Eine zentrale energiepolitische Aufgabe der neuen Bundesregierung wird die Umsetzung und Weiterentwicklung der Nationalen Wasserstoffstrategie sein. Über die Fragen, wie Wasserstoff erzeugt, in welchen Bereichen er angewendet und ob der Schwerpunkt stärker auf inländische Produktion oder Importe gesetzt werden soll, ist nach Veröffentlichung der Strategie im Sommer letzten Jahres bereits eine breite und kontroverse Debatte entstanden, die sich auch in den Wahlprogrammen der Parteien wiederfindet.
Der Blick in die Programme zeigt: Der Kompromissbedarf ist hoch, wenn es um Produktionsweise, Nutzungsspektrum und Importbeziehungen geht – vor allem in den beiden wahrscheinlicheren Koalitionen unter Beteiligung der Grünen und der FDP.
Die Parteipositionen beim Wasserstoff
Deutlich ist: Wasserstoff ist in allen Wahlprogrammen angekommen. Noch 2017 erwähnten lediglich CDU/CSU und die Grünen beiläufig Wasserstoff. 2021 wird er von fast allen Parteien als wichtiges Element für die Transformation des Energiesystems gesehen. Einzig die AfD lehnt seine Nutzung über das bisherige Niveau ab, ebenso wie die Energiewende im Allgemeinen.
Die Parteien des linken politischen Spektrums streben eine Politik an, die ausschließlich die Produktion grünen Wasserstoffs zulässt, wobei die Aussagen der SPD nicht ganz eindeutig sind und einen gewissen Interpretationsspielraum zulassen. Dagegen wird auch der Einsatz von blauem Wasserstoff bei den Unionsparteien „akzeptiert“ und von der FDP gemeinsam mit türkisem Wasserstoff befürwortet.
Unterschiede zeigen sich auch beim Nutzungsspektrum. Während die Grünen und die Linke die Nutzung des knappen Gutes Wasserstoff begrenzen wollen, verstehen SPD und FDP Wasserstoff als Perspektive für möglichst viele Sektoren. Allerdings sind die Äußerungen der SPD auch hier mitunter ambivalent und innerparteilich nicht geklärt. So steht dem Wahlprogramm das Fraktionspapier „Eckpunkte einer nachhaltigen Wasserstoffstrategie“ in Teilen entgegen. Die Unionsparteien benennen zwar kein weites Nutzungsspektrum, äußern sich aber auch nicht äußerst restriktiv.
Die Notwendigkeit von Wasserstoffimporten zur Deckung des zukünftigen Bedarfs und des Aufbaus entsprechender internationaler Kooperationen scheint unter den Parteien weitgehend konsensfähig zu sein. Allerdings fordern die Grünen strenge ökologische und soziale Importstandards, die sich an den UN-Zielen zur nachhaltigen Entwicklung orientieren.
Sowohl die Union als auch die FDP betonen explizit die europäische Dimension des Themas und schlagen entweder die Einrichtung einer Europäischen „Wasserstoff-Agentur“ oder eine „Wasserstoff-Union“ vor. Die anderen Parteien machen über die allgemeine Würdigung der europäischen Einbettung der Energie- und Klimapolitik hinaus keine konkreten Vorschläge.
Übereinstimmungs- und Konfliktpotenzial
Die programmatischen Differenzen zwischen den Parteien bei Herstellung, Nutzung, Import und Infrastruktur lassen annehmen, dass die Implementation der Nationalen Wasserstoffstrategie wesentlich von der parteipolitischen Zusammensetzung der nächsten Bundesregierung abhängt. Dies gilt für mögliche Förderprogramme und Subventionen, aber auch etwaige Importpartnerschaften, die unterschiedliche Konturen annehmen könnten. Eine systematische Analyse zu den Parteipositionen haben wir im Rahmen des Kopernikus-Projektes Ariadne in einem Hintergrundpapier vorgelegt. Mit den Ergebnissen der Wahl ist klar: Drei denkbare Regierungskoalitionen sind mit absoluten Mehrheiten ausgestattet, die „Ampel“, „Jamaika“ und die „große Koalition“.
Sowohl bei „Ampel“ als auch „Jamaika“ liegt ein Dissens zwischen Grünen und FDP bezüglich Erzeugung und Nutzungsspektrum von Wasserstoff vor. Zugespitzt formuliert stehen die Grünen für einen ausschließlich auf grünen Wasserstoff und eine klare Priorisierung von Anwendungen setzenden Kurs, der neben der „Nichtförderung“ auch in ordnungsrechtlichen Instrumenten (Verbote bestimmter Erzeugungsarten, Nichtzulassung von Endanwendungstechnologien) resultieren kann. Dagegen steht eine grundsätzlich technologieoffene Gleichbehandlung emissionsarmer Erzeugungsvarianten und Anwendungen seitens der FDP. Somit ist der Kompromissbedarf in beiden Konstellationen hoch.
