1. Mai: Knapp 57 Milliarden US-Dollar. Auf der anderen Seite steht eine großteils spendenfinanzierte Organisation, die dieses Geld nun einem Konzern in den Rachen werfen soll, dessen Geschäfte die weltweite Klimakrise Tag für Tag verschärfen.
Klären wir zunächst die Frage, was Energy Transfer zu dieser Klage veranlasst hat. Dafür müssen wir zurückschauen ins Jahr 2016. Damals gingen die Bilder der kraftvollen Proteste in den USA von Stammesangehörigen und einer breiten Solidaritätsbewegung um die Welt. Die Gegner der „Schwarzen Schlange“, wie die neue Dakota-Access-Pipeline genannte wurde, waren in diesem Kampf tonangebend.
Tipping Point: Wenn fossile Macht ins Wanken gerät
Ausgangspunkt war ein im Jahr 2016 gegründetes Protest-Camp gegen die Pipeline in Standing Rock, zentral organisiert von den Standing-Rock-Sioux, deren Stammesgebiet von der Pipeline bedroht ist. Später folgten auch international Proteste gegen die Pipeline, das Unternehmen und seine Geldgeber. Diese Bewegung schaffte es, die massiven Gefahren der Pipeline für den Wasserschutz, den Klimaschutz und die kulturellen Interessen der betroffenen Indigenen in den USA in den Vordergrund zu stellen. Dieser beeindruckenden Bewegung gelang es, Geldgeber wie ING oder die Bayerische Landesbank zu überzeugen, ihre Finanzierung für das Projekt bzw. dessen Betreiber einzustellen.
Als Reaktion wollte der Konzern offenbar ein Exempel statuieren: Er schickte seine Anwälte los. Verschiedene Klagen wurden auf Bundesebene abgewiesen. Anschließend versuchte es Energy Transfer auf Bezirksebene und bezichtigte Greenpeace und Einzelpersonen, Hausfriedensbruch, widerrechtliche Aneignung, Belästigung, Rufschädigung und zivile Verschwörung begünstigt zu haben. Die Organisation wurde als Strippenzieherin hinter den Protesten dargestellt. Das ist, neben dem offensichtlichen Versuch, eine schlagkräftige Organisation mittels Einschüchterungsklage zum Schweigen zu bringen, herablassend gegenüber den Standing-Rock Sioux, die im Zentrum der Proteste standen. Wichtig zu betonen ist: Die betroffenen Greenpeace-Sparten USA und International werden nach dem Urteil in erster Instanz in Berufung gehen.
Auch wenn dieses Urteil angesichts der möglichen finanziellen Folgen heraussticht, ist der Ansatz, Kritiker durch Klagen mundtot machen zu wollen, nicht neu. Strategic Litigation Against Public Participation (SLAPP), gibt es schon seit Jahrhunderten, ohne dass es so genannt wurde. Doch die Menge der Klagen nimmt offenbar zu: eine Untersuchung im Auftrag der EU-Kommission zählte 570 Fälle im Jahr 2022 und 820 im Jahr 2023.
Versuche, den Kreis der Beklagten zu erweitern
Nicht nur die Zahl der Fälle scheint zuzunehmen, sondern auch der Versuch mit Klagen die rechtlichen Grenzen zu verschieben. Ein Beispiel ist Santos, ein australischer Öl- und Gaskonzern, der das Barrossa-Gasfeld in der Timorsee entwickelt, etwa 300 Kilometer nördlich der Stadt Darwin. Eine 262 km lange Pipeline soll das fossile Gas an Land bringen, wo es in der Darwin-LNG-Anlage verflüssigt und dann exportiert werden soll. Laut John Robert, Autor einer Studie zum Barrosa-Projekt für das Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA), eine „Emissionsfabrik mit einem LNG-Nebenprodukt“.
Hinzu kommt: Die geplante Pipeline berührt den Lebensraum traditioneller Landbesitzer, etwa der Bewohner*innen der Tiwi-Inseln. Eine Gruppe von ihnen klagte 2023 gegen den Bau der Pipeline. Zunächst verhängte das Gericht einen Baustopp, gab dann aber Santos Recht. Der Konzern verlangt Schadensersatz in Millionenhöhe. Zudem wurde Santos 2024 von der zuständigen Richterin erlaubt, interne Dokumente von anderen Umweltorganisationen zu verlangen. Diese waren nicht an der Klage beteiligt, hatten sich aber öffentlich unterstützend geäußert. Dass sie nun interne Dokumente herausgeben müssen und sie möglicherweise ebenfalls an den Rechtskosten beteiligt werden sollen, kann eine abschreckende Wirkung für andere Organisationen entwickeln. Eine Wirkung sicherlich im Sinne von Unternehmen wie Santos.
