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Energie & Klima

Standpunkte Warum man den Kampf gegen den Klimawandel nicht mit dem Kalten Krieg gleichsetzen kann

Huiyao Wang, Gründer und Präsident des Center for China and Globalization (CCG)
Huiyao Wang, Gründer und Präsident des Center for China and Globalization (CCG)

Die Klimaerwärmung könnte als hartes Nullsummenspiel zwischen China und den USA gedeutet werden. Doch das hält Huiyao Wang, Gründer und Präsident des Center for China and Globalization (CCG), für die falsche Betrachtungsweise. Der Kalte Krieg sei in vielerlei Hinsicht die falsche Analogie für die Welt im 21. Jahrhundert, argumentiert er in seinem Standpunkt. Um der Erderwärmung entgegenzuwirken, würden beide Seiten trotz verbleibender Konflikte von einer fantasievolleren Staatskunst profitieren.

von Huiyao Wang

veröffentlicht am 30.09.2020

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Die globale Antwort auf die Covid-19-Pandemie wird vom Rivalitätsgerangel der Supermächte überschattet. China und die USA hätten die Corona-Krise zum Anlass nehmen können, für eine gemeinsame Sache zu kämpfen. Stattdessen lassen sie zu, dass zwischen ihnen schwelende Konflikte wieder aufflammen. Auch die drohende Klimakatastrophe ist ein zweischneidiges Schwert für die Beziehungen von Supermächten. Einerseits sollte die globale Herausforderung, die kein Land alleine meistern kann, ein Katalysator für Kooperation sein. Andererseits könnte der Klimawandel als „Risikomultiplikator“ geopolitisch eine destabilisierende Wirkung entfalten.

Miteinander oder gegeneinander? Mit welcher Strategie wir den Kampf gegen den Klimawandel führen, ist wohl die wichtigste Frage unserer Zeit. Die Antwort verlangt politischen Willen und Engagement. Sie hängt auch davon ab, wie sich das Verhältnis zwischen China und den USA entwickelt: Die zwei größten Volkswirtschaften der Welt verursachen mehr als 40 Prozent der globalen Emissionen.

Als bipolares Nullsummenspiel spaltet die Klimakrise

Von den vielen historischen Analogien, die für die Beziehung zwischen China und den USA im 21. Jahrhunderten herangezogen werden, ist die Metapher des Kalten Krieges wohl die am weitesten verbreitete. Durch die Brille eines bipolaren Nullsummenspiels betrachtet, sticht vor allem das spaltende Potenzial der Klimakrise heraus. Der ökologische Wandel und das Streben nach Dekarbonisierung eröffnen ganz neue Möglichkeiten für Rivalitäten zwischen den Supermächten, sei es der Kampf um die unterseeischen Ressourcen der schmelzenden Arktis oder die Vorherrschaft im Bereich grüner Technologien. Das Problem: Nationale Alleingänge und abgeschottete Handelsblöcke behindern die schnellstmögliche Ausbreitung von sauberen Technologien; Zwietracht und strategischer Wettbewerb wirken einer multilateralen Klimapolitik entgegen.

Diese Betrachtung prophezeit uns keine rosige Zukunft.

Doch ist dies der richtige Ansatz, um das Verhältnis zwischen China und den USA im Zeitalter des Klimawandels zu bewerten? Für diese Frage sind zwei geopolitische Faktoren des 21. Jahrhunderts zu berücksichtigen.

Der erste Faktor ist die gegenseitige Abhängigkeit. Heute sind die Großmächte viel stärker miteinander verwoben als dies im Kalten Krieg war. Einige argumentieren, dass das Streben nach Abschottung und Entglobalisierung die ökonomischen Verknüpfungen schwächen könnte. Doch selbst wenn dem so ist, zeigt Covid-19 klar, dass die „ökologische“ Globalisierung voranschreitet. Der Klimawandel verknüpft unsere Schicksale, teilen wir doch unsere Atmosphäre miteinander.

Der zweite Faktor ist Multipolarität. Langfristige strukturelle Trends, insbesondere der Aufstieg Asiens und aufstrebender Märkte, bringen es mit sich, dass kein Land globale Normen und Regeln diktieren kann. Die Verlagerung des Schwerpunkts wird beim Klimawandel wohl noch deutlicher zu Tage treten. So stellten Europa und Nordamerika im Jahr 2000 mehr als 40 Prozent des weltweiten Energiebedarfs, die aufstrebenden asiatischen Volkswirtschaften etwa 20 Prozent. Den Prognosen der Internationalen Energieagentur zufolge wird sich diese Situation bis 2040 komplett umkehren. Eine Lösung für den Klimawandel lässt sich nur finden, wenn eine breit aufgestellte Koalition aus Industrie- und Entwicklungsländern an einem Strang zieht.

