Wenn man die Berichterstattung zur Energiewende verfolgt, bekommt man den Eindruck, dass die Erzeugung von grünem Wasserstoff eine der dringendsten und wichtigsten Maßnahme sei, um unsere Klimaziele zu erreichen. Wasserstoff spielt zwar tatsächlich in praktisch allen Energiesystemstudien zur Erreichung der Klimaneutralität eine gewisse Rolle. Ab wann man wie viel Wasserstoff sinnvollerweise einsetzt, unterscheidet sich in den verschiedenen Studien erheblich.
Ein klimaneutrales Energiesystem kann man also grundsätzlich mit viel oder wenig Wasserstoff erreichen. Trotz dieser Unsicherheit scheint sich die Bundesregierung sicher zu sein, dass bis 2030 bereits zehn Gigawatt Elektrolyseleistung installiert sein sollten. Welche Mehrkosten und welche Emissionssenkung damit im Vergleich zu anderen möglichen Maßnahmen verbunden sind, wird dabei erstaunlicherweise nicht thematisiert.
Grüner Wasserstoff nicht vor 2030 ökonomisch einsetzbar
Der Einsatz von grünem Wasserstoff ist grundsätzlich erst dann ökonomisch sinnvoll, wenn sektorübergreifend sämtliche emissionssenkenden Maßnahmen mit geringeren Vermeidungskosten ausgeschöpft sind. Laut verschiedener Studien betragen die mittelfristig erzielbaren Vermeidungskosten beim Einsatz von grünem Wasserstoff mindestens etwa 200 Euro je Tonne.
Selbst kostenloser ansonsten abgeregelter Ökostrom macht Wasserstoff nicht entscheidend billiger, da dieser nur während 10 bis 15 Prozent der Jahresstunden verfügbar ist. Der Preis der CO2-Emissionszertifikate als Maß der aktuellen Grenzvermeidungskosten liegt dagegen bei bloß rund 80 Euro je Tonne. Solange der Zertifikatepreis also nicht ebenfalls im Bereich von 200 Euro liegt (was vor 2030 nicht zu erwarten ist), erfordert die Nutzung grünen Wasserstoffs zusätzliche staatliche Subventionen, macht die Energiewende teurer und verlangsamt die erzielbare Emissionssenkung. Eine nicht unwahrscheinliche Verfehlung der extrem ambitionierten Wind- und PV-Ausbauziele würde die Kosten-Nutzen-Relation eines frühen Beginns der grünen Wasserstoffwirtschaft noch weiter verschlechtern.
Es ist nicht weiter verwunderlich, dass gerade die Gasbranche einen frühzeitigen und starken staatlich subventionierten Ausbau der Wasserstoffwirtschaft unabhängig von diesen ökonomischen Überlegungen propagiert. Ein klimaneutrales Energiesystem, welches mit wenig Wasserstoff auskommt, gefährdet deren Infrastruktur und Geschäftsmodell, weswegen seit Jahren auf deutscher und EU-Ebene kräftig die Werbetrommel für Wasserstoff gerührt wird. Diese Botschaft wird von Politik und Gesellschaft auch dankbar angenommen, erfüllt sie doch den Wunsch, dass alles möglichst so bleibt wie bisher, da wasserstoffbasierte Anwendungen die geringsten Anpassungen bei den Endnutzern bedeuten.
Das Import-Potenzial wird überschätzt
Der dafür zusätzlich notwendige Ausbau von Wind- und PV-Kapazität soll dabei größtenteils im Ausland stattfinden, weil man angesichts der bereits jetzt herrschenden Widerstände gegen einen weiteren Ausbau der Wind- und PV-(Freiflächen-)Kapazität eine heimische Produktion des dafür nötigen Ökostroms bereits so gut wie aufgegeben hat. So ein Import ist jedoch erst dann sinnvoll, wenn die exportierenden Länder selbst vollständig dekarbonisiert sind (also nicht vor 2045). Ansonsten würde eine Emissionssenkung in Deutschland durch eine verhinderte Emissionssenkung in den Erzeugerländern zunichtegemacht.
Das Problem der Mehrkosten gegenüber einer wasserstoffarmen Energiewende wird dabei ebenfalls nicht gelöst, da im Ausland die Erzeugung von Ökostrom zwar günstiger als in Deutschland sein kann, dies jedoch mit deutlich höheren Transportkosten verbunden ist.