Auch Einzelpersonen geraten ins Visier
Dies sind nur zwei von unzähligen SLAPP-Klagen. Allein Greenpeace wurde, außer von Energy Transfer, auch in Großbritannien von Shell, in Frankreich von TotalEnergies und in Italien von Eni verklagt. Und es trifft neben Organisationen auch Einzelpersonen, wenn sie sich mit Erfolg gegen die Interessen von Öl- und Gasunternehmen einsetzen. Ein Beispiel ist unser italienischer Kollege Antonio Tricarico von der Organisation ReCommon – eine der wichtigsten europäischen NGOs im Bereich klimaschädlicher Finanzgeschäfte. Er äußerte sich in einer TV-Sendung im Mai 2024 zu einer Förderlizenz, die der italienische Öl- und Gasriese Eni von den Behörden in Ägypten für das Gasfeld Zohr erhalten hatte.
Tricarico hob im Gespräch mit dem Journalisten Daniele Autieri in der Sendung „Report“ die zeitliche Überschneidung zwischen der Gewährung der Förderlizenz und der Entführung, Folterung sowie Ermordung des Wissenschaftlers Giulio Regeni im Januar 2016 durch Sicherheitskräfte in Kairo hervor. Tricarico machte eine faktenbasierte Behauptung. Nun hat Eni Tricarico wegen angeblicher Verleumdung verklagt. Die Verhandlung soll im Mai stattfinden.
Erst ignorieren sie dich…
Die Mittel in diesen Auseinandersetzungen sind sehr unterschiedlich verteilt: auf der einen Seite Privatpersonen, Indigene, Nichtregierungsorganisationen; auf der anderen Seite milliardenschwere Konzerne. Das ist beängstigend, zeigt aber auch, dass fossile Unternehmen sich in diesen Fällen bedroht fühlen. Klimaaktivist*innen zu ignorieren, was ebenfalls zum gängigen Repertoir der Konzerne gehört, scheint hier keine Option (mehr) zu sein. Auf der Gandhi-Skala (ignorieren, lächerlich machen, bekämpfen „und dann gewinnst Du“) liegt das schon nahe am Gewinn. Konzerne führen Abwehrkämpfe gegen die notwendige Transformation der Wirtschaft, die ihr klassisches Geschäftsmodell fundamental bedroht. Eine Transformation, die zumindest im Bereich Erneuerbarer Energien schon in vollem Gange ist und sich nicht stoppen lässt. Das ist die positive Lesart.
Was die SLAPP-Gefahren verschärft, sind Verbindungen zwischen den entsprechenden Konzernen und der Politik, für die etwa die Wahlkampfspenden fossiler Unternehmen in den USA ein Beispiel sind. Trumps Präsidialanordnungen und sein Kampf gegen ökologische und soziale Belange kann man als SLAPP ohne Klage ansehen. Auch hierbei geht es oft um Einschüchterung von Kritiker*innen und die Rückkehr zur „guten alten fossilen Zeit“.
Die Rolle von Finanzwirtschaft und Politik
Entgegen allen Einschüchterungsversuchen gibt es keine Alternative zum Umbau der Wirtschaft weg von Fossilen. Dabei haben auch Finanzinstitutionen eine Rolle zu spielen. Zum einen durch die Lenkung von Finanzströmen, weg von Fossilen und hin zu sauberen Energiequellen. Zum anderen schmücken sich Banken und Investoren gerne mit demokratischen Werten – wozu auch das Recht auf freie Meinung und politische Meinungsäußerung gehört. Die Zivilgesellschaft als Korrektiv wirtschaftlicher Fehlentwicklungen braucht daher im Finanzsystem viel mehr Anerkennung.
Denn auch Energy Transfer, Eni, Santos und weitere klagefreundliche Öl- und Gasunternehmen sind auf Banken und Investoren angewiesen. Energy Transfer vertraut etwa auf die Deutsche Bank - von 2016 bis 2023 weltweit achtgrößter Geldgeber von Energy Transfer LP mit einem Volumen von 1,2 Milliarden US-Dollar. Banken und andere Finanzinstitutionen, die mit ihrer Nachhaltigkeit und der Achtung sozialer Werte werben, müssen deshalb eine deutliche Botschaft an ihre Kunden senden, die aggressiv Einschüchterungsklagen verfolgen. Dass solches Verhalten nicht tragbar ist – und Gelder notfalls abgezogen werden.
Zudem braucht es für kritische Stimmen einen rechtlichen Schutzrahmen, den die Europäische Union mit ihrer 2024 beschlossenen Anti-SLAPP-Richtlinie versucht hat einzurichten. Dies nutzt Greenpeace International (GPI) aktuell bereits gegen die SLAPP-Klage von Energy Transfer und verklagt den Konzern vor einem niederländischen Gericht. Ziel sei es, „den gesamten Schaden und die Kosten, die GPI durch die SLAPP-Klage entstanden sind, ersetzt zu bekommen“. Anstatt mit markigen Äußerungen gegen berechtigte Proteste negativ aufzufallen, sollten Friedrich Merz und seine neue Bundesregierung die EU-Richtlinie schnell in nationales Recht überführen. Und damit klarstellen, dass demokratische Gesellschaften zivilgesellschaftliche Kritik nicht nur aushalten müssen – sondern vielmehr von ihr profitieren.
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