Die Bundesregierung kann sich vorstellen, dass grüner Wasserstoff die Lkw und Flugzeuge der Zukunft antreibt und vielleicht sogar viele deutsche Wohnungen heizt. Um die möglicherweise hohe Nachfrage nach dem energiereichen Gas abzudecken, spielt die Ukraine in den Plänen der Bundesregierung eine wichtige Rolle.
Deutschland wird zwei Milliarden Euro ausgeben, um Projekte in aller Welt zu unterstützen, die grünen Wasserstoff erzeugen, der nach Deutschland exportiert werden kann. Also: nur für Wasserstoff, der mit erneuerbarer Energie hergestellt wird. Ein bedeutender Teil davon soll aus der Ukraine kommen, die gerade erst eine „Energiepartnerschaft“ mit Deutschland abgeschlossen hat. Nun ist das Energiesystem der Ukraine aber nicht in der Lage, auch nur genug preisgünstigen Strom für die Produktion des zu exportierenden Wasserstoffs bereitzustellen, geschweige denn aus erneuerbaren Quellen. Um das zu erreichen, muss das Land erst seinen Strommarkt tiefgreifend reformieren.
Hoher Wasserstoff-Eigenbedarf der Ukraine absehbar
Begeistert von den deutschen Wasserstoffsubventionen planen europäische Industrie-Vereinigungen wie „H2EU+Store“ bereits den Bau von Elektrolyseuren und Pipelines in Deutschland und der Ukraine. Bevor aber große Elektrolyseure in der Ukraine in Betrieb gehen könnten, müssen erst vier Herausforderungen im Land überwunden werden:
1. Ukrainische Kraftwerke sind alt und schmutzig. Da sie bald ihr Lebensende erreichen oder dies eigentlich schon überschritten haben, muss die Ukraine tief in die Tasche greifen, um die einheimische Stromnachfrage zu decken. Aber selbst wenn die alten Kraftwerke noch bis 2040 laufen, wäre ihr Strom schlecht sowohl für das Klima als auch potentiell für die Gesundheit der Ukrainer: Mehr als ein Drittel des Stroms stammen gegenwärtig aus Kohlekraftwerken mit enorm schlechten Wirkungsgraden und etwas mehr als die Hälfte aus Atomkraftwerken.
2. Der Bau neuer Energieinfrastruktur in der Ukraine ist ungemein teuer. Das hohe politische Risiko und ein nicht funktionierender Strommarkt lassen die Zinsen für Solarzellen, Windturbinen und Elektrolyseure in die Höhe schießen. Die notwendige Installation von genug erneuerbarer Strom- und Wasserstoffgeneration wird daher kostspielig. Die Probleme des Marktes haben in der Tat dazu geführt, dass die Ukraine nun auf einem milliardenschweren Berg von Verbindlichkeiten sitzt. Zwar hatten ihre teuren Einspeisevergütungen zu einem kurzen Boom im Solarmarkt geführt, aber auch zu einer Menge Schulden.
3. Die Ukraine selbst wird eine signifikante Menge an Wasserstoff benötigen. Insbesondere für ihre Stahlproduktion, die als Kernindustrie des Landes mehr als zehn Prozent zum BIP beiträgt. Zudem macht Stahl fast ein Viertel der ukrainischen Exporte aus. Aber der Stahlsektor ist unter Druck, seine alten und schmutzigen Fabriken zu renovieren. Europäische Direktiven, insbesondere die für Ukrainer bedrohliche Grenzabgabe für CO2, könnten die Produzenten bald dazu bringen, ihren Stahl mit Wasserstoff anstelle von Kohle herzustellen. Wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung könnte der Stahlsektor damit zu einem ernsthaften Konkurrenten für deutsche Wasserstoffimporteure werden.
4. Der ukrainische Strommarkt wird von einigen wenigen einflussreichen Unternehmen kontrolliert. Diese könnten zwar davon profitieren, ihren Strom in Form von Wasserstoff an betuchte Deutsche zu verkaufen anstatt ihren eher armen Landsleuten. Das Resultat wären wohl höhere Strompreise in der Ukraine, zum Nachteil einkommensschwacher Ukrainer. Ob das politisch gewünscht oder nachhaltig wäre, lässt sich aber bezweifeln.
Unter derzeitigen Bedingungen wäre die Ukraine also nicht in der Lage, genug Strom für den Wasserstoffexport zu erzeugen, insbesondere nicht aus erneuerbaren Quellen. Bevor die Ukraine Wasserstoff exportieren kann, muss ihr Energiesystem erneuert werden. Der Schlüssel zur Lösung der ukrainischen Energieprobleme liegt allerdings tatsächlich in der guten Verfügbarkeit von sonnen- und windreichen Standorten in dem großen Land. Doch ohne internationale Investoren wird die Ukraine Probleme haben, genug Solarpaneele und Windturbinen aufzustellen. Die Unterstützung internationaler Organisationen wird nicht ausreichen. Zahlungskräftige Privatinvestoren legen ihr Geld lieber außerhalb der Ukraine an, da sie im Land keine Chance auf sichere zukünftige Einkünfte sehen.
Konzerne hebeln ukrainischen Strommarkt aus
Um diese Investitionssicherheit herzustellen, muss der ukrainische Strommarkt umfassend reformiert und liberalisiert werden. Zurzeit schaffen es die großen einheimischen Konzerne noch, den Markt auszuhebeln, was in hohen Profiten für sie selbst und in Verlusten für alle anderen resultiert. Das führt nicht nur zu künstlich erhöhten Großhandelspreisen für Strom, sondern auch zu eklatant niedrigen Investitionen in erneuerbare Energien.
Falls Deutschland wirklich Wasserstoff aus der Ukraine beziehen will, sollte es also kein Geld an individuelle Projekte vergeben. Kleine Subventionen würden den großen ukrainischen Stromversorgen nur weiter in die Tasche spielen. Noch sind sie durch die Marktstruktur in der Lage, Mitbewerber kleinzuhalten und internationale Fördermittel selbst einzustecken.
Stattdessen sollte Deutschland sich darauf fokussieren, die Ukraine bei der Errichtung eines offenen und für Investoren attraktiven Strommarkts zu unterstützen. Finanzielle Unterstützung wäre nur im Gegenzug und als Katalysator für grundlegende Reformen gerechtfertigt. Solche Reformen könnten nicht nur eine nachhaltigen Wasserstoffquelle für Deutschland erschließen, sondern auch allen ukrainischen Stromkonsumenten zugute kommen.
Dr. Georg Zachmann ist Senior Fellow beim ökonomischen Think Tank Bruegel in Brüssel und leitet bei Berlin Economics das Projekt „Low Carbon Ukraine“ der Internationalen Klima Initiative (gefördert vom BMU). Lukas Feldhaus ist Analyst im Projekt bei Berlin Economics.