Gewisse Parallele zwischen Atomwaffen und Klimawandel

Diese Gegebenheiten verlangen ein neues Verständnis von Sicherheit und Macht im 21. Jahrhundert. Übergreifende nicht-traditionelle Gefährdungen gewinnen an Bedeutung und lassen sich nicht mit schierer militärischer oder wirtschaftlicher Gewalt ausmerzen.

Paradoxerweise waren es im Kalten Krieg gerade die tödlichen nuklearen Waffen, die ein gewisses Maß an Stabilität in den direkten Interaktionen zwischen den Supermächten garantierten. Beide Seiten erkannten, dass ohne Kooperation die „gesicherte gegenseitige Zerstörung“ drohte.

Verglichen mit der von Nuklearwaffen ausgehenden Bedrohung gestaltet sich der Klimawandel komplexer. Er umfasst mehr Akteure, bringt größere Unsicherheiten mit sich und tangiert Fragen der gerechten Behandlung von Ländern und Generationen. Langfristig jedoch ist eine gewisse Parallele zwischen nuklearen Waffen und dem Klimawandel zu erkennen. Beides verlangt Koordination und Kooperation, um die Vernichtung der gesamten Menschheit zu verhindern.

Jedoch ist das kooperative Vorgehen zur Bekämpfung des Klimawandels nicht darauf beschränkt, desaströse Lose-Lose-Situationen abzuwenden. Die Umstellung auf eine klimaneutrale Welt brächte für China und die USA viele greifbare Vorteile mit sich. Sie würde beiden Ländern helfen, ihre Umwelt zu schützen, den Wohlstand im Land zu erhöhen und sich größere Energiesicherheit zu erlangen. Weniger abhängig von fossilen Kraftstoffen und den zu ihrem Transport nötigen Routen zu sein, könnte auch die Konflikte an potenziellen Brennpunkten, wie dem Südchinesischen Meer, reduzieren.

Die Vision von China und den USA als gemeinsamen Architekten einer kohlenstoffarmen Zukunft mag angesichts der aktuellen, von Spannungen geprägten Situation weit hergeholt sein. Es sei jedoch daran erinnert, dass grüne Themen bislang ein Lichtblick in den Beziehungen beider Länder waren. So erwies sich die Zusammenarbeit zwischen China und den USA als wegweisend für das Pariser Klimaabkommen 2015. Die 2013 gebildete sino-amerikanische Arbeitsgruppe zum Klimawandel erzielte wichtige Ergebnisse, zum Beispiel in puncto intelligente Stromnetze.

Auf lange Sicht geht China angesichts des weltweit zunehmenden Konsenses davon aus, dass die USA wieder zu einem aktiven Partner im Klimamanagement werden. Ob das zeitnah passiert, hängt stark vom Ausgang der diesjährigen Präsidentschaftswahl ab.

Bei existentiellen Bedrohungen ist Zusammenarbeit möglich

Doch auch ungeachtet der Ergebnisse dieser Wahl wird es auf beiden Seiten Möglichkeiten der Kooperation geben. So kann China beispielsweise die Klimaschutzkooperation mit dem US-Bundesstaat Kalifornien weiter ausbauen. Beide Seiten könnten „Track II“-Diplomatie betreiben. Ähnlich lief es auch bei der Tagungsreihe „Pugwash Conferences on Science and World Affairs“, die im Kalten Krieg als Mittel des Dialogs fungierte.

Es mag unvermeidlich sein, dass die Beziehung zwischen China und den USA von Rivalität und Dissonanzen geprägt ist. Doch wir dürfen nicht zulassen, dass ungezügelter Wettbewerb unsere Anstrengungen im Kampf gegen die größte Bedrohung für die Menschheit einfach untergräbt. Der Kalte Krieg hat gezeigt, dass Großmächte trotz intensiver strategischer Rivalität bei existenziellen Bedrohungen zusammenarbeiten können.

Abgesehen davon ist der Kalte Krieg in vielerlei Hinsicht die falsche Analogie für die Welt im 21. Jahrhundert, die viel multipolarer und vernetzter ist als früher. Um der Erderwärmung entgegenzuwirken, benötigen wir eine fantasievollere Staatskunst, die bilaterale Reibungen eingrenzt und die Kooperation im Interesse globaler Gemeinschaftsgüter fördert. Den Blick für das große Ganze zu verlieren, wäre wohl der größte strategische Fehler, den wir begehen könnten.

Dr. Huiyao (Henry) Wang ist Gründer und Präsident des Center for China and Globalization (CCG), der führenden regierungsunabhängigen Denkfabrik Chinas. Dr. Wang wurde 2015 zum Berater des chinesischen Staatsrats ernannt.

Dieser Artikel ist einem Beitrag zu „21st Century Diplomacy: Foreign Policy Is Climate Policy“ entlehnt, einem vom Forschungs- und Beratungsinstitut Adelphi und dem Wilson Center geleiteten Projekt, dessen Webseite heute im Laufe des Tages freigeschaltet wird.

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