Am 20. September verabschiedete das Klimakabinett das Klimapaket: Einen sektorübergreifenden Vorschlag, wie Deutschland gedenkt, seine 2030-Klimaziele (eine Emissionsreduktion von 55% ggü. 1990) einzuhalten. Das Paket wird von Opposition, Teilen der Regierungsparteien und der Klimabewegung als zu wenig ambitioniert und konkret kritisiert.
Aber wer hat zu dem Thema eigentlich die Deutungshoheit? Wo Parteipolitik mit einem komplexen Sachthema vermischt wird, ist es schwierig für den einzelnen Bürger nachzuvollziehen, was sinnvolle Vorschläge sind und was nicht. Wäre es da nicht hilfreich, ein unabhängiges Expertengremium zu haben, das die Klimapolitik bewertet? Natürlich, aber: Auf die Ausgestaltung kommt es an.
Das Klimapaket schlägt bereits einen Expertenrat vor: „Die Bundesregierung wird die Einhaltung der Klimaziele 2030 insgesamt und die Fortschritte in den einzelnen Sektoren jährlich genau ermitteln und durch einen externen Expertenrat begleiten lassen.“ Fünf Mitglieder sollen von der Regierung ernannt und von ihr hinsichtlich der Einhaltung jährlicher Emissionsbudgets befragt werden.
Durch den Besetzungsmechanismus wird der Rat damit höchstwahrscheinlich regierungsnah sein. Gleichzeitig kann er gemäß dem Entwurf des Klimaschutzgesetzes nicht eigenständig tätig werden, sondern nur, wenn er von der Regierung befragt wird. Er bliebe damit Teil der fehlerbehafteten deutschen Klimaschutzarchitektur.
Das britische Committee on Climate Change
Ein Blick ins Vereinigte Königreich zeigt, wie es besser geht. Dort überwacht seit 2008 das Committee on Climate Change (CCC) die Einhaltung von CO2-Budgets. Das unabhängige Beratergremium besteht aus acht Mitglieder mit unterschiedlichen fachlichen Expertisen und hat eine Doppelrolle: Zum einen überwacht es die Einhaltung der britischen Emissionsziele. Zum anderen forscht es, welche CO2-Ziele sinnvoll wären und macht Regierung und Zivilgesellschaft Vorschläge, wie die Ziele zu erreichen sein könnten. Damit ist das CCC keine rückwärtsgerichtete Organisation wie der für Deutschland vorgeschlagene Rat.
Die Bundesregierung setzt bisher CO2-Ziele für bestimmte Jahre: So sollen zum Beispiel bis 2030 die Emissionen um 55 Prozent sinken. Dieser Ansatz hat zwei Probleme: Erstens lädt er zu dem Fehlschluss ein, dass es in der Klimapolitik um die Erreichung bestimmter Zielmarken gehe. Weil Klimagase langlebig sind, geht es aber um kumulativ ausgestoßene Emissionen. Der Pfad bis 2030 ist mindestens genauso wichtig wie die Zielmarke in 2030. Zweitens unterstützt er die bisherige Tendenz, die Dinge auf die lange Bank zu schieben. Auf Zielverfehlungen in der nahen Zukunft wird durch Zielverschärfungen in der weiteren Zukunft reagiert, mit der sich dann künftige Bundesregierungen beschäftigen dürfen.
In Großbritannien schlägt das CCC fünfjährige
CO2-Budgets vor, die durch Gesetzgebung des Parlaments bindend werden.
Sobald gesetzlich festgelegt, ist die Regierung verpflichtet, für die
Einhaltung des Budgets zu sorgen. Weil Budgets zwölf Jahre im Voraus festgelegt
werden, können sich Wirtschaft wie Verbraucher frühzeitig auf die kommende
Klimapolitik einzustellen.
Überwachung ist nicht nur ex-post,
sondern auch ex-ante sinnvoll
Die vorgesehene deutsche Expertenkommission soll die Zielerreichung je
Sektor überwachen. Das ist eine Verbesserung
des aktuellen Systems. Sinnvoll wäre zusätzlich der Versuch, auch in die
Zukunft zu schauen. Eine unabhängige Organisation,
die der Regierung frühzeitig die Verfehlung des 2020-Ziels vorhält, wäre in
Deutschland schon in den letzten Jahren sinnvoll gewesen; mit Blick auf 2030
erscheint sie unabdingbar.
Soll das Klimaschutzkomitee ex-ante Bewertungen vornehmen soll, muss es Vorhersagen produzieren oder sich auf solche verlassen. Prognosen und Modellierung sind empfindlich gegenüber Annahmen. Hier überlappen scheinbar „neutrale“ Fakten mit implizierter politischer Richtungsweisung. Die Tatsache, dass die Zukunft nicht perfekt vorhersehbar ist, sollte aber nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass wir keine Vorhersagen brauchen. Stattdessen müssen wir uns auf die Bestmöglichen verlassen und ihre Unsicherheiten verstehen. Ein Klimaschutzkomitee kann helfen, die Zusammenhänge zwischen Annahmen und Prognosen transparent zu machen und zu erklären.