Ziele für 2030 auch ohne Wasserstoff erreichbar
Dass die Bundesregierung bereits für 2030 einen hohen Bedarf an grünem Wasserstoff postuliert, ist auch Folge des aktuellen deutschen Klimaschutzgesetzes, welches sektorspezifische Ziele für 2030 beinhaltet. Dadurch werden speziell in den Sektoren Verkehr und Industrie Klimaschutzmaßnahmen mit sehr hohen Vermeidungskosten wie der Einsatz von grünem Wasserstoff erforderlich. Im Rahmen von „Fit for 55“ sollen jedoch auf EU-Ebene perspektivisch die sektorspezifischen Ziele aufgegeben und ein sektorübergreifender Emissionshandel eingeführt werden. Die unökonomische sektorspezifische Zielsetzung in Deutschland würde damit noch fragwürdiger, als sie jetzt bereits ist.
Durch staatliche Subventionen die Wasserstofferzeugung früher zu beginnen, als es ökonomisch geboten wäre, wird oft damit begründet, dass nur so ein fossiler „lock-in“ verhindert werden kann. Steht zum Beispiel bei einem Stahlhersteller jetzt eine Erneuerung der Produktionsanlagen an und er verzichtet mangels Vorhandenseins von grünem Wasserstoff auf die für die Erreichung der Klimaneutralität notwendige Prozessumstellung, würde er 2045 entweder nicht klimaneutral sein oder hätte „stranded assets“.
Dieses Argument unterstellt jedoch eine fahrlässig kurzsichtige Investitionsplanung, angesichts der Klimaziele jetzt noch in langlebige fossile Infrastruktur zu investieren. Außerdem würde die zukunftssichere Prozessumstellung auf die sogenannte „Direktreduktion“ bei der Stahlherstellung auch bei Nutzung von Erdgas oder grauem Wasserstoff anstatt von hoch subventioniertem grünen Wasserstoff bereits erheblich Emissionen reduzieren.
Emissionshandel versus ineffiziente Subventionen
Abgesehen davon stellt sich die grundsätzliche Frage: Warum sollte man nicht die Effizienz des Emissionshandelssystems wirken lassen und stattdessen einzelne Branchen die Umstellung auf die Klimaneutralität durch staatliche Subventionierung von grünem Wasserstoff verbilligen? Letztlich führen solche staatlichen Eingriffe zu Ineffizienzen und zur Abkehr vom Verursacherprinzip, dass diejenigen, die durch Produktion beziehungsweise Konsum CO2-Emissionen verursachen, dafür auch bezahlen müssen, anstatt diese Kosten ganz oder teilweise über den Bundeshaushalt zu externalisieren.
Ein fairer Handel mit Staaten außerhalb der EU muss natürlich durch geeignete Grenzausgleichmechanismen oder noch besser durch eine „Koalition der Willigen“ gewährleistet werden, ebenso ein sozialer Ausgleich für ärmere Haushalte, wenn mangels Subventionen die Mehrkosten an den Endverbraucher weitergereicht werden müssen.
Scheitern der PV-Industrie als warnendes Beispiel
Die Motivation der Politik, die Erzeugung von grünen Wasserstoff zu subventionieren, ist natürlich auch der Versuch, die heimische Wirtschaft zu stärken. Ein starker Binnenmarkt ist unstrittig ein Wettbewerbsvorteil für die deutschen Firmen, was der Boom deutscher Photovoltaik-Firmen Anfang der 2010er Jahre gezeigt hat. Aber das Beispiel PV hat auch deutlich gemacht, dass selbst so ein großer Wettbewerbsvorsprung sehr schnell verloren gehen kann, wenn kein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil vorhanden ist. Und so stellt sich die Frage, ob eine Milliarden kostende Wasserstoffförderung tatsächlich mehr zusätzliche Arbeitsplätze schafft als die Förderung alternativer Klimaschutzmaßnahmen.
Sollten deshalb sämtliche staatliche Förderungen, die mit grünem Wasserstoff zusammenhängen dauerhaft unterbleiben, wie es ökonomisch geboten wäre? Dies wäre dann doch ein übertriebenes Vertrauen in die Effizienz des Emissionshandels, auch wenn er das zentrale klimapolitische Instrument sein sollte. Die Förderung von Forschung und von ausgewählten Demonstrationsprojekten zumindest bei „no regret“-Anwendungen kann sicherlich ein sinnvoller staatlicher Eingriff sein, um den Kostensenkungspfad zu beschleunigen.
Auch hier sollte entweder durch „Carbon Contracts for Difference“ oder durch ein System ähnlich
der EEG-Ausschreibungen eine Transparenz der tatsächlichen Förderkosten
geschaffen werden, wie es zum Beispiel die H2Global-Stiftung
versucht. Und man muss genau hinschauen, wann aus einer sinnvollen Anschubförderung
eine ineffiziente Alimentierung bestimmter
Wirtschaftszweige inklusive Mitnahmeeffekten wird, wie es bei der gegenwärtigen
Kaufprämie für Elektroautos den Anschein hat.