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Energie & Klima

Standpunkte So wenig Aufwand für so viel Wind

Klaus Mindrup, Energieexperte der SPD-Bundestagsfraktion
Klaus Mindrup, Energieexperte der SPD-Bundestagsfraktion Foto: Thomas Imo

Der Bedarf an erneuerbarem Strom wird in den nächsten Jahren gewaltig steigen. Vor diesem Hintergrund sei es fatal, das Potenzial der Windenergie an Land nicht voll zu nutzen, schreibt Klaus Mindrup in seinem Standpunkt. Verschenkt wäre das Potenzial auch deshalb, weil die Bundesregierung nur an wenigen Stellschrauben drehen müsste, um die Windkraft wieder auf Vordermann zu bringen.

von Klaus Mindrup

veröffentlicht am 19.11.2019

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Wir erleben gerade in unserem Land eine sehr problematische Tendenz, nicht lösungsorientiert zu diskutieren, sondern nur noch Dogmen miteinander auszutauschen.

Ganz besonders deutlich wird dies bei der Diskussion um Windkraft an Land. Heute haben wir 29.248 Anlagen mit 53.161 Megawatt (MW) Leistung – dies sind durchschnittlich 1,8 MW pro Anlage. Sie haben alle eine deutlich positive Klimabilanz, weil sie nur wenige Monate brauchen, um die bei der Produktion der Anlage benötigte Energie wieder zu erzeugen. Auch beim Recycling der eingesetzten Materialien gibt es Fortschritte.

Neue Anlagen haben heute eine deutlich höhere Leistung. 4 MW sind durchaus üblich, Anlagen mit 5 MW sind bereits verfügbar. Das Optimum wird absehbar bei Anlagen mit 6,5 MW liegen. Da die Anlagen nicht nur eine höhere Leistung haben, sondern auch mit der wachsenden Höhe der Anlagen der Ertrag weiter deutlich steigen wird, ist die zurzeit laufende Debatte über die Windenergie schwer nachvollziehbar.

Zahl der Windturbinen muss nur um 20 Prozent steigen

Der Bedarf an „grünem, fossilfreiem“ Strom wird in den nächsten Jahren weiter extrem steigen. Und angesichts des technischen Fortschritts und der damit verbundenen höheren Effizienz der Anlagen ist die Aufgabe auch lösbar. Bei einem derzeitigen Anteil von 17 Prozent Erneuerbaren am Gesamtenergieverbrauch ist dennoch mehr Engagement für die Erneuerbaren nötig.

Der Bundesverband Windenergie (BWE) geht aufgrund von Gutachten davon aus, dass wir die Zahl der Anlagen in Deutschland bis 2050 nur um 20 Prozent steigern müssen, um ausreichend erneuerbare Energien aus Wind zu gewinnen. Der BWE geht davon aus, dass dann eine Anlage durchschnittlich eine Leistung von 5,7 MW haben wird und dass die Stromproduktion aus Wind an Land von 111 Terawattstunden (TWh) in 2018 auf 770 TWh im Jahr 2050 steigen wird. Dies alles wird auf 2 Prozent unserer Landesfläche möglich sein.

Also kann man einfach zusammenfassen:

  • 20 Prozent mehr Anlagen nötig
  • Leistung pro Anlage um den Faktor 3,8 höher
  • Ertrag um den Faktor 7,2 höher

Jetzt den Ausbau der Windenergie abzuwürgen, gefährdet nicht nur die deutsche Windindustrie, sondern auch den gesamten Industriestandort Deutschland und die Erreichung der Klimaziele.

In einem Land, in dem man keine Windenergieanlagen – trotz Einhaltung unserer strengen Umweltstandards – bauen kann, wird man demnächst auch keine Mobilfunkmasten, keine Eisenbahnstrecken, keine neuen Industriebetriebe, keine neuen Leitungen und keine neuen Mietshäuser bauen können. Dies wäre ein Sieg der egomanischen „Not in my backyard“-Bewegung und würde den Wohlstand in unserem Land mehr gefährden als alles andere.

Fünf-Häuser-Regel ist für eine Industrienation unverantwortlich

Aber natürlich muss sich auch der Ordnungsrahmen verändern. Mit dem Klimaschutzgesetz werden unsere Klimaschutzziele endlich verbindlich und deswegen muss ab sofort gelten, dass der Strom aus den Windmühlen nicht mehr länger abgeregelt werden darf. „Nutzen statt abregeln“ hat der Bundestag in seiner Resolution zur Klimakonferenz in Madrid zum wiederholten Male beschlossen.

Die technischen Möglichkeiten sind da. Batteriespeicher können für die kurzfristige Speicherung genutzt werden. Wasserstoff ist ein idealer Langzeitspeicher und kann darüber hinaus in der Chemie und im Transport sinnvoll genutzt werden – vom Elektron zum Molekül heißt dieser richtige Ansatz. Und bevor der Strom überhaupt nicht genutzt werden kann, sollte er helfen, Wärmenetze klimaneutral zu betreiben. Dazu müssen endlich die Speicher von der EEG-Umlage befreit werden, was gleichzeitig negative Strompreise verhindern würde. Im Weg steht bisher vor allem das Bundeswirtschaftsministerium.

Der Beschluss über die 1000 Meter Abstandsflächen ist zu einem Zeitpunkt gefallen, als wir noch kein vom Bundestag beschlossenes Klimaschutzgesetz hatten. Weiterhin war nicht klar definiert, was „signifikante Wohngebiete“ sind. Für mich sind dies Gebiete, die mit einem Bebauungsplan überplant sind. Wenn jetzt fünf Gebäude zu einem signifikanten Wohngebiet erklärt werden und dies zu einem Verlust von 1/3 der notwendigen Fläche für Windenergie führen wird, ist dies für eine Industrienation nicht zu verantworten. Denn an erster Stelle der Abwägungskette steht die Einhaltung der Klimaschutzziele, die wir im Übrigen im nächsten Jahr aufgrund des Vorschlags von Ursula von der Leyen und Frans Timmermanns auf EU Ebene wahrscheinlich noch verschärfen werden, mit unmittelbaren Konsequenzen für Deutschland.

Im Sommer 2021 wird der Bundestag erstmals aufgrund des neuen Klimaschutzgesetzes mit den Fachministern für Verkehr und Bauen über die Erreichung der Klimaschutzziele in ihren Sektoren diskutieren. Ich weise schon jetzt die Minister Andreas Scheuer und Horst Seehofer von der CSU darauf hin, dass diese notwendigen Änderungen ihnen helfen werden, bei der Erreichung der Klimaziele voranzukommen, dass ein Festhalten am Status ihnen aber auf die Füße fallen wird

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