Das Verhältnis von Experten und Politikern ist ein schwieriges. Prozesse, auf die wir uns als Gesellschaft aus Gründen wie Teilhabe, Gleichheit und Selbstbestimmtheit geeinigt haben, bringen nicht automatisch die effektivsten und rationalsten Ergebnisse hervor. Gleichzeitig verstehen sich Begriffe wie Effektivität und auch Rationalität immer relativ zu den normativen Zielen, an denen sie sich ausrichten. Diese Ziele müssen erst einmal gesellschaftlich ausgehandelt werden. Grundsätzlich sollten demokratische Prozesse ein Gleichgewicht zwischen Effektivität, Teilhabe und Schlichtung erreichen. Ein Expertengremium kann dazu im besten Fall auf zwei Arten beisteuern:
Erstens können Experten politischer Macht widersprechen. Sachausbildung und eine ethisch-professionelle Verpflichtung zur Wahrheitssuche nach den besten Standards der Forschungsgemeinschaft verleihen Autorität zum Widerspruch. Zweitens können sie der öffentlichen Debatte eine fundierte Grundlage liefern. Sie verbessern so die Fähigkeit der Öffentlichkeit und der Gesetzgeber zu einer informierten und engagierten Entscheidungsfindung.
Besetzungsmechanismus: Alle Aspekte unter einen Hut bekommen
Soviel zu Zielen und Desiderata. Bleibt die Frage zur institutionellen Ausgestaltung. Vier Aspekte sollten beachtet werden.
1) Fachliche Breite und Eignung der Mitglieder sollten festgeschrieben werden. In Großbritannien müssen mindestens die folgenden Bereiche durch Experten abgedeckt werden:
· Klima- und Umweltwissenschaften
· Soziale und Umverteilungsaspekte von Klimawandelpolitik. Regionale und sozidemographische Aspekte von Maßnahmen
· Wettbewerbs- und Industriepolitik
· Emissionshandel
· Energieproduktion und -handel
· Finanzierung und Investment
· Technologieentwicklung und -verbreitung
Insbesondere in den wissenschaftlichen Themenbereichen bietet es sich an, auf schon existierende Vorschlagsmechanismen innerhalb der Universitäten und Forschungsinstitute zurückzugreifen und diese als Grundlage für eine Vorauswahl zu nutzen. Eine Fortsetzung von Parteipolitik in einem ausgelagerten Gremium hätte keinen Mehrwert.
2) Auch mit Fachvorschlägen können sich Ungleichgewichte in der Nominierung herauskristallisieren. Das beste Mittel gegen einseitige Besetzung ist Pluralismus und ein System von „Checks und Balances“ zwischen Institutionen mit möglichen politischen Interessen. Im Bereich Energie könnte das zum Beispiel bedeuten, Vertreter unterschiedlicher Sektoren einzubinden, um zu vermeiden, dass Emissionseinsparungen auf einzelne Sektoren abgewälzt werden.
3) Das Klimaschutzkomitee sollte dazu beitragen, Klimalösungen gesellschaftlich akzeptabel zu machen und Spannungen innerhalb der Gesellschaft zu antizipieren und zu lösen. Um einer Vermittlerrolle gerecht zu werden, könnten Mitglieder mit „Übermehrheit“ oder abwechselnd von Bundesrat und Bundestag berufen werden.
4) Nicht nur Parteipolitiker, auch die Bevölkerung sollte ein Klimaschutzkomitee als kompetent und neutral wahrnehmen. Um Transparenz zu schaffen muss ein klarer und öffentlich verfügbarer Kriterienkatalog für Berufungsentscheidungen zusammengestellt werden und die Kompetenz des Komitees eindeutig umrissen sein. Uneindeutige Mandate führen zur Wahrnehmung von Opportunismus und „noch-ein-neues-Gremium-für-alles-Mögliche“.
Der politische Prozess mit seinen vierjährigen Wahlperioden tut sich schwer, Lösung für das Mehrgenerationen-Problem Klimawandel zu finden. Deutschland insbesondere hat sich in der Vergangenheit in teuren Einzelmaßnahmen verloren, die im Gesamtbild nicht zusammenpassten. Es braucht Weitblick, Expertise und Vision, um zu einer effizienten und gerechten gesellschaftlichen Lösung zu kommen. Eine sinnvolle Rolle für ein Expertengremium in diesem Bereich gibt es dann, wenn dieses unabhängig, stimmstark, kritisch, und vorausschauend ist. Ein solches Komitee kann der Gesellschaft helfen, ihre Optionen für die Zukunft zu erkennen und einzuordnen, sowie die Hinlänglichkeit aktueller Regierungspolitik kritisch und vorausschauend zu beurteilen. Es kann die Politik bei der Schlüssigkeit von langfristigen Strategien unterstützten, ohne gesellschaftliche Entscheidungen vorwegzunehmen.
Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung zeitgleich beim Thinktank Dezernat Zukunft erschienen.