Aber auch zwischen Grünen und SPD dürfte es Reibungspunkte geben. Denn die Position der SPD-Fraktion, Wasserstoff als „Perspektive für alle Sektoren“ zu betrachten, scheint kaum kompatibel mit der starken Priorisierung von Anwendungen, wie sie die Grünen vertreten. Zwar ist ein wechselseitiges Entgegenkommen in diesen Bereichen denkbar, etwa durch Verzicht auf ordnungsrechtliche Begrenzung von Produktion und Nutzung bei gleichzeitig einseitiger Förderung von grünem Wasserstoff, jedoch für die Grünen mit Blick auf die Bedeutung der Thematik und die eigene Glaubwürdigkeit problematisch. Durch energiepolitische Tauschgeschäfte, etwa Sonderprogramme zur Beschleunigung des Ausbaus Erneuerbarer Energien oder die Verknüpfung mit anderen Politikfeldern könnten zwar Anreize zum wechselseitigen Entgegenkommen gesetzt werden, die Kompromissschwelle bleibt dennoch hoch.
Auch mit „Jamaika“ würden sich ähnliche Konflikte zeigen. Bei Erzeugung, Nutzungsspektrum und Importen weichen die Positionen von Union und Grünen voneinander ab, durch die schwächere Festlegung der CDU/CSU könnte diese jedoch leicht eine mittlere Positionen zwischen Grünen und FDP beziehen, wobei die deutliche Positionierung der Grünen pro grünem Wasserstoff und gegen CCS eine Einigungshürde darstellen.
Übergangsweise Akzeptanz von blauem Wasserstoff
Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD weist hinsichtlich ihrer Wasserstoff-Präferenzen die höchste Übereinstimmung auf. Entsprechend wäre zumindest in Koalitionsverhandlungen und in einem solchen Koalitionsvertrag eine Wasserstoffpolitik zu erwarten, die sich weitgehend an den Empfehlungen des Wasserstoffrates orientiert. Lediglich bei der Erzeugung unterscheiden sich die Parteipositionen. Zwar favorisieren beide grünen Wasserstoff, die Union sieht aber auch blauen Wasserstoff als Übergangslösung. Dies ließe sich auflösen, da dem Kurs der SPD zur ausschließlich grünen Erzeugung eine tendenziell expansive Position beim angestrebten Nutzungsspektrum mit hohem Wasserstoffbedarf entgegensteht.
Diese
Inkonsistenz könnte durch die übergangsweise Akzeptanz von blauem Wasserstoff mit
CCS aufgelöst werden und dürfte zumindest im kommunalpolitisch verwurzelten Teil
der SPD eine denkbare Option sein. Eine Einigung könnte folgendermaßen
aussehen: Eine Richtungsentscheidung zur Rolle von blauem (und türkisem) Wasserstoff
als Übergangstechnologie, die fokussierte Förderung bestimmter
Anwendungen in Industrie, Verkehr und Wärmeversorgung (möglicherweise inklusive
Beimischung von Wasserstoff in das Erdgasnetz) sowie eine offene und expansive
Importpolitik.
Wenig überraschend birgt also die Fortführung der jetzigen Koalition das geringste Konfliktpotential beim Wasserstoff. Doch mit der aktuellen politischen Entwicklung in Richtung Dreierbündnis und zunehmend Ampel-Koalition rückt die Anschlussfähigkeit von und mit Grünen und FDP in den Fokus. Man darf also auch beim Wasserstoff gespannt sein, wie Grüne und FDP beim Sondieren mögliche Gemeinsamkeiten ausloten. Klar ist, die Zusammensetzung der nächsten Regierungskoalition wird maßgeblich darüber entscheiden, welche Zielperspektive beim Thema Wasserstoff gewählt wird. Diese energiepolitischen Richtungsentscheidungen werden auch die mittel- und langfristigen Weichen stellen zu Umfang und Einsatz von Wasserstoff bei der Energiewende und Deutschlands Kurs zur Klimaneutralität 2045.
Dr. Jörg Kemmerzell, Lucas Flath und Prof. Dr. Michèle Knodt vom Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt beschäftigen sich im Kopernikus-Projekt „Ariadne“ sowie im von der hessischen Landesregierung geförderten Cluster-Projekt „Clean Circles“ mit der Politik und Governance von Energiewendetechnologien. Ein ausführliches Hintergrundpapier zum Thema findet sich